Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Francis Bacon und seine Bücher

Von Kia Vahland

Im Physischen kommt die Malerei zu sich selbst. Schon Tizian wusste um die Verwandtschaft von Haut, Fleisch und Farbe und dem, was nur Maler vermögen: auf Leinwänden und Bildtafeln künstliche Körper zu schaffen, die leibhaftig vor das Auge der Betrachter zu treten scheinen. In dieser Tradition steht, unmissverständlich, auch Francis Bacon, der Maler geschundener Figuren, hängender, quellender, zerfließender Organismen, die in ihrem Leid oft an Kruzifixe erinnern, ohne diese je nachzuahmen.

Verkopft wirkt die eindringliche, existenzielle Kunst des 1909 in Irland geborenen, 1992 gestorbenen Briten sicher nicht. Umso überraschender ist der Zugang des Pariser Pompidou zu seinen Bildwelten: Das Museum gruppiert eine ganze Ausstellung um Bacons Lektüre-Erlebnisse (Bacon en toutes lettres, bis 20. Januar, www.centrepompidou.fr). In abgetrennten, dunklen Kammern kann man sich Ausschnitte aus Büchern vorlesen lassen, die dem Maler wichtig waren; in Vitrinen sind seine Lese-Exemplare zu sehen. Um diese kubischen Bücher-Räume herum gruppieren sich in der Weite des weißen Saals Bacons großformatige Werke, etwa das "Triptychon" von 1970 (unsere Abbildung zeigt die rechte Bildtafel).

Bacon malte nie ab, was er gelesen hat. Er atmete beim Lesen Stimmungen ein und hauchte sie dann mit Hilfe seines Pinselschwungs wieder aus, um seine unglückseligen Gestalten zu beseelen. Die Tragik der "Orestie" des Aischylos färbte auf viele seiner Bilder ab, in manchen meint man die Rachegöttinnen des Dichters auszumachen. Die Sprachkraft von T. S. Eliot riss den Maler ebenso mit, er übersetzt sie in seine eigene expressive Erfindungsgabe. Und den Spannungsfeldern rund um Tod und Eros bei Georges Bataille konnte er nicht widerstehen, zumal ihn mit dem Franzosen der Hang zum Surrealismus verband.

So ist dem Centre Pompidou am Ende eine Ausstellung gelungen, die sich dem Intuitiven mehr als dem Akademischen hingibt und Malerei und Literatur einmal nicht als Konkurrentinnen, sondern als beste Freundinnen behandelt.

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Quelle:
SZ vom 21.12.2019
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