Ausstellung:"Dieses teuflische Weib"

Ausstellung: James Joyce 1939 in Paris, fotografiert von Gisèle Freund.

James Joyce 1939 in Paris, fotografiert von Gisèle Freund.

(Foto: IMEC, bpk/oh)

Der Kunstraum Nürnberg zeigt Fotografien von Gisèle Freund

Von Florian Welle, Nürnberg

Sie schuf das intellektuelle Bildgedächtnis des 20. Jahrhunderts: Gisèle Freund. Kaum ein Literat, Künstler oder Philosoph, den die Fotografin nicht vor ihre kleine Leica geholt hätte. Sie porträtierte Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, Frida Kahlo und Diego Rivera, Adrienne Monnier und Sylvia Beach, Vita Sackville-West und Harold Nicolson, Virginia und Leonard Woolf. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Gisèle Freund - 1908 als Sophia Gisela Freund in Berlin geboren, 1933 vor den Nazis nach Paris geflohen und dort 2000 gestorben - war schon zu Lebzeiten eine mythische Gestalt, über die man alles zu wissen glaubte. Nicht zuletzt Freund selbst strickte kräftig mit an der Legende der mit allen Künstlern von Rang und Namen eng verbandelten Fotografin.

Die Berliner Akademie der Künste konzipierte im vergangenen Jahr gemeinsam mit der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur, sowie dem französischen Institut Mémoires de l'édition contemporaine (IMEC) eine Ausstellung, die Leben und Werk Freunds 14 Jahre nach ihrem Tod erstmals einer kritischen Bestandsaufnahme unterzog. Bis Ende Juni ist sie nun noch im Kunsthaus Nürnberg zu sehen - ein Besuch, der mehr als lohnt. Die Kuratoren förderten das eine oder andere interessante Detail zu Tage, das zu einer realistischeren Einschätzung der Frau mit der Kamera beiträgt.

Die Farbporträts, die Gisèle Freund von Virginia Woolf gemacht hat, sind Ikonen. Etwa eineinhalb Jahre vor dem Selbstmord der Dichterin entstanden, haben sie unser Bild von Woolf als hochsensitiver, depressiv in sich eingekapselter Persönlichkeit geprägt. Freund wiederholte zeitlebens, die Authentizität ihrer Aufnahmen rühre von der innigen Nähe zu den Künstlern. "Und weil die Freundschaft und nicht das Geld uns verband, sind diese Fotos das geworden, was sie sind. Es war gewissermaßen das goldene Zeitalter der Reportage", sagte sie einmal.

Virginia Woolf und die Fotografin kannten sich jedoch vor der Sitzung gar nicht. Zudem hatte Woolf damals nur unter der Bedingung zugestimmt, dass die Bilder nicht gezeigt und veröffentlicht würden. Daran hielt sich Freund nachweislich nicht. Entsprechend wütend war Woolf, wie sie Vita Sackville-West im August 1939 schrieb: "Ich bin außer mir. Dieses teuflische Weib Gisèle Freund erzählt mir ganz ruhig, dass sie diese verd. . .n Fotografien zeigt - dabei habe ich zur Bedingung gemacht, dass sie das nicht dürfte."

Ganz ähnlich verhielt es sich auch bei James Joyce. Auch mit ihm war Freund keineswegs näher bekannt. Gleichwohl schuf sie eindrückliche Porträts, die heute ebenfalls den Status von Bildikonen genießen. Dabei spielt sicherlich eine Rolle, dass Freund die erste war, die die europäische Geisteselite in Farbe festhielt. 1938 brachten Kodak und Agfa fast gleichzeitig den Farbfilm heraus, und die junge Fotografin war davon sofort begeistert. Weniger enthusiastisch waren allerdings die Porträtierten. Der junge Sartre etwa soll über die fotorealistischen Details nach Aussagen Freunds "not amused" gewesen sein.

Wandert man durch die schlicht gehängte Ausstellung, bei der nichts von den insgesamt 280 zum Teil unveröffentlichten Fotografien aus der Zeit von 1935 bis 1965 ablenkt, fällt zudem auf, wie Freund die Künstler in den immer selben Posen inszenierte. Kaum ein Dichter, der nicht raucht, in einem Buch liest oder mit der Hand an die gekräuselte Denkerstirn fasst. Untrennbar mit dieser Pose verbunden ist für uns heute vor allem: Walter Benjamin. Mit dem Philosophen verband Freund nun in der Tat eine enge Freundschaft, die bis zu Benjamins Tod 1940 halten sollte. Seit Mai 1933 lebte Freund in Paris. Dort arbeitete sie an einer Dissertation über die Geschichte der Fotografie im Frankreich des 19. Jahrhunderts. In der Bibliothèque Nationale lernte man sich kennen. Vor allem aber spielte Benjamin mit Freund Schach. Und er ließ sich fotografieren.

Die Ausstellung in Nürnberg zeigt zum ersten Mal sämtliche Porträts, die Freund von Walter Benjamin aufgenommen hat. Weil viele von ihnen den Gestus der Spontaneität atmen, zum Teil auch verwackelt sind, sind sie wesentlich wahrhaftiger als all die uns so sattsam bekannten, gestellten Fotografien.

Gisèle Freund - Fotografische Szenen und Porträts. Kunsthaus Nürnberg, Königstr. 93; bis 21. Juni; Katalog im Nicolai Verlag, 39,95 Euro

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: