Ausstellung: Alberto Giacometti:Der Hungerkünstler

Ganz leicht - und beinhart: Eine Schau in Wolfsburg beweist, dass Alberto Giacometti mehr ist als die Summe seiner Rekordpreise und eine banale, längst eher komische Chiffre der Reduktion.

Tobias Kniebe

7 Bilder

Kunstmuseum Wolfsburg. Installationsansicht der Ausstellung. "Alberto Giacometti. Der Ursprung des Raumes."

Quelle: RMN/ADAGP / Succession Giacometti / VG Bild-Kunst, Bonn 2010

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Ganz leicht, und beinhart: Eine Schau in Wolfsburg beweist, dass Alberto Giacometti mehr ist als die Summe seiner Rekordpreise und eine banale Chiffre der Reduktion.

Sich selbst erst einmal eine Form geben. Damit fängt alles an. Nicht jeden verfügbaren Raum sofort besetzen, zuschwallen, zumüllen. Alberto Giacometti weist den Weg und geht ihn dann auch: der Hungerkünstler der Reduktion. Der Fakir der Sinnverdichtung. Ganz leicht. Und beinhart. Klar ist: Seine Figuren verlangen etwas von ihrem Betrachter. Einige, deren Metier das Schreiben ist, reagieren darauf mit ausschweifenden, raumgreifenden, raunenden Texten. Angefangen bei Jean-Paul Sartre und Jean Genet. Eigentlich ein merkwürdiger Impuls.

Text: Tobias Kniebe/SZ vom 26.11.2010/sueddeutsche.de/kar/ Alle Bilder aus: Alberto Giacometti. Der Ursprung des Raumes" im Kunstmuseum Wolfsburg bis 6. März 2011. Der Katalog (Hatje Cantz Verlag, 256 Seiten) kostet im Museum 38 Euro. www.kunstmuseum-wolfsburg.de

Kunstmuseum Wolfsburg zeigt Giacometti-Retrospekt

Quelle: dpa

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Andere brauchen komische Erleichterung: Wie viele gefälschte Giacomettis passen noch mal in eine Telefonzelle? Das Kunstmuseum Wolfsburg aber stellt nun die These auf, dass diese Figuren vor allem erst einmal ihre eigenen Räume verlangen, die sie zugleich aus sich selbst heraus erschaffen. Manche, sagt der Museumsdirektor Markus Brüderlin, brauchen ganz für sich allein eine Art quadratisches Verließ, das exakt der Größe von Giacomettis Atelier in der Rue Hippolyte-Maindron in Paris entspricht, was ein ziemliches Loch war.

Kunstmuseum Wolfsburg. Installationsansicht der Ausstellung. "Alberto Giacometti. Der Ursprung des Raumes."

Quelle: Jean-Pierre Lagiewski/ ADAGP / Fondation Giacometti, Paris / VG Bild-Kunst, Bonn 2010

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Andere brauchen weite, offene Fluchten. Oder eine Plaza mit Sitzmöglichkeit zum Verweilen. Oder diese Winzlings-Skulpturen von Anfang der vierziger Jahre, die brauchen schneeweiße Hohlkehlen, die so raffiniert ausgeleuchtet sind, dass man gar keine Konturen mehr sieht. Und plötzlich ist so eine winzige Büste dann der einzige Halt, den das Auge im weiten, weißen Nichts überhaupt noch hat.

Kunstmuseum Wolfsburg. Installationsansicht der Ausstellung. "Alberto Giacometti. Der Ursprung des Raumes."

Quelle: Brøndum & Co. Poul Buchart/Louisiana Museum ADAGP / Succession Giacometti / VG Bild-Kunst, Bonn 2010

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Um diese Idee zu überprüfen, hat Brüderlin all diese Räume nun in Wolfsburg bauen lassen. Man geht da hindurch und ist Versuchsobjekt - und zugleich Akteur. Es gibt zum Beispiel eine Art Laufsteg, auf dem steht der "Schreitende Mann" von 1947, und man ist ausdrücklich aufgefordert, dort ebenfalls entlangzuschreiten. Es ist schwer, neben diesem Schreitenden nicht wie eine Witzfigur auszusehen.

Kunstmuseum Wolfsburg. Installationsansicht der Ausstellung. "Alberto Giacometti. Der Ursprung des Raumes."

Quelle: ADAGP / Fondation Giacometti, Paris / VG Bild-Kunst, Bonn 2010

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Zugleich spürt man Räumlichkeit, so klar wie selten, mit allen Sinnen. Der "Taumelnde Mann" von 1950 steht etwa in einer Art Rotunde mit einem Kreisweg. Theoretisch könnte man rechts oder links um ihn herumgehen. Nur praktisch nicht: Das rechtsdrehende Moment in der Skulptur ist schon so zwingend, dass die Füße dem wie von selbst gehorchen.

Kunstmuseum Wolfsburg. Installationsansicht der Ausstellung. "Alberto Giacometti. Der Ursprung des Raumes."

Quelle: Jean-Pierre Lagiewski/ ADAGP / Fondation Giacometti, Paris / VG Bild-Kunst, Bonn 2010

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So umkreist man den Taumelnden dann in seinem ewigen, in Bronze gegossenen Beinah-Sturz - und wird, getrieben von der Wucht seines Stolperns, auch mit Macht aus der Rotunde wieder herausgetragen. In Richtung einer neuen, viele Meter entfernten Skulptur, vorangepeitscht von einem veritablen Energiestrahl.

Kunstmuseum Wolfsburg. Installationsansicht der Ausstellung. "Alberto Giacometti. Der Ursprung des Raumes."

Quelle: Kunsthaus Zürich, Giacometti-Stiftung/ ADAGP / Succession Giacometti / VG Bild-Kunst, Bonn 2010

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Das kollidiert jetzt, und in der Tat: Die ganze Energie trifft plötzlich auf einen Stachel, spitz und scharf wie das Schwert eines Schwertfischs - und wird dort geradezu aufgespießt. Es ist "Die Nase", Version 1949. So geht es weiter, um Ecken, durch Tore und Durchbrüche, von einer überraschenden Konfrontation zur nächsten.

Wenn zu beweisen war, dass Giacomettis Werk heute mehr ist als die Summe seiner Rekordpreise, und mehr als eine banale, längst eher komische Chiffre für Reduktion- dann ist das in Wolfsburg eindrücklich gelungen. Ausufernd wird es nur im Katalog, die Schau selbst aber ist ganz Energie, Bewegung, Klarheit, Knappheit und Evidenz. Und anders möchte man diesem Künstler ja dann doch lieber nicht gegenübertreten.

© SZ vom 25.11.2010/lena/kar
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