Ausstellung:Exakt gesetzte Linien

Eine Wiederentdeckung: Das Museum Penzberg Sammlung Campendonk zeigt expressionistische Malerei und Holzschnitte des in Österreich sehr bekannten, aber in Deutschland so gut wie vergessenen Werner Berg

Von Sabine Reithmaier

Das Lebensgefühl Werner Bergs spürt man am besten in der Bergarbeiterwohnung des Penzberger Campendonk-Museums. Eng ist es hier, ein wenig duster, die Fenster sind klein, die Einrichtung ist bescheiden - vermutlich ganz ähnlich dem Rutarhof, in dem der Maler und Bauer mit seiner Familie lebte. Über dem Küchentisch leuchtet das Bild "Ursi und Klara" (1940), Bergs ältere Töchter. Im Schlafzimmer nebenan wacht die heilige Luzia; in einem Stillleben, dessen Arrangement an Gabriele Münter erinnert, löscht der heilige Florian einen nicht sichtbaren Brand. Auch dies späte Werke eines Künstlers, der in Deutschland so gut wie vergessen ist. Zu Unrecht, wie die Ausstellung in Penzberg dokumentiert. Das Museum kann sich rühmen, den Maler zumindest für Bayern wieder entdeckt zu haben.

Ausstellung: Die großen, fragenden Augen Christine Lavants hat Werner Berg, hier in einem Holzschnitt von 1951, oft festgehalten, auch auf großen Ölgemälden. Mit der österreichischen Lyrikerin verband ihn eine intensive Liebesbeziehung, die sein Familienleben massiv erschütterte.

Die großen, fragenden Augen Christine Lavants hat Werner Berg, hier in einem Holzschnitt von 1951, oft festgehalten, auch auf großen Ölgemälden. Mit der österreichischen Lyrikerin verband ihn eine intensive Liebesbeziehung, die sein Familienleben massiv erschütterte.

(Foto: Bildrecht Wien, Anton Brandl)

In seiner Wahlheimat Österreich ist Werner Berg (1904-1981) unverändert bekannt; in der Kärntner Gemeinde Bleiburg/Pliberk ist ihm sogar ein eigenes Museum gewidmet. Von dort kommen auch die 110 Ölgemälde, Zeichnungen und Holzschnitte, die die Kuratorinnen Anne Funck und Friederike Breier in Alt- und Neubau thematisch gliederten. Hierzulande ist der Maler nach 1945 nicht oft präsentiert worden, obwohl sich seine Karriere so vielversprechend angelassen hatte und er in Künstlerkreisen bestens vernetzt war.

Ausstellung: In der musealen Penzberger Bergarbeiterwohnung kann man sich in das Lebensgefühl des Malers und Bauers ziemlich gut einfühlen.

In der musealen Penzberger Bergarbeiterwohnung kann man sich in das Lebensgefühl des Malers und Bauers ziemlich gut einfühlen.

(Foto: Bildrecht Wien, Anton Brandl)

Dass er Bauer werden würde, ahnt bei seiner Geburt 1904 in Elberfeld, heute ein Stadtteil Wuppertals, vermutlich niemand, das Elternhaus ist bürgerlich, der Sohn macht Abitur und versagt sich den Wunsch, Maler zu werden, "unter dem schweren Druck der Zeit nach dem Kriege" (Berg). Sein älterer Bruder ist gefallen, der Vater, von dessen Tod zutiefst getroffen, stirbt 1917. Also macht der jüngere eine Lehre, studiert Handels- und Staatswissenschaften in Köln, wechselt zur Volkswirtschaftslehre nach Wien. Dort lernt er die Studentin Amalie Kuster kennen, seine spätere Frau "Mauki". Ihre Eltern betreiben eine "Milchmeierei" in Hütteldorf, einem Vorort Wiens, und Berg hilft gern in der Landwirtschaft aus.

Ausstellung: Werner Berg, Selbst vor Orange (1936).

Werner Berg, Selbst vor Orange (1936).

(Foto: Bildrecht Wien)

1927 promoviert er und beschließt, doch noch Malerei zu studieren, erst in Wien, dann von 1929 an in München als "Komponierschüler" von Karl Caspar. Noch während des Studiums kauft er 1930 gemeinsam mit Mauki den Rutarhof, einen abgelegenen Bergbauernhof im Kärntner Unterland nahe der slowenischen Grenze. "Der Zwang zur Arbeit, der Lebensrhythmus der Jahreszeiten und seine sehr realen Sorgen schienen mir für die künstlerische Gestaltung stets mehr förderlich als hinderlich zu sein, wie man das auch zu Zeiten verfluchen mochte", schreibt Berg.

Ausstellung: Werner Berg, Sommer (1934).

Werner Berg, Sommer (1934).

(Foto: Bildrecht Wien)

Das Akademikerpaar bewirtschaftet insgesamt 20 Hektar, mit von der Partie ist noch der Dichter Kurt Sachsse. Drei Zivilisationsflüchtlinge, die in einer Welt Wurzeln schlagen wollen, die nicht die ihre ist. Die Arbeit ist hart. Wasser gibt es nur im Brunnen vorm Haus. Erst 1961 - in diesem Jahr hat Berg auch eine Ausstellung im Lenbachhaus - erhält der Hof eine Stromleitung; bis dahin begnügt sich die Familie mit Petroleumlampen.

Werner Berg baut über dem alten Schafstall ein Atelier, nimmt sich Zeit zum Malen, vor allem während der Wintermonate. Vielleicht ein Grund dafür, warum in seinem Werk - nicht in der Ausstellung - eindeutig die winterlichen Motive dominieren. Malt er anfangs noch spätimpressionistisch angehaucht, geht es ihm bald darum, aus seiner neuen Lebensweise auch eine neue Formsprache zu entwickeln. Dass er Noldes Expressionismus schätzt, ist unverkennbar. Die Motive holt er sich aus der nächsten Umgebung, findet sie in Dörfern und Kleinstädten, auf Jahrmärkten, aber auch in Kirchen. Oft zoomt er dicht ans Motiv heran, wählt einen Ausschnitt, setzt exakte Konturen, bevorzugt starkfarbige Flächenmalerei, egal ob es sich um Frauen am Markt, Holzarbeiter, Schausteller, Kühe, Blumen oder sehr oft seine Familie handelt. Unvermutet taucht in seinen Bildern ein Kuhkopf vor den Blumen am Gartenzaun auf, leuchtet eine Kirche zu Allerheiligen verhalten über einem violetten Feld, blüht ein Kirschzweig im Wasserglas auf dem Fensterbrett, übergroß, die im Hintergrund auf einer Wiese spielenden Kinder sind kaum zu sehen.

Ausstellung: Werner Berg, Allerheiligen (1934).

Werner Berg, Allerheiligen (1934).

(Foto: Bildrecht Wien)

Bald schickt Berg seine Bilder, auch von Nolde unterstützt, auf Ausstellungen. Doch schon 1935 wird eine Schau im Kölner Kunstverein auf Anordnung der Reichskammer der bildenden Künste vorzeitig geschlossen, wenig später werden die Bilder als "entartet" beschlagnahmt. Den Zweiten Weltkrieg übersteht er als Sanitäter und Kriegsmaler. Zwischen 1942 und 1945 schafft er, in offiziellem Auftrag, "dokumentarische Landschaften" Skandinaviens. Er tut dies sachlich und deskriptiv. Die präzise Gegenständlichkeit behält er in den folgenden Jahren bei, das bringt ihn in Konflikt mit der Vorliebe für Abstraktion.

Berg malt aus der Anschauung heraus. Meist stützt er sich auf vor Ort erstellte Bleistiftzeichnungen. Die in sich bereits abgeschlossenen Kompositionen überträgt er auf die Leinwand, viel ändert er nicht mehr. Menschen malt er hart an der Grenze zur Karikatur. Ihm geht es offensichtlich eher ums Typische. Je älter er wird, desto stärker reduziert er das Gegenständliche, erfasst die Innenwelt der Außenwelt. Ausgezeichnet sind die Holzschnitte, ausschließlich in Schwarz-Weiß. Während der Zeiten des Holzschneidens entstanden keine Ölbilder, umgekehrt entstanden in den Phasen der Malerei keine Holzschnitte. Auch hier reduziert er die Figuren stark, erreicht mit minimalen Mitteln wie exakt gesetzten Linien maximalen Ausdruck. Beeindruckend ist "Der Taubstumme" (1935), ein bärtiger Mann, dessen Hände nach Hilfe suchen, dazu das kahle Geäst eines Baumes im Hintergrund.

1950 lernt Berg die Dichterin Christine Lavant kennen und lieben. Die beiden gehen durch Himmel und Hölle. Berg fordert von seiner Frau Verständnis für die neue Situation, das von ihm ersehnte Dreiecksverhältnis funktioniert nicht. Die Beziehung endet Anfang 1955 mit einem Selbstmordversuch des Malers. Was bleibt, sind die großartigen Porträts der Dichterin.

Stadt / Land / Werner Berg, Wahlheimat Expressionismus; Sammlung Campendonk, Museum Penzberg, bis 23. Juni

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