Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Fade arische Vierlinge

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Die Münchner Pinakothek der Moderne wagt ein Experiment. Sie konfrontiert Werke von Nazi-Malern mit "Entarteter Kunst". Die Moderne trägt einen triumphalen Sieg davon.

Von Gottfried Knapp

Die Eröffnung des NS-Dokumentationszentrums in München hätte der äußere Anlass dafür sein können, dass die Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, die nach dem Krieg beträchtliche Teile der bildnerischen Hinterlassenschaften des NS-Regimes erbten, in ihren Depots nach Kultobjekten aus den Münchner NS-Bauten suchen, um sie im Museum Bildwerken gegenüberzustellen, die damals als "entartet" gebrandmarkt worden sind. Doch in den Staatsgemäldesammlungen wurden schon seit langem Überlegungen angestellt, wie man mit der braunen Erbschaft verfahren will und unter welchen Bedingungen man die Arbeiten der Welt zeigen könne.

Unter dem Titel "GegenKunst" hat man jetzt einen ersten Versuch gemacht, Hauptwerke der Nazi-Kunst, die damals als Offenbarungen des deutschen Geistes gefeiert worden sind, mit Werken zu konfrontieren, die damals aus den deutschen Museen entfernt und am Pranger der Ausstellung "Entartete Kunst" bespuckt worden sind. Je einer Monumental-Skulptur und einem gemalten Triptychon auf der einen Seite antwortet eine Skulptur und ein Triptychon auf der anderen. Die auf diese Weise erzeugten Gegensätze sind so elementar und sprechen so mächtig für die eine Seite, dass man sich fragen könnte, warum solche klärenden Gegenüberstellungen nicht schon früher gewagt wurden.

Die hier beteiligten Künstler - die Nazi-Größen Adolf Ziegler und Josef Thorak auf der einen, Max Beckmann und der im Konzentrationslager ermordete Pionier der abstrakten Plastik Otto Freundlich auf der anderen Seite - machen uns die Entscheidung verhältnismäßig leicht. Hätte man Werke der Neuen Sachlichkeit neben die Arbeiten der NS-Künstler gestellt, wäre die Abgrenzung deutlich schwerer gefallen.

Das Triptychon "Die vier Elemente" von Adolf Ziegler, dem höchsten Kunstrichter des Reichs, erfreute sich seinerzeit größter Beliebtheit: Es vertrat Deutschland 1937 auf der Weltausstellung in Paris; bei der Eröffnung des Hauses der Deutschen Kunst war es höchst prominent platziert; und als Hitler es erwarb, wanderte es in der "Wohnhalle" des Führerbaus an die Wand über dem Kamin. Da es auch fleißig nachgestickt wurde und als Postkarte omnipräsent war, wurde dem Erfinder der vier nackten Damen der Spottname "Meister des deutschen Schamhaars" verliehen.

Die Vier Elemente galten zu allen Zeiten als die vier gegensätzlichen Urkräfte des Lebens. In allen allegorischen Darstellungen des Themas prallen darum Kraftnaturen der widersprüchlichsten Art aufeinander. Bei Zieglers peinlich symmetrischer Bewegungsstudie aus dem Aktstudio aber ist alles Elementare getilgt: Die vier blassen blonden Mädchen, die unnatürliche Bewegungen einstudiert haben, sehen aus wie eineiige arische Vierlinge, die auf unbequemen Sitzen ausharren müssen, bis der Meister das letzte Schamhaar angebracht hat. Wie man diese vier eingeschlafenen Geschöpfe dem Volk jemals als Inbegriff des sprudelnden, windbewegten, feurigen oder erdhaft fruchtbaren Lebens hat andienen können, bleibt ein Rätsel. Aber vielleicht haben angesichts der vom Meister betulich zelebrierten Nacktheit inhaltliche Fragen keine Rolle mehr gespielt.

Beckmanns großes Triptychon mit dem Titel "Versuchung" aus dem gleichen Jahr wie Zieglers "Elemente" ist eine der härtesten Darstellungen menschlichen Leidens und blinder Gewalt. Natürlich kann man die auf den Flügeln angedeuteten Grausamkeiten nicht direkt auf das beziehen, was Beckmann damals als verfemter Künstler und Lehrer erlebt hat. Aber wenn man aus unserem Jahrhundert zurückblickt auf die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, dann bekommt Beckmanns Triptychon eine brennende Aktualität, Zieglers Triptychon aber verdämmert im Nichts.

GegenKunst. "Entartete Kunst" - "NS-Kunst" - Sammeln nach '45 . Pinakothek der Moderne, München. Bis 31. Januar 2016.

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SZ vom 20.05.2015
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