Ausstellung "Ich liebe Dich" in Marbach:Liebestöter und Aphrodisiakum

Drei Wörter, große Bedeutung: Die Ausstellung "Ich liebe Dich" im Marbacher Literaturarchiv zeigt, wie Schriftsteller mit Liebe umgehen, diese bekunden und literarisch verarbeiten. Es ist eine Schau am Rande des Nervenzusammenbruchs.

Kristina Maidt-Zinke

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Drei Wörter, große Bedeutung: Die Ausstellung "Ich liebe Dich" im Literaturmuseum der Moderne in Marbach zeigt, wie Schriftsteller mit Liebe umgehen, diese bekunden und literarisch verarbeiten. Es ist eine Schau am Rande des Nervenzusammenbruchs.

Schuld ist Wilhelm Genazino. Der Büchner-Preisträger hatte unlängst Abfälliges über den Satz "Ich liebe dich" und seinen "bedrohlichen Verwurstungsgrad" zu Protokoll gegeben. Er propagierte übrigens schon zu Zeiten der Neuen Frankfurter Schule die Idee, jede Art von sexuellem Verkehr wegen der unerträglichen Peinlichkeit der damit verbundenen Vorgänge einzustellen. Die Frage, wie Schriftsteller es mit handgreiflichen Liebesäußerungen halten und hielten, wäre ebenfalls ein schönes Ausstellungsthema für das Literaturmuseum der Moderne zu Marbach.

Vorerst aber, angeregt durch Genazinos Schmährede und eine Entgegnungsglosse der FAZ, wurde in den Beständen des Deutschen Literaturarchivs danach gefahndet, wie und wo unsere Dichter seit dem 18. Jahrhundert jenen Dreiwörtersatz verwendet, variiert, reflektiert, transformiert, verschlüsselt oder umspielt haben, unabhängig von ihrer Neigung oder Fähigkeit, ihn in die Tat umzusetzen. Das Ergebnis heißt "Ich liebe Dich!" und ist, wie Archivdirektor Ulrich Raulff vorsorglich warnte, eine Schau "am Rande des Nervenzusammenbruchs".

Text: Kristina Maidt-Zinke

Im Bild: Eintrag am 30. Juli 1979 in dem als Tage- und Skizzenbuch geführten "Brunnen-Heft" des Schriftstellers Robert Gernhardt.

Ausstellung 'Ich liebe dich'

Quelle: dapd

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Schrilles Neonpink in konservatorischer Dämmerkälte, geheiligte Autographen hinter gefärbtem Plexiglas, Herzen und Trockenblumen in unmittelbarer Nachbarschaft zu Zeugnissen intellektueller Substanz - wem nicht schon bei dieser Mischung schwindlig wird, den könnte die Häufung papierener Liebesbekundungen um den Verstand bringen, dieses versammelte Verbalgeturtel großer und mittelgroßer Geister beziehungsweise ihrer Figuren, in Manuskripten und Briefen, auf Postkarten, Zetteln und Billetts, auf Notenblatt und Telegrammformular, handschriftlich, maschinengetippt oder gedruckt, mit oder ohne Zeichnungen, in alle literarischen Gattungen gekleidet oder als Selbstentblößung im privatesten Herzenserguss.

Im Bild: (Muttertags-)herz des Lyrikers Eduard Friedrich Phillip Mörike (undatiert).

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Wer ganz starke Nerven hat, mutet sich dann noch das im Katalog verewigte Gespräch zwischen dem Schriftsteller (und Mit-Kurator) Michael Lentz und seiner Kollegin Sibylle Lewitscharoff zu, das aus den Niederungen irdischer Erfahrung auf die herzlosen Höhen der Abstraktion und in die Gedankenwelt der momentan angesagtesten Liebestheoretiker Roland Barthes und Niklas Luhmann führt.

In dieser Konversation wird der prekäre Viersilber in seiner Eigenschaft als "Code" und "Holophrase" (nicht zu verwechseln mit Hohlphrase) samt dem dazugehörigen Gefühl so erschöpfend beleuchtet und beschwätzt, dass die vormals berüchtigten textilen "Liebestöter" sich vergleichsweise wie ein Aphrodisiakum ausnehmen.

Im Bild: Franziska Gräfin zu Reventlow, fotografiert von Ludwig Klages (1905).

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Was einst für das Schiller-Museum im Sinne romantischer Verklärung zusammengetragen wurde, wirkt im Rahmen der Ausstellung leicht dubios und doppelbödig - wie auch die übrigen Exponate, sei es das Klappaltärchen, das Rainer Maria Rilke auf seiner Russlandreise mit Lou Andreas-Salomé vom alten Tolstoi erhielt und pietätlos an die nächste Geliebte weiterreichte, sei es das afrikanische Holzvogelpärchen, das Matthias Politycki als Symbol für die Überwindung einer Beziehungskrise aufbewahrt hat.

Und am Ende der Reihe läuft, leider viel zu klein und unscheinbar, die Szene aus Rosa von Praunheims Film "Die Bettwurst" von 1970, die als ultimative Parodie allen Liebesgeflüsters gelten kann: Der schwule Dietmar sülzt die dreißig Jahre ältere Luzie mit Varianten der Formel "Ich liebe dich" voll, schwer daneben, nervenzerreißend banal und doch auf rührende Weise wahr.

Im Bild: Siegfried Kracauer am 12. März 1931 an seine Frau Elisabeth.

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Quelle: SZ

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Es sind vor allem solche Ambivalenzen, denen die Schau nachgehen will, auf die Gefahr hin, als Veranstaltung selbst etwas zwielichtig zu erscheinen. Dass Schiller, der Hausheilige, den bewussten Satz ausschließlich in wahrheits- und moralfernem Kontext, also ironisch ge-brochen verwendet hat, spricht Bände. Aber auch Goethe hatte es faustdick hinter den Ohren, als er die stürmisch drängenden Liebesäußerungen des jungen Werthers in den Suizid münden ließ und dem "Erlkönig" vor seinem gewaltsamen Übergriff ausgerechnet die Worte "Ich liebe dich" in den Geistermund legte. Gerade die Klassiker waren Meister im Spiel mit "Kippfiguren", weshalb sie mit Robert Gernhardt, der sich als Klassiker sah und hier mit einschlägigen Karikaturen vertreten ist, mehr zu tun haben, als manch einer für möglich hält.

Dazwischen entfaltet sich ein chronologisch angelegtes Panorama romantischer bis zeitgenössischer Liebeskorrespondenzen und Liebesfiktionen, in denen sich fast immer ein Bruch zwischen Überschwang und Wirklichkeit, Gefühlslage und Sachlage nachweisen oder aufspüren lässt. Dass auf dem Katalogtitel die Hand, die den Satz "Ich liebe dich" in der Taubstummensprache bildet, zugleich die Geste für das italienische Schimpfwort "cornuto" (Gehörnter) formt, war wohl nicht geplant, passt aber gut zur Schau, deren Anmutung die Macher mit liebenswürdiger Aufrichtigkeit "zwischen Charme und Scham" ansiedeln.

Im Bild: Seite aus dem Song New York/N.Y. aus dem Album "Angstlos" von Nina Hagen aus dem Jahr 1983.

Ausstellung: "Ich liebe Dich!", bis 29. Januar. Literaturmuseum der Moderne, Marbach am Neckar. Das zur Ausstellung erschienene Marbacher Magazin 136 kostet 18 Euro.

© sueddeutsche.de/js/pak
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