Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Fleisch der Götter

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Die Völklinger Hütte zeigt eine strahlend-opulente Schau altägyptischer Kunst: "Pharaonengold". Monumentale Wirkung entfalten vor allem die Miniaturen.

Von Harald Eggebrecht

Das Köpfchen ist keine zehn Zentimeter hoch, sein ausladender Hinterkopf verweist es in jene Epoche zwischen 1350 und 1333 vor Christus, die der revolutionäre Pharao Amenophis IV./ Echnaton bis ins ästhetisch Expressive hinein geprägt hat. Das Gesicht dieser wundervoll gelungenen Skulptur aus braun-gelbem Quarzit zeigt das Antlitz eines Knaben von zwei bis drei Jahren: Wie die vollen Lippen sanft aufeinander ruhen, wie der Blick entspannt und weich wirkt, dazu die schimmernde Oberfläche der Stein-"Haut" - ein Meister war da am Werk, als er höchstwahrscheinlich den kleinen Prinzen Tutanchaton, den späteren Pharao Tutanchamun porträtierte. So klein der Kopf ist, so ausstrahlungsmächtig und edel ist er. Erstmals ist er in einer öffentlichen Schau zu sehen und thront in einer extra Vitrine, von allen Seiten zu besichtigen.

Der kleine Tutanchaton-Kopf gehört zu einer in dieser Form außerhalb Ägyptens noch nie gebotenen rund 170 Kunstwerke des Alten Ägyptens umfassenden Präsentation im Weltkulturerbe Völklinger Hütte. Der Großteil der Exponate stammt von privaten Leihgebern, die nicht namentlich genannt werden wollen. Feiner, eleganter, zierlicher und schmückender können Armbänder, Ketten, Ringe und Pektorale nicht sein als jene, die zwischen den zyklopischen Maschinen der Industriekultur des 19. und 20. Jahrhunderts in der Gebläsehalle der Völklinger Hütte so Bewunderung auslösend glänzen. Goldschmiedekunst höchster Qualität aus mehr als dreitausend Jahren altägyptischer Geschichte, die nicht einfach Zierrat für die Schönen und vor allem Mächtigen gewesen ist, sondern immer etwas vom Glauben und vom Selbstverständnis der alten Ägypter mitteilt.

Der Goldreichtum Ägyptens war schon im Altertum berühmt, die meisten oberirdisch liegenden Adern ebenso wie die in tiefen Schachtanlagen unterirdisch abgebauten Goldvorkommen lagen in der Wüste östlich des Nil, die ergiebigsten Minen gab es südlich in Nubien.

Der scheidende Völklinger Generaldirektor Meinrad Maria Grewenig, Initiator der Ausstellung, möchte im Katalogvorwort den angeblichen Gegensatz zwischen den Maschinen der Eisenverhüttung und dem Gold der uralten Nilkultur beziehungsreich so verstanden wissen: ",PharaonenGold' thematisiert mit dem Gold den Werkstoff, der wie kein anderer die Idee und Existenz der Völklinger Hütte bestimmte - das Metall. Gold war bei den alten Ägyptern aufgrund seiner besonderen Eigenschaften Äquivalent der Vorstellung von Ewigkeit, des Göttlichen und einer weit über menschliches Vermögen hinausreichenden Weltvorstellung. Das Eisen, das in der Völklinger Hütte geschmolzen wurde, ist wie kein anderer Werkstoff das Element der Neuzeit und damit auch der Industriekultur. Hier begegnen sich über die Jahrtausende zwei große Kulturepochen."

Ein Relieffragment zeigt eine Ente und eine Schwalbe, beide waren ursprünglich koloriert

Tatsächlich lässt sich kaum eine attraktivere Präsentation finden, weil die abgedunkelte Mächtigkeit der Industriemaschinen im Vergleich zu den raffiniert ausgeleuchteten feingliedrigen Arbeiten der alten Kunsthandwerker die einzigartige Aura dieser Meisterwerke gerade durch den heftigen Kontrast enorm steigert. Dabei zeigen Großfotos, dass die Ägypter ihre eigenen herrscherlichen Monumentalfantasien konsequent umsetzten etwa beim Bau der Pyramiden im Alten Reich ebenso wie beim imposanten Tempel von Abu Simbel im Neuen Reich. Solche Vor- und Darstellungen von Macht und Größe finden sich auch bis in die zarte Miniaturisierung, etwa bei der Statuette von Pharao Chephren, des Sohns von Cheops, der mit Krone in schreitender Position mit geschlossenen Händen gezeigt wird. Die noch nie öffentlich ausgestellte Goldfigur aus Chephrens Regierungszeit 2522 vor 2496 vor Christus ist nur sechs Zentimeter hoch und wirkt dennoch unmissverständlich "groß" und machtvoll.

Ein anderer Aspekt des Monumentalen im Kleinen ist Präzision: Ein Relieffragment aus dem Neuen Reich, 18. Dynastie, bietet zwei Tiere, die zugleich Hieroglyphen sind. Oben eine Ente, die für das Wort "sa" steht, das so viel wie "Sohn " bedeutet. Darunter eine Schwalbe für das Zeichen und den Lautwert "wr", was "groß, alt" meint. Beide Vögel waren ursprünglich noch koloriert, wie Farbspuren zeigen. Der Handwerker, aus dessen Werkstatt dieses Kalksteinbruchstück stammt, hatte sie in geradezu kristalliner Schärfe und Unverkennbarkeit in den Stein geschnitten. Auch andere alte Kulturen, von den eiszeitlichen Jägern angefangen, bestechen ja in der Darstellung von Tieren, weil die Beobachtungsgenauigkeit der damaligen Künstler so ungestört wie unübertrefflich ist.

Ähnlich präzise und monumental wirkt ein vollplastischer großer Skarabäus aus Serpentinit und in Goldbänder gefasst. Es ist der Herzskarabäus des Ipu aus der 18./ 19. Dynastie, also etwa 1550 bis 1185 vor Christus. Die Skarabäen, bei uns als Mistkäfer bezeichnet, galten den Ägyptern als heilige Tiere der Regeneration und der Wiedergeburt. Das große Amulett wurde an einer Kette oder einem Pektoral dem Toten so um den Hals gelegt, dass der Skarabäus über dem Herz des Toten ruhte. Das herrliche Dunkelgrün des Serpentinits symbolisiert die Auferstehung, das leuchtende Gold der Umfassung die Unsterblichkeit.

"Seine Finger sind wie Krokodilleder und er stinkt mehr als Fischlaich", hieß es in einem altägyptischen Text über einen Juwelier

Die technischen Fertigkeiten der antiken Goldschmiede und Juweliere lassen einen aus dem Staunen gar nicht herauskommen, sie beherrschten alles - vom Gravieren, Ziselieren, Ziehen, Treiben, In-Form-Drücken, Tauschieren, Löten, Vergolden und Versilbern über die Techniken des Granulierens, des Gusses, des Durchbruchs und des Färben des Goldes. Doch die Mühen waren dementsprechend, wenn man bedenkt, dass auf Holz- oder Steinbossen etwa ein eiförmiger Stein als Hammer verwendet, mit pinzettartigen Kupferzangen das Goldblech zerschnitten wurde und Meißel und Grabstichel benutzt wurden. In einem altägyptischen Text heißt es über diese Arbeiter: "Ich habe den Metallarbeiter bei seiner Arbeit gesehen, an der Öffnung seines Schmelzofens: Seine Finger sind wie Krokodilleder und er stinkt mehr als Fischlaich. Der Juwelier bohrt beim Perlenaufziehen in allerlei harte Steine. Wenn er die Füllung des Auges vollendet hat, dann sind seine Kräfte geschwunden, er ist erschöpft. Wenn er dann beim Brot des Re sitzt, sind seine Knie krumm geworden."

Für die Technik des Granulierens etwa wurde flüssiges Gold aus einer Holzschale aus etwa einem Meter Höhe in Wasser getropft und teilte sich dabei in viele winzige Kügelchen, die man dann auf eine Goldunterlage applizierte, ohne dabei die Kugelform zu verlieren. Das Wissen dieser Fertigkeit ging nach der Antike verloren und wurde erst Anfang des 20. Jahrhunderts wieder entdeckt.

Der Einfallsreichtum, den die wahrlich kostbaren Ketten und Armbänder in verschiedener Ausarbeitung demonstrieren, bei denen sich Goldperlen in unterschiedlichen Formen und Stärken abwechselnd beispielsweise mit dem leuchtend blauen Lapislazuli oder dem dunkelrotem Granat oder mit hellroten Glasperlen aufreihen, kannte keine Grenzen und das über Jahrtausende hin! Da gibt es einen zehnreihigen Halskragen vom Ende der Zweiten Zwischenzeit um 1550 vor Christus, bei dem sogenannte Hez-Vasen aus dünnster Goldfolie geformt in vier Bändern aufgereiht sind, zum Halsabschluss sich verjüngend und dazwischen gehalten von drei extrem kleinen Goldperlen- und zwei lapislazuliblauen Glasperlenreihen. Wie ein feines Gespinst legte sich gewiss dieser schimmernde Kragen um den Hals seines Trägers oder seiner Trägerin.

Kleine Ton- und Steingefäße dienten zur Aufnahme von Salben, Duftölen und Parfüms

Das ist nur einer von diesen grandiosen Schmuckkrägen aus Gold, Fayence, Lapislazuli neben prachtvollen Ohrringen, Armbändern und anderen Herrlichkeiten, die hier zu sehen sind. Besonders eindrucksvoll wirkt das Medaillon auf dem breitesten der drei Armbänder des Königs Herihor, der von etwa 1076 bis 1066 vor Christus in der 20. Dynastie herrschte: Ein unbearbeiteter großer Türkis ragt gleichsam wie ein lebendes Tier aus dem Medaillonfeld heraus. Alles, was von dem Schmuckstein frei bleibt, ist vielfältig ausgeziert.

Einige kleine Ton- und Steingefäße dienten einst zur Aufnahme von Salben, Duftölen und Parfüms. Auf manchen langhalsigen Tonflaschen stecken noch die Lehmpfropfen zum Schutz der Wohlgerüche darin. Sich Herrichten, Schminken und Parfümieren gehörte genauso zu den Ritualen der Festlichkeiten wie kunstvolle Frisuren. Zwei Kämme und eine Haarnadel aus Sykomorenholz weisen darauf ebenso hin wie die aus Gold gewirkten flexiblen, also nachgebenden Haarhauben, von denen einige Fragmente künden.

In einer der Parfümflaschen fand man Reste der aufbewahrten Substanz. Die wurde analysiert nach allen Regeln moderner Verfahren. Heraus kam ein blumig-fruchtiger Duft. Leider gibt es keine Riechprobe, sonst könnte jeder Besucher wenigstens ahnen, wie die feinen Damen im Neuen Reich zuzeiten von Pharao Amenophis I. geduftet haben mögen.

Pharaonengold. 3000 Jahre altägyptische Hochkultur. Weltkulturerbe Völklinger Hütte. Bis 24. November. www.voelklinger-huette.org. Katalog 27, 50 Euro.

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Quelle:
SZ vom 12.08.2019
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