Ausstellung:Frei von Konventionen

Ausstellung: Ungewöhnliche "Schmuckstücke" in ungewöhnlichem Ambiente: Karen Pontoppidan hat Haushaltsgegenstände durch die Versilberung ihrer Alltäglichkeit enthoben und sie auf Sockel gehoben, wo sie nun in der Villa Stuck stehen.

Ungewöhnliche "Schmuckstücke" in ungewöhnlichem Ambiente: Karen Pontoppidan hat Haushaltsgegenstände durch die Versilberung ihrer Alltäglichkeit enthoben und sie auf Sockel gehoben, wo sie nun in der Villa Stuck stehen.

(Foto: Jann Averwerser)

Mit der "One Woman Group Exhibition" stellt das Museum Villa Stuck das facettenreiche Werk der dänischen Schmuckkünstlerin Karen Pontoppidan vor

Von Ira Mazzoni

Ich habe mir schon immer einmal ein Bett in einer Ausstellung gewünscht", erzählt die Schmuckkünstlerin Karen Pontoppidan. Jetzt hat sie sich den Wunsch selbst erfüllt. In ihrer "One Woman Group Exhibition" in den historischen Räumen der Villa Stuck steht ein großes quadratisches weißes Bett im ehemaligen Schlafzimmer der ehemaligen Hausherrin Mary Stuck. Darüber hängen an spinnwebenfein verspannten Nylonfäden lange Ketten und bunte Schnüre mit silbernen und zinngrauen Glöckchen.

Doch was auf den ersten Blick aussieht wie ein romantisch dekoriertes Brautzimmer - und was sieht in der Stuck-Villa, diesem Schatzkästchen des Numinosen, nicht irgendwie dekoriert aus? -, bekommt bei näherer Betrachtung und längerer Überlegung eine bittere Note. Das Mobile setzt sich zusammen aus Ketten der jüngsten Werkgruppe "Knell The Gender Bell", die Karen Pontoppidan in ihrem Münchner Atelier schuf.

Nun sollte niemand im Museum auf die Idee kommen, diese aus dünnen Folien zusammengenähten und geklebten Totenglöckchen zum Klingen zu bringen, sie klingen nicht, sie haben allenfalls schwach scheppernde oder dumpf pochende Stimmen, die an den dünnhäutigen Wandungen verebben oder sie mit der Zeit des Getragenwerdens verformen und aufbrechen würden. Aber für den Museumsbesucher, der nichts berühren und nichts ausprobieren darf, lohnt sich der Blick in die Glocken - dafür ist das Bett da. Rücklings auf dem Bett liegend entdeckt man die Vielfalt der Klöppel: Ein Walross-Penisknochen ist dabei, ein Stück Grafit, Hirschhorn, Holz mit Nägeln beschlagen, ein kopfunter hängendes Idol - lauter eigenartige, teils provozierende Gebilde, die unter der bergenden wie beengenden Haube der gleichförmigen Genderbells eine sperrige, geheimnisvolle Existenz haben.

Aufbruch, Ausbruch, Protest, das sind Karen Pontoppidans Themen von Beginn ihrer Künstlerlaufbahn an. Die Dänin, die nach neun Jahren Professur am berühmten Stockholmer Ädellab (Edellabor), 2015 an die Akademie der Bildenden Künste in München berufen wurde, erzählt, sie habe schon als 13-Jährige entschieden, Schmuckkünstlerin zu werden. Da lebte sie noch auf dem Hof der Eltern. Künstler werden, hieß frei sein dürfen, frei von Erwartungen, Konventionen, Rollenzuweisungen. Nach einer handwerklich soliden Ausbildung am Berufskolleg für Formgebung, Schmuck und Gerät in Schwäbisch Gmünd, ging Pontoppidan dann 1991 folgerichtig zu Otto Künzli an die für Schmuckkunst bekannte Münchner Akademie.

Ihre erste Werkgruppe an der Schwelle zur Selbständigkeit taufte sie Blumen & Boller - eine Stinkefinger-Abrechnung mit der Gattung Schmuck und dem feinen Handwerk. Auf einfachen Ringschienen sitzen unförmige Emaillehaufen mit den absurdesten Applikationen, schillernd, dreckig, obskur, grob, verspielt, unflätig, aggressiv und in jedem Fall auffällig. In der Ausstellung wird diese frühe Werkgruppe sinnigerweise in der historischen Eingangshalle der Stuckvilla in einem kleinen Gewächshaus präsentiert, in dem normalerweise Salate und Gemüse vorgezogen werden, bevor sie ins Freiland kommen. Ein schönes Bild für den Anfang. Auch wenn die Künstlerin in ihren Werkgruppen, immer wieder die gerade bei Autorenschmuck virulente Frage nach dem Nichtschönen stellt und damit auch die Toleranz gegenüber dem Andersartigen testet, so nehmen sich die ansonsten widerspenstigen Werkgruppen in den prunkvollen Räumen der Fin-de-Siecle-Künstlervilla trotz der betont rauen Inszenierung mit Sonnenuntergangsposter, Raufasertapeten oder sägerauen Holzlatten geradezu harmonisch aus. Da hängen die Kapseln der "Family Portraits", für die die Künstlerin geerbte Zinnkrüge und Teller zusammenschmolz, zu kleinen Platten auswalzte und diese locker zusammenheftete, in einem Hausgerüst, dessen raumumfassende Linien auf das Wunderbarste mit der goldenen Zeichnung des historischen Wandfrieses korrespondieren.

Die Ausstellung in der Villa Stuck ist mehr als andere Ausstellungen eine Gratwanderung: Wie weit kann sich kleinformatige Kunst, die so sehr darauf angewiesen ist, bewusst gewählt und am Körper auf die Straße und in die Gesellschaft getragen zu werden, ihre Aussagekraft in einem übermächtig luxurierenden Ambiente bewahren? Kommt die Widerspruchshaltung der künstlerischen Statements überhaupt zum Tragen oder geht sie im Fluidum von Intarsien, Stuck und Goldgrund unter?

Auf dem Weg durch die Künstlervilla lernen die Besucher neun Werkgruppen von Karen Pontoppidan kennen, jeder dieser Gruppen liegt dabei eine andere Überlegung zu Kunst, Schmuck und Gesellschaft, zu Identität und Gruppenzugehörigkeit zugrunde, jeder Zyklus arbeitet mit anderen Mitteln, sodass keine Werkeinheit, keine kontinuierliche Werkentwicklung, keine Handschrift sichtbar wird. Solche Bedingungen erfolgreicher Kunstproduktion und Vermarktung unterläuft Karen Pontoppidan bewusst und hält sich alle Optionen für neue Themen und Techniken offen. Der Titel der Ausstellung "One Woman Group Exhibition" unterstreicht diese Absage an traditionelle Künstler-Werk-Identifikationen.

The One Woman Group Exhibition. Karen Pontoppidan, Villa Stuck, Prinzregentenstraße 60, bis 5. Mai, Di.-So. 11-18 Uhr, jeden ersten Freitag im Monat bis 22 Uhr

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: