Es sind vor allem solche Ambivalenzen, denen die Schau nachgehen will, auf die Gefahr hin, als Veranstaltung selbst etwas zwielichtig zu erscheinen. Dass Schiller, der Hausheilige, den bewussten Satz ausschließlich in wahrheits- und moralfernem Kontext, also ironisch ge-brochen verwendet hat, spricht Bände. Aber auch Goethe hatte es faustdick hinter den Ohren, als er die stürmisch drängenden Liebesäußerungen des jungen Werthers in den Suizid münden ließ und dem "Erlkönig" vor seinem gewaltsamen Übergriff ausgerechnet die Worte "Ich liebe dich" in den Geistermund legte. Gerade die Klassiker waren Meister im Spiel mit "Kippfiguren", weshalb sie mit Robert Gernhardt, der sich als Klassiker sah und hier mit einschlägigen Karikaturen vertreten ist, mehr zu tun haben, als manch einer für möglich hält.
Dazwischen entfaltet sich ein chronologisch angelegtes Panorama romantischer bis zeitgenössischer Liebeskorrespondenzen und Liebesfiktionen, in denen sich fast immer ein Bruch zwischen Überschwang und Wirklichkeit, Gefühlslage und Sachlage nachweisen oder aufspüren lässt. Dass auf dem Katalogtitel die Hand, die den Satz "Ich liebe dich" in der Taubstummensprache bildet, zugleich die Geste für das italienische Schimpfwort "cornuto" (Gehörnter) formt, war wohl nicht geplant, passt aber gut zur Schau, deren Anmutung die Macher mit liebenswürdiger Aufrichtigkeit "zwischen Charme und Scham" ansiedeln.
Im Bild: Seite aus dem Song New York/N.Y. aus dem Album "Angstlos" von Nina Hagen aus dem Jahr 1983.
Ausstellung: "Ich liebe Dich!", bis 29. Januar. Literaturmuseum der Moderne, Marbach am Neckar. Das zur Ausstellung erschienene Marbacher Magazin 136 kostet 18 Euro.