Ausstellung:Horizonterweiterung

"Land_Scope" im Stadtmuseum regt zum Staunen an: 130 fotografische Arbeiten aus der Kunstsammlung der DZ Bank zeigen Größe und Großartigkeit der Natur

Von Evelyn Vogel

Zum Auftakt scheint die Ausstellung mit den eigenen Klischees zu spielen. Heiter, ironisch und provokant zeigt sie, was eine Ideallandschaft - auch - sein kann. Idylle im Sinne der Malerei, Sehnsuchtsort des Menschen, Weite und unendlicher Horizont, aber auch Entgrenzung und Eingrenzung, ein Riss in der Oberfläche, ein Zwischenreich, Natur, in die der Mensch immer mehr eingreift. Bis sie in das viel zitierte Anthropozän, das vom Menschen dominierte Erdzeitalter, mit all seinen Begleiterscheinungen hinüberführt. Und dann geht es inhaltlich wie formal so richtig zur Sache: Ob natürlich oder vom Menschen gemacht, mit Blick von der Erde oder aus der Atmosphäre, ob technisch analog oder digital, unter Verwendung von Original oder Reproduktion, selbstgemachtem oder gefundenem Material, gedruckt auf Papier oder Textil, mit dokumentarischem oder politischem Hintergrund - mit etwa 130 fotografischen Arbeiten, die zwischen 1972 und 2018 entstanden sind, widmet sich die Ausstellung "Land_Scope" aus der Kunstsammlung der DZ Bank im Münchner Stadtmuseum der Darstellung der Natur.

Künstlich ist der Titel "Land_Scope" konstruiert und ebenso künstlich wird er geschrieben. Nicht mit einem Binde-, sondern mit einem Unterstrich. Darauf weisen Sammlungsleiter Ulrich Pohlmann und seine Kuratoren Erec Gellautz und Katharina Zimmermann extra hin. Der Unterstrich als Horizontlinie, die im Mittelpunkt der Betrachtung steht. Tatsächlich lassen sich in vielen Arbeiten an Hand der Position, des Vorhanden- oder Nichtvorhandensein des Horizonts und der damit verbundenen Bildkomposition zeitliche wie inhaltliche Bezüge ablesen. Zu den Malern, die seit Urzeiten auf die Darstellung des Menschen konzentriert waren und die Landschaft zunächst nur zur Dekoration einsetzten, bis die sich in der Renaissance zum eigenständigen Genre entwickeln konnte. Zu den großen amerikanischen Fotografen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts auszogen, um die Größe und Großartigkeit amerikanischer Nationalparks einzufangen. Zu gesellschaftspolitischen und naturwissenschaftlichen Dokumentationen, die adaptiert, variiert, verfremdet werden.

Es ist eine solche Vielfalt, die aus dem etwa 8000 Werke umfassenden Bestand der Kunstsammlung der DZ Bank in Frankfurt für diese Präsentation ausgewählt wurde, dass man sie in München in sieben Kapitel gliederte. Nach den "Ideallandschaften" mit Arbeiten unter anderem von Stephen Shore und Beate Gütschow geht es weiter zu den "Wüstungen". Dort stehen neben Dokumentationen unfassbarer Umweltzerstörungen im DDR-Tagebau von Inge Rambow die Fotografien von Sebastião Salgado, die zu Ikonen menschenverachtender Ausbeutungspolitik geworden sind. Unter dem Stichwort "Politische Territorien" sind die etwas platt wirkenden Schwarz-Weiß-Arbeiten von Magdalena Jetelová zum Atlantik-Wall neben den ungewöhnlichen zeitgenössischen flämischen Tapisserien von Stephan Schenk mit Bezug zum Ersten Weltkrieg und einer großartigen, gruselig-faszinierenden Aufnahme der Reflexion eines Atompilzes im Meer von Robert Longo zu sehen. Eine hübsche Entdeckung ist die Wandlitz-Serie von Andreas Mühe, ein schaurig-schönes Faszinosum die Aufnahme von Richard Mosse, die er mit einer Wärmebildkamera an der türkisch-syrischen Grenze gemacht hat.

Arbeiten unter dem Schlagwort "Landschaft als Konzept" stammen unter anderem von Roni Horn und Carsten Höller. Ihnen folgen solche, die unter "Formkräfte der Natur" zusammengefasst wurden. Hier, in dem halbovalen Raum, hängen die Werke, die mit zu den technisch experimentellsten, aber auch zu den subjektivsten und assoziativsten zählen. Steht man in diesem Raum, fühlt man sich wie in einer Überwältigungsmaschine. Was auch immer hier dargestellt ist, ob in der Totale oder oft im Detail, als Betrachter wird man fast wie von einem Sog magisch angezogen. Gefragt ist hier nicht ein kühler Kopf, der Distanz wahrt, sondern einzutauchen in all die diversen Techniken, die hinter so viel Ausdruckskraft stehen.

Dagegen erinnern die sepiafarbenen Heuballenaufnahmen von Claus Bury in der Reihe der "Agrarlandschaften" an Becher-Serien aus dem Ruhrgebiet. Dem gleichen Thema nähert sich Heinrich Riebesehl auf ganz andere Art und Weise: Hier kommt die im Titel beschworene Horizontlinie ganz stark zum Tragen. Die Kohlfelder aus der Untersicht sind eine Schau! Aber auch Simone Nieweg weiß in ihren stillen Farbaufnahmen der Alltäglichkeit einer Landschaft ein sehr besonderes Moment abzugewinnen.

Um digital nachbearbeitete oder computerbasierte Naturdarstellungen geht es im letzten Kapitel, den "Digitalen Landschaften". Es sind Arbeiten, die auch die Geschwindigkeit vor Augen führen, mit der sich die digitale Fotografie und die Möglichkeit digitaler Bildbearbeitung entwickelt hat. Herausragend hier sind zwei Arbeiten: die wie eine unter dem Elektronenmikroskop sezierte Landschaft von Dan Holdsworth und ein Beispiel aus der einst so faszinierenden "ma.r.s"-Serie von Thomas Ruff, die man sich dennoch mit einer der bereitgestellten 3D-Brillen ansehen sollte.

Land_Scope. Fotoarbeiten von Roni Horn bis Thomas Ruff aus der DZ Bank Kunstsammlung, bis 31. März, Di-So 10-18 Uhr, Stadtmuseum, St.-Jakobs-Platz 1, Katalog (Snoeck Verlag) 160 Seiten, 39,80 Euro. Begleitprogramm www.muenchner-stadtmuseum.de

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