Ausstellung: Entartete Kunst:Sensation aus dem Schutt

Das Neue Museum Berlin zeigt Skulpturen, die von den Nazis zur "entarteten Kunst" erklärt worden waren - beim Bau der neuen Berliner U-Bahn-Linie haben Archäologen sie im Boden gefunden. Doch wie kamen sie dorthin?

S. Speicher

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Berliner Skulpturenfund

Quelle: dpa

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Das Neue Museum Berlin zeigt Skulpturen, die von den Nazis zur "entarteten Kunst" erklärt worden waren - beim Bau der neuen Berliner U-Bahn-Linie haben Archäologen sie im Boden gefunden. Doch wie kamen sie dorthin?

Berlin bekommt derzeit eine neue U-Bahnstrecke. Die erste Teilstrecke vom Hauptbahnhof zum Brandenburger Tor ist bereits in Betrieb, nun wird die Fortsetzung nach Westen über die Linden zum Alexanderplatz vorbereitet. Das letzte Stück, zwischen Spree und Alexanderplatz, ist stadtarchäologisch interessant. Hier, wo sich heute eine öde Freifläche um den Fernsehturm erstreckt, lag das alte, dichtbebaute Zentrum, das im Krieg zerbombt und nach dem Krieg abgeräumt wurde. So führen die Archäologen vor dem Roten Rathaus gerade Grabungen durch, um Bau- und Siedlungsgeschichte des Viertels zu erforschen, bevor für den U-Bahn-Tunnel alles zerwühlt wird.

Text: Stephan Speicher/ SZ vom 9.11.2010/sueddeutsche.de/kar

Journalist inspects sculpture that was discovered during archAeological excavations in central Berlin

Quelle: Reuters

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Auf der Suche nach Zeugen der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte begegneten die Archäologen aber zugleich der jüngeren Geschichte. Im Januar dieses Jahres fiel einem Arbeiter ein merkwürdiger Metallgegenstand auf, der von der Schaufel eines Baggers rollte. Mit Baggern nämlich muss zunächst der Kriegsschutt beiseitegeräumt werden, bis man auf dem Kellerboden der Häuser angelangt ist, um dort weiterzugraben. Der Metallgegenstand aber erwies sich als Porträtbüste der Schauspielerin Anni Mewes, ein Werk von Edwin Scharff.

Berliner Skulpturenfund

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Im Sommer und Herbst wurden weitere Skulpturen gefunden, die letzten bei einer Nachgrabung vor 14 Tagen, am 25. Oktober. Insgesamt sind es elf Skulpturen der klassischen Moderne, die sich im Kellerschutt des Geschäftshauses Königstraße 50 (heute Rathausstraße) fanden. Acht Werke konnten bislang identifiziert werden, sie stammen von dem erwähnten Edwin Scharff, von Otto Baum, Otto Freundlich, Karl Knappe (Foto), Marg Moll, Emy Roeder, Gustav Heinrich Wolff und Naum Slutzky. Was die Sache merkwürdig macht:

Berlin Mayor Wowereit and head of Berlin Museum for Prehistory and Early History Wemhoff inspect sculpture that was discovered during archaeological excavations in Berlin

Quelle: Reuters

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Alle identifizierten Werke sind nach 1933 als "entartete Kunst" angesehen und vom nationalsozialistischen Staat beschlagnahmt worden. Einige waren 1937/38 auf der Münchener Ausstellung "Entartete Kunst" zu sehen, zwei tauchten später in einem Film als Requisite auf. In der Komödie "Venus vor Gericht" (1941) kämpft ein nationalsozialistischer Bildhauer gegen den Kunstbetrieb der Weimarer Republik, der ihm keine Chance gibt. Der Lauf der Handlung führt die Helden auch in eine Kunsthandlung, die moderne, also "entartete" Werke verkauft, darunter die "Tänzerin" von Marg Moll und den "Kopf" von Otto Freundlich. Bekannt ist, dass die Werke nach den Dreharbeiten zurück in die Obhut des Reichspropagandaministeriums gelangten.

Berliner Skulpturenfund

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Aber wie kamen sie und die anderen Stücke, die gleichfalls bis 1942 im Propagandaministerium lagerten, in die Königstraße 50? Das ist ziemlich unklar. In dem Haus hatte seit 1941 der Wirtschaftstreuhänder Erhard Oewerdieck sein Büro. Von Oewerdieck und seiner Frau ist bekannt, dass sie im Dritten Reich Verfolgten halfen, so versteckte Oewerdieck seinen jüdischen Büroangestellten zu Hause. Ihm wäre es zuzutrauen, die Kunstwerke zur Rettung übernommen zu haben. Aber wer könnte sie ihm anvertraut haben? Sie stammten ja nicht aus dem Besitz von Verfolgten, sondern aus staatlichem Gewahrsam. Gab es im Ministerium einen wohlmeinenden Menschen, der die Werke aus dem Depot schmuggelte, um sie in treue Hände zu geben? Oder sollte Oewerdieck sie für das Reich im Ausland verkaufen?

Berliner Skulpturenfund

Quelle: dpa

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Matthias Wemhoff, der Direktor des Museum vor Vor-und Frühgeschichte, das zu den Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz gehört und auch die Berliner Landesarchäologie versieht, ist sich nicht sicher, dass die Spur Oewerdieck die richtige ist. Sein Haus hat in respektgebietender Schnelligkeit die Funde wissenschaftlich bearbeitet, einen kleinen Katalog erstellt und die Stücke im Neuen Museum ausgestellt. Ganz aufgeklärt ist der Fall damit noch nicht und auch nicht die Rechtslage. Sind die Werke als Grabungsgut ganz unzweifelhaft Eigentum Berlins?

Pressekonferenz zu verschollen geglaubten Werken 'Entarteter Kunst'

Quelle: dapd

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Die für die Öffentlichkeit neugewonnen Werke gehören wohl nicht in die erste Reihe der modernen Kunst. Es war, wie Ursel Berger, Direktorin des Kolbe-Museums, sagte, keine "Sammlerkunst", sie wurde nicht von den großen Galerien vertreten und den potenten Kennern gekauft. Ihre Geschichte aber sichert ihnen unseren Respekt.

© sueddeutsche.de/kar
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