Ausstellung:Digitale Nomaden

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Zeitgenössische Fotografie in der Pinakothek der Moderne

Von jonas lages, München

Ist das eine Druckerpresse oder ein Folterinstrument? Das fragt man sich, wenn man vor der Arbeit von Calla Henkel und Max Pitegoff steht. Sie wirkt, als hätte das Duo zweieinhalb Stockbetten aus Stahl aufgereiht und die Lattenroste durch Walzen ersetzt. Über die läuft ein mit Fotografien bedrucktes Gummiband. Schnappschüsse von Flughäfen und öffentlichen Gebäuden in Washington. Durch die zirkulierende Apparatur bekommt die anonyme Leere der Bilder etwas Unheimliches. In der Pinakothek der Moderne setzen sich unter dem Motto "Private Public Relations" vier weitere Künstler mit dem Verhältnis von Fotografie und Öffentlichkeit im digitalen Zeitalter auseinander. Es ist bemerkenswert, wie weit sich viele Arbeiten in der von Melanie Bühler kuratierten Schau von der digitalen Bildsphäre entfernen.

Neben dem Berliner Duo Henkel-Pitegoff ist das bei Erin Jane Nelson am augenfälligsten. Sie zeigt drei Quilt-Collagen, die sich aus verschiedenen Mustern und mit Fotos bedruckten Stoffen zusammensetzen. Die digitale Welt bricht in Mail-Auszügen und Chat-Verläufen in die Werke ein. Die US-Künstlerin verwebt diese Fragmente zu kleinen Geschichten und verbindet so die Folk Art ihrer Südstaaten-Heimat mit der Lebensrealität im Silicon Valley. Die öffentliche Kehrseite des Tech-Booms - Gentrifizierung, Verarmung - werden auf den Fotos sichtbar. Einmal sieht man einen urbanen Nomaden zwischen einer Mülltonne und einem Torgitter stehen. Seine weißen Socken tragen einen Schriftzug: USA.

Ebenso detektivisch kann man sich den Werken von Sadie Benning nähern. Ihre Fotos wirken wie jene Straßenbildchen, mit denen Google überprüft, ob man ein Roboter ist. Nur ist hier das Entziffern schwerer, weil alles hinter einer Wand aus Regen verschwimmt. Die fragmentierten Farbschlieren entziehen sich der Gegenständlichkeit. "Sehen ist größtenteils eine Projektion, eine Art Traumzustand - eine obskure Kombination aus Wissen und Nicht-Wissen", sagt Benning. Selbst dort, wo die Bilder der Ausstellung über Bildschirme oder Beamer präsentiert werden, wird die Medialität ihrer Produktion und Rezeption gebrochen. In einer Mischung aus Performance und Videoinstallation hat etwa Nina Könnemann eine transatlantische Videokonferenz kreiert - von einem McDonald's in Wien bis zu einer Fähre in New York.

Das politischste Werk der Ausstellung stammt von Massimo Grimaldi. Er übersetzt das ökonomische Gefälle zwischen dem Westen und Afrika in eine Blickachse: Auf dem Boden stehen zwei Apple-Computer, auf denen Aufnahmen aus einem Kinderkrankenhaus in der Zentralafrikanischen Republik laufen. Grimaldi nimmt an Kunstwettbewerben teil, um die Preisgelder an Hilfsorganisationen zu spenden. Die Differenz von Medium und Bildinhalt spiegelt die Art, in der im Westen das Elend der Welt konsumiert wird. Es ist zugleich ein Werk der Hoffnung und Entfremdung.

Fotografie Heute: Private Public Relations, bis zum 7. Oktober, Di.-So. 10-18 Uhr, Do. bis 20Uhr, Sammlung Moderne Kunst in der Pinakothek der Moderne, Barer Straße 40

© SZ vom 16.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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