Ausstellung:California Dreamin'

Die Ausstellung "Thomas Mann in Amerika" im Literaturmuseum in Marbach zeigt die Werke, die der Autor im Exil geschrieben hat.

Von Volker Breidecker

"Heimkehr - eine Art davon", heißt es unter dem Datum des 16. September 1939 im Tagebuch des deutschen Emigranten Thomas Mann bei Ankunft in der beschaulichen Universitätsstadt Princeton. Die Übersiedlung nach Amerika als dem "Schicksals- und Notheim vielleicht für den Rest meines Lebens" war damit vollzogen. Von Europa und seinem Schweizer Zwischenexil hatte sich der Dichter zuletzt auf der Bühne des Zürcher Schauspielhauses mit einer Lesung aus dem unvollendeten Roman "Lotte in Weimar" verabschiedet. Als Äquivalent und Transferprodukt weltbürgerlicher Kultur beglaubigte das in Princeton fertiggestellte Buch Thomas Manns berühmt gewordenen Satz: "Wo ich bin, da ist Deutschland."

Vier wuchtige Überseekoffer aus Familienbesitz türmen sich vor dem Zugang zur Ausstellung des Marbacher Literaturmuseums der Moderne über die vierzehn Jahre, die Thomas Mann mit Frau und Kindern im amerikanischen Exil verbrachte. Den Koffern, die wie die meisten Exponate aus dem im Thomas-Mann-Archiv der Zürcher ETH verwahrten Nachlass stammen, ist anzusehen, dass sie mehr als eine Atlantiküberquerung hinter sich haben: Zwischen 1934 und 1939 hatte Thomas Mann die USA bereits vier Mal bereist: Auf ausgedehnten Vortragsreisen von Ost nach West und Nord nach Süd trat der gefeierte Literaturnobelpreisträger als Botschafter eines anderen Deutschlands auf, das Amerika für die Sache der Humanität und der Demokratie gegen Nationalismus und Barbarei wachzurütteln suchte.

Die Politisierung des einst bekennerhaft "Unpolitischen" war anfangs - 1933 - noch lange nicht so entschieden ausgemacht wie für den Einwanderer, der nach einer weiteren Übersiedlung 1941 an die Westküste die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm, dessen Sohn Klaus mit der U.S. Army in den Krieg gezogen war und dessen älteste Tochter an der Seite des Vaters von 1941 bis 1945 über den deutschsprachigen Dienst des BBC auch wieder nach Europa "gerundfunkt, gebroadcasted" (Erika Mann) hatte. Noch im Juni 1933 hatte der jüngste Nachkomme Golo seinem Tagebuch anvertraut: "Der Alte schwankt wie eine geköpfte Wespe hin und her." Neben den Kindern waren es die vielen vorwiegend jüdischen Exilgenossen, die auf ihren Fluchtwegen nirgends auch nur annähernd so privilegierte Lebens- und Arbeitsbedingungen vorfanden wie Thomas Mann in der Schweiz und in Amerika. Als "Schutzherr des Stammes der Schriftsteller" (Ludwig Marcuse) half jener, wo er nur helfen konnte.

Die Ausstellungsmacher um die scheidende Museumschefin Ellen Strittmatter haben sich weit mehr zu zeigen vorgenommen als nur die äußeren Bedingungen von Manns amerikanischem Exil und den Politisierungsprozess eines zum überzeugten Demokraten gewandelten Geistesaristokraten. An den Übergängen und Schnittstellen von Zeitgeschichte, Biografie und Werk wird in vorwiegend auf Papier - Tagebüchern, Briefen, Zeitungsausschnitten, Fotos und anderen Dokumenten - festgehaltenen Zwiesprachen deutlich, wie Thomas Manns Politik geradezu osmotisch mit seiner Poetik verschmilzt: Ein Schauplatz dafür bietet der am neuen kalifornischen Familiensitz in Pacific Palisades entstandene vierte Band der "Joseph"-Tetralogie: Über der Geschichte von "Joseph der Ernährer" verschränken sich die mythischen Horizonte Alt-Ägyptens mit denen des modernen amerikanischen Sonnenparadieses Kalifornien zur kaum verborgenen Hommage an Franklin D. Roosevelt und die Sozialpolitik des New Deal als einem hoffnungsvollen Modell für eine künftig befriedete Welt.

"Eine Art von Weltgedicht", sagte Thomas Mann, habe er damit schaffen wollen, was er im Nachkriegsroman "Der Erwählte" in ungewohnter Heiterkeit der Darstellung zum weltsprachlichen Pfingstwunder ausdehnt - in Gestalt eines frei flottierenden kosmopolitischen "Geists der Erzählung", der ganz unverblümt mit übernationalen Zungen spricht, die keinem abgrenzbaren Idiom mehr zuzuordnen sind.

Das gesegnete Land der Hoffnung aber, dessen Mythos sich der nahe Hollywood lebende Neuamerikaner anverwandelt hatte, weicht am Ende, seit Beginn des Kalten Kriegs und unter dem hasserfüllten paranoischen Klima der McCarthy-Ära, einer erneuten, bitteren Enttäuschung, unter deren Bedrängnis sich die Geschichte des Jahrhunderts wie zurückzudrehen scheint: "Der Gedanke einer wiederholten Emigration spukt längst, und dies Tagebuch" - so im Juli 1950 auf einer Europareise notiert - "kehrt gewissermaßen zu seinem Beginn, Arosa 1933, zurück." Bald darauf brechen die Manns ihre amerikanischen Zelte wie einst die deutschen wieder ab und ziehen im Juni 1952 zurück - nicht nach Deutschland, das nach wie vor "beängstigende Land", sondern - in die Schweiz.

Thomas Mann in Amerika. Literaturmuseum der Moderne, Marbach am Neckar. Bis 30. Juni 2019. Zur Ausstellung ist ein "Marbacher Magazin 163/164" erschienen und kostet 20 Euro.

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