Ausstellung: Cosima von Bonin:Die Ausschlachtung der Niedlichkeit

Lethargische Plüschhasen und erbrechende Stoffhühner: Die Künstlerin Cosima von Bonin stellt im Kunsthaus Bregenz aus.

Catrin Lorch

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Kunsthaus Bregenz, Cosima von Bonin, The Fatigue Empire 2010

Quelle: Kunsthaus Bregenz, Cosima von Bonin / Foto: Markus Tretter

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Lethargische Plüschhasen und erbrechende Stoffhühner: Die Künstlerin Cosima von Bonin stellt im Kunsthaus Bregenz aus.

Das doppelläufige Kneippbecken aus mildgrauem Beton ist so ein Stück Skulptur, dem man wünscht, dass es nach der Ausstellung vergessen wird. Damit es weiterhin in diesem mit Milchglasplatten beschuppten Betonkubus, in dem das Kunsthaus Bregenz am Ufer des Bodensees residiert, seine wohltuende Wirkung entfaltet. Dem Doppelblock hat die Künstlerin Cosima von Bonin noch zwei Vierkantrohre aus rosa lackiertem Stahl aufgesteckt, der besseren Funktionalität wegen. Man muss so eine Skulptur zwischen Minimal und Wirklichkeit ansetzen. Mehr Poesie ist aus den lokalen Verhältnissen sicher nicht herauszudreschen, die Kunst wirkt hier fast orthopädisch. Die im Jahr 1962 in Mombasa geborene, in Köln lebende Künstlerin kehrt mit der Bregenzer Einzelschau "The Fatigue Empire" erstmals wieder zurück ins Ausstellungsgeschehen, seit sie an der Documenta 12 im Jahr 2007 teilnahm.

Text: Catrin Lorch/SZ vom 5.8.2010

Bildauswahl: sueddeutsche.de/feko

Cosima von Bonin Ausstellung in Bregenz

Quelle: Kunsthaus Bregenz, Cosima von Bonin / Foto: Ennio Leanza / dpa

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Dass die Autodidaktin Cosima von Bonin letztlich Bildhauerin wurde, ist vielleicht vor allem deshalb zwangsläufig, weil heute jemand, der etwas zu sagen hat, es am besten auf ein Plakat oder T-Shirt druckt; öffentlicher Diskurs findet statt, wenn man Lyrics formuliert und sich danach ums Merchandising kümmert. Als Cosima von Bonin zu ersten Auftritten in der Kunst geladen wurde, antwortete sie auf Emotionen, die erst später als notorisch für die neunziger Jahre empfunden wurden, wie unerwiderte Selbstliebe, Schönheitsgier, Aversion. Romantik.

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Quelle: Kunsthaus Bregenz, Cosima von Bonin / Foto: Larry Lamay

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Natürlich ließ sich diese Gefühlslage nicht an einem Fahnenmast aufknüpfen; es waren dunkelkarierte, zart bestickte Wolltücher aus der Türkei, die Cosima von Bonin dort hisste, wo sie sich in den Räumen der Kunst - provisorisch - einrichtete. Anstelle von Sockeln zimmerte sie Einbauten - Laufsteg, Hundezwinger oder Waldhütte? -, die ein Terrain markierten, das sie sofort bereitwillig öffnete: für sich, für Musiker, Filmer, andere Künstler, Autoren, Fotografen, Modemacher. Die kulturelle Produktion stand in der Mitte dieses Skulpturbegriffs, nicht am Rand, wo die Kunst, wie jede Avantgarde, ausfranst.

Kunsthaus Bregenz, Cosima von Bonin, The Fatigue Empire

Quelle: Kunsthaus Bregenz, Cosima von Bonin / Foto: Markus Tretter

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Dass in Bregenz nun Moritz von Oswald eingeladen war, die Ausstellung, die sich über alle oberen Stockwerke des Hauses ausbreitet, mit Musik zu unterlegen, ergibt ein für ihr Denken notorisches Bild: Die Plexiglashalbkugeln, die als Sound-Duschen über vielen Skulpturen hängen, die Kopfhörer, die Kabel, Schaltpulte, Verstärker und Boxen sind sichtbar miteinander verbunden - wie der Kreis von Pilzen, den Cosima von Bonin zitiert, wenn sie nach Vergleichen sucht für ihre Wahlverwandtschaften.

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Quelle: Kunsthaus Bregenz, Cosima von Bonin / Foto: Markus Tretter

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Der Pilz ist ja kein Einzelgewächs, vielmehr Ausbuchtung eines Riesen-Organismus, der unsichtbar unter dem Waldboden wuchert. Die "Schattenökonomie jener Themen und Voraussetzungen, welche die Institutionskritik und ihr aktuelles Erbe geprägt haben", nennt das der Kunsthistoriker John Welchmann in seinem Katalogtext. Und es ist stimmig, dass damals, als Bonin diese mit Wollstoff verkleideten Riesenpilze auf dem Kunstmarkt wuchern ließ, die Wissenschaft noch gar nicht den Hallimasch von Oregon entdeckt hatte, der als größter lebender Organismus eine Fläche von knapp zehn Quadratkilometern unterwuchert. Was in Bezug auf Cosima von Bonin Sinn macht, weil sich ihre Kunst, die sich mit Aktionen wie dem "1.Grazer Fächerfest" so ungezwungen zeigte, sich im Nachhinein fast naturhaft in den klassischeren Gebieten ausbreitete.

Kunsthaus Bregenz, Cosima von Bonin, The Fatigue Empire, Hasen

Quelle: Kunsthaus Bregenz, Cosima von Bonin / Foto: Markus Tretter

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In Bregenz ist sie nun entschieden Bildhauerin: Das Haus ist bis unter die Decke voll mit Skulpturen, Reliefs, Installationen, Stoffbildern, sogar ein Auto parkt dort neben seinem Widergänger aus Holz und Stoff, und das Atelier der pädagogischen Abteilung wurde als Ganzes im Obergeschoss nachgebaut. Die Schau beginnt mit acht Stoffbildern aus rosa, bleu und tischtennisplattengrünem Patchwork. Couture-Schneiderinnen haben auf die dezenten Muster fette, vierfingerige Patschhändchen appliziert, deren gelenkige Gestik mit weißem Nähfaden angedeutet ist, als zeige sich ein Schimmer Skelett. Mehr braucht es nicht, damit man an Disney denkt; hier grüßt das Imperium, das die Niedlichkeitsindustrie beherrscht. Cosima von Bonin nimmt die Motive auf, wenn sie im Strandkorb einen Hummer aus Plüsch kauern und rote Stoffhunde auf Sockeln und Gestellen hocken lässt. Wie eine Bewusstlose ist die auberginelila Maus auf einem Tischsockel aufgebahrt; der dunkle Samt ihres Fells schluckt jeden Lichtstrahl.

Cosima von Bonin Ausstellung in Bregenz

Quelle: Kunsthaus Bregenz, Cosima von Bonin / Foto: Ennio Leanza / dpa

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Man kann in der Kunstgeschichte lange suchen, es passt kaum ein Vergleich. Weder mit Mike Kelly, dem abgeliebte Kuscheltiere Rohmaterial für seine Installationen sind, noch mit Joseph Beuys, der sich schamanistisch in eine Installation mit einem lebenden Kojoten begab. Einen bunten Hund kann man ja kaum um Seelenverwandtschaft bitten. Zumal die Menagerie der Olympiadackel von Cosima von Bonin als Klitterung entworfen ist; stets besitzen die Biester zu viele oder zu wenige der Eigenschaften, die ihnen von den Plüschzüchtern angehext wurden. Es ist, als biege Cosima von Bonin hier noch einmal die Matrix zurecht, die den zeitgenössischen Alb steuert. An der Entschlüsselung solcher Mythen des Alltags ist diese "semantisch rege aber bewusst ausweichende" Kunst aber nicht weiter interessiert. Überraschenderweise ist den Kindermotiven, den sauber zugeschnittenen Mustern und watteweichen Polsterungen auch nicht Selbstgehäkeltes zu eigen, womit Cosima von Bonin sich elegant aus der Affäre der klassisch-feministischen Kunst zieht. Ihre Kunst sagt sicher nicht "nein" zu Carolee Schneeman oder Judy Chicago, vielleicht nicht einmal zu Tracey Emins exhibitionistischem Zelt, fühlt sich aber wohl eher Künstlerinnen wie Isa Genzken oder Rosemarie Trockel verbunden, denen Wollknäuel, Plastik-Tiere, Souvenirs und Stoffrapport eher Material zum Ausschlachten sind.

Kunsthaus Bregenz, Cosima von Bonin, The Fatigue Empire, Hasen

Quelle: Kunsthaus Bregenz, Cosima von Bonin / Foto: Rudolf Sagmeister

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Dass die Bregenzer Werkschau nun - neben Martin Kippenberger - auch Thomas Bernhard in den Pilz-Kreis aufnimmt, ist nicht nur folgerichtig, weil die heranwachsende Künstlerin einige Jahre in Salzburg verbracht hat. Sondern auch, weil man so in die Installationen auch Monitore stellen kann, auf denen der Schriftsteller am Rand mallorquinischer Swimmingpools erscheint, was vor der bodenseegrün umschwemmten Bergkulisse als erfrischend ausgekachelter Gegenstrom sprudelt. Und nicht zuletzt, weil sich Thomas Bernhards Erzählung "Amras" fast wie eine Handlungsanleitung zu Cosima von Bonins plastischem Schaffen liest: Bernhard schildert das Schicksal von zwei Brüdern, die nächtelang "immer wieder die Tische und Sessel und Bänke und Kasten" unter "närrischen, konfusen Zurufen" und "Sätzezerbröckelungen" herumschoben.

Kunsthaus Bregenz, Cosima von Bonin, The Fatigue Empire, Hasen

Quelle: Kunsthaus Bregenz, Cosima von Bonin / Foto: Markus Tretter

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So hält man dieser Ausstellung schlussendlich fast zugute, was einen stört: Dass sie zu virtuos produziert ist, eklektischer sein müsste, sich selbst zitierend nicht vom Fleck kommt: Außer dem Kneipp-Becken gibt es wenig zu sehen, was als Einzelobjekt planvoller wirkt als die Bodensee-Umgebung. Beispielsweise ist es weder für das Werk von Martin Kippenberger noch für die Touristenstadt Bregenz von Belang, dass hier auf einem dieser hohen Schiedsrichtersessel vom Tenniscourt noch ein Pinocchio sitzt, dem eine Spinne von der Nase baumelt. Aber vielleicht, so soufflieren es der Katalog und ungefragt auch Thomas Bernhard, ist es das, was am österreichischen Ufer des Bodensees angezeigt ist: Stühle rücken, Sätze zerbröckeln, Vermeidungsanordnungen und Aversionstherapie - was klingt, als bestätige man dieser Kunst, dass ihre Stimme immer noch ganz die alte ist, jetzt, wo sie in vornehmere Etagen umgezogen ist.

Kunsthaus Bregenz, Cosima von Bonin, The Fatigue Empire

Quelle: Kunsthaus Bregenz, Cosima von Bonin / Foto: Markus Tretter

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"The Fatigue Empire" ist eben auch eine dieser Wortbild-Erfindungen, die wie Kitt die fehlenden Zusammenhänge zwischen den Werken auskleidet, andeutet, man könne vielleicht nach all den Anstrengungen der Kunst, nach Konzept, Figuration, Happening, nicht etwa aus einem Nachlassen der Kraft, sondern vielmehr durch Bündelung der Ermüdungen etwas Größeres errichten. Die Buchstaben sollen verankern, was allzu leicht das Atelier verlassen hat. Immerhin, an der Kunsthaus-Kasse kann man schon mal rosa T-Shirts kaufen, auf deren Rücken das Versprechen vom "Müden Reich" steht.

© SZ vom 05.08.2010/feko/rus
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