Ausstellung:Das Rätsel des Uhrwerks

Ausstellung: Sichtbare Verletzlichkeit - Bronzekopf eines Bärtigen (um 250 vor Christus).

Sichtbare Verletzlichkeit - Bronzekopf eines Bärtigen (um 250 vor Christus).

(Foto: K. Xenikakis, Nationalmuseum in Athen)

Das Antikenmuseum Basel präsentiert den versunkenen Schatz aus dem Wrack von Antikythera.

Von Harald Eggebrecht

Das vielleicht schönste Stück ist ein gläserner Trinkbecher syro-palästinensischer Herstellung. Zuerst besticht die vollkommene Form, dann aber das rauchige Glas selbst: So elegant wie dekorativ wehen darin orangebraune Schlieren, als ob die heiße Flamme im Glas nachzüngelte. Geborgen wurde er mit einem Konvolut aus Marmorstatuen, Bronzefiguren, kostbaren Keramiken, Schmuck und anderen Schätzen. Er stammt aus einem Schiff, das irgendwann um 70 vor Christus an der kleinen Insel Antikythera zwischen Peloponnes und Kreta havarierte und versank. Glas war damals kostbar, doch im Wrack fand man einiges: Mosaikgläser aus Ägypten, Trinkschalen aus Kleinasien. Da Glas im Meerwasser nicht korrodiert und der entstandene Kalküberzug konserviert, hat man nach der Restaurierung den Becher so schön wie am ersten Tag vor sich.

Als 1900 zwei Schwammtaucher vor der Küste Antikytheras in etwa fünfzig Meter Tiefe Gegenstände aus Bronze entdeckten, die sich als Statuenarme entpuppten, begann eine erste Expedition und mit ihr die Unterwasserarchäologie an diesem bis heute keineswegs zu Ende erkundeten Fundort. Hier war ein Frachtschiff auf dem Weg nach Rom gesunken. Kein Transporter mit üblicher Handelsware wie Naturalien, Ölen, Stoffen und anderem Gut im regen Seeverkehr zwischen Rom und dem östlichen Mittelmeer. Dieser Frachter war außergewöhnlich, weil er mit griechisch-hellenistischen und anderen Attraktionen hochbeladen war, nach denen Rom lechzte und gut dafür bezahlte.

1976 tauchte auch Jacques Cousteau mit der Crew seines Forschungsschiffs Calypso zum Wrack hinunter und holte vieles ans Tageslicht von dem, was nun in einer aufwendig gelungenen Inszenierung im Antikenmuseum Basel zu sehen ist, zum ersten und wohl einzigen Mal außerhalb Griechenlands. 2014 wurde eine neue Expedition wieder fündig, demnächst wird man weiter nach Bronzefiguren, Marmorstatuen, Glaskunst, Keramik und Schiffsresten tauchen.

Der inzwischen wohl meist diskutierte Fund ist der so genannte Mechanismus von Antikythera aus dem 2. Jahrhundert vor Christus, dessen durch den Schiffsuntergang und die lange Zeit im Meer zusammengedrückte und -gebackene Zahnradwelt mithilfe von Computerdarstellungen einigermaßen schlüssig entzerrt und rekonstruiert werden konnte. Seitdem reißen die Deutungs- und Erklärungsversuche nicht ab für ein Uhrwerk, das die Bewegungen von Sonne, Mond und den damals bekannten fünf Planeten angezeigt hat, zudem die Berechnung von Sonnen- und Mondfinsternissen ermöglichte und überhaupt als Rechenmaschine funktioniert haben könnte. Eine hypothetische Spur dieses wundersamen Gerätes führt zum Philosophen, Geografen und Astronomen Poseidonios von Apameia, der zu dieser Zeit auf Rhodos lehrte. Auch der Name des Universalgenies Archimedes aus Syrakus schwirrt in den Spekulationen mit.

Nur, was wollten die Römer mit diesem gewiss sensationellen Mechanismus? Oder gehörte er zur nautischen Ausstattung des Schiffes? Ist er einmalig oder hat es mehr von diesen ominösen Präcomputern gegeben? Er ist das Stück, das in Basel nicht anwesend ist, seine Zerbrechlichkeit lässt keinen Transport mehr zu. Dafür kann man gleich drei verschiedene Rekonstruktionen bewundern.

Aber so geheimnisträchtig und staunenerregend der Mechanismus auch sein mag, schöner anzuschauen sind all jene hellenistischen und kleinasiatischen "Luxuria", nach denen es die Römer so gelüstete. Mit den Skulpturen, nach klassischen Vorbildern gearbeitet oder sie variierend, statteten die Betuchten ihre Villen und Paläste aus ob in Rom, Pompeji oder anderswo. Auf rotgefirnisster Sigillata-Feinkeramik wurde bei Festmählern serviert. Wein, Öle, Fischsaucen und anderes ließ man in stapelbarer Vorratskeramik wie den Amphoren und Lagynoi-Krügen anliefern.

Die Basler präsentieren den "Versunkenen Schatz", der so viel über den florierenden Handel und Wandel zwischen Rom, Delos, Alexandria und überhaupt dem östlichen Mittelmeer im letzten vorchristlichen Jahrhundert, auch über das Leben an Bord mitteilt, in einer erlebnisorientierten Opulenz. Die Faszination, die griechisch-hellenistisches Design auf die neureichen Römer ausübte, lässt sich ebenso spüren wie der damals modische Zeitgeschmack sichtbar wird.

Gleich im ersten Raum öffnet sich eine riesige Filmwand mit Blick aufs Mittelmeer. Davor sind einige Paradebeispiele der damals so begehrten griechisch-hellenistischen Plastik zu sehen. Amüsant zu lesen, dass der große Redner Cicero, wie auch die Schriftsteller Sallust oder Livius, einerseits ganz konservativ vor der Verweichlichung und dem Niedergang römischer Tugenden wie parsimonia (Sparsamkeit, Mäßigung) und diligentia (Fleiß, Vorsicht) durch den griechischen Einfluss warnte, andererseits aber seinem Bankiersfreund Atticus nach Athen schrieb, er möge doch so viel wie möglich von den dekorativen Figuren, Reliefs und anderen griechischen Schmuckartikeln für seine Villen an ihn schicken: "Um meinen Geldbeutel braucht dir nicht bange zu sein"; und: "Auf diese Dinge bin ich nämlich so versessen, dass Du diese meine Leidenschaft fördernd, andere sie fast tadelnswert finden müssten."

Die lebens- bis überlebensgroßen alten Marmorstatuen haben im Meer sehr gelitten

Nach diesem mittelmeerischen Beginn taucht man gleichsam durch Wasserlichtspiele hinab zur eigentlichen Ladung. Dabei präsentiert der Parcours technische Details zur damaligen Frachtschifffahrt im Allgemeinen und dem verunglückten Schiff im Besonderen, informiert außerdem über die diversen Transportrouten nach Rom im Mittelmeer damals und heute. Im geschickten Wechsel dazu folgen dann die ästhetischen Höhepunkte der Skulpturen, des Schmucks und sonstiger Kleinkunst.

Die lebens- und überlebensgroßen Marmorstatuen stehen frei im Kieselgeröll. Insgesamt hat man bisher 36 gefunden, intakte, Bruchstücke von noch nicht geborgenen und Statuetten. Sie sind großenteils stark vom Meer in Mitleidenschaft gezogen. Doch berührt gerade die sichtbare Verletzlichkeit mehr als ihre einstige Perfektion. Am besten zu sehen ist das an jenem jungen Ringkämpfer, dessen Kopf und eine Körperhälfte, weil sie im Sande steckten, noch glatt und schön strahlen, während die andere Seite im wahrsten Sinne des Wortes vom Zahn der Zeit stark angefressen ist. Noch eindrucksvoller treffen die Blicke des bärtigen Philosophenkopfes und des edlen Epheben von Antikythera. Den Bronzen hat die Meereskorrosion viel weniger als dem Marmor aus Paros anhaben können. Und so fixiert der Philosoph, etwa 230 vor Christi entstanden, seinen Betrachter unverwandt, als wolle er die entscheidenden Fragen stellen: Woher kommst du? Wer bist du?

Der versunkene Schatz. Das Schiffswrack von Antikythera. Antikenmuseum Basel, bis 27. März, Katalog: 32 Franken.

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