Ausstellung:Bellissima!

Rosenheim Mantova

Italienische Alltagsszenen hat Franco Piavoli in den Fünfzigerjahren eingefangen, hier "meriggio", eine Mittagsstunde in einer Kleinstadt der Po-Ebene. Piavoli ist einer von sechs Künstlerfreunden, die Peter Casagrande nach Rosenheim eingeladen hat.

(Foto: Franco Piavoli)

Die Vielfalt oberitalienischer Kunst zeigt eine von Peter Casagrande kuratierte Schau in Rosenheim

Von Sabine Reithmaier

Viel Zeit ist vergangen, seit Peter Casagrande in der Städtischen Galerie Rosenheim seinen Ausstellungszyklus "Das große Format" startete. Wer 1995 den ersten Saal betrat, stand einem monumentalen Farbenmeer gegenüber. Jetzt flutet ein Meer aus Pappelholzspänen den Raum. Land-Art-Künstler Italo Lanfredini hat darin einen sechs Meter langen Einbaum stranden lassen, beladen mit Amphoren, die - so suggeriert ein locker drapiertes Fischernetz - aus den Tiefen des Meeres gefischt wurden. In den Gefäßen stapeln sich Tontäfelchen mit eingeritzten Verszeilen. Lanfredini hat Schriftsteller um kurze Gedichte für das "Boot der kostbaren Essenzen" gebeten. Und tatsächlich erfasst die Poesie dieser Arbeit den Besucher sofort.

Lanfredini - manchem Sizilienbesucher bekannt wegen seines "Arianna Labyrinths" im Flusstal der Kunst (Fiumara d'Arte) in der Nähe von Tulsa - ist ein langjähriger Freund Peter Casagrandes, genauso wie der Maler Giancarlo Bragoni. Der alten Freundschaft ist die Ausstellung in Rosenheim wohl auch zu verdanken. Freilich zog es Casagrande, in Weilheim geborener Sohn einer Berlinerin und eines Italieners, schon früh nach Italien. Bis heute arbeitet er in zwei Ateliers, eines in Italien, das andere in Maitenbeth im Landkreis Mühldorf. Den Gedanken, unterschiedliche Positionen oberitalienischer Kunst in einer Schau zu zeigen, trug er lang mit sich herum. Fünf Jahre dauerte es von der Idee bis zur Eröffnung.

Die Exponate hat Casagrande ausgesucht, auch Landfredinis Nest aus Weidenholz, das auf sechs Meter hohen Holzstangen schon vor der Galerie für die Ausstellung wirbt. Unbedingt gewünscht aber hatte sich Casagrande einen dritten Lanfredini, eine Installation mit dem Titel "Attanagliamenta". Die großen, aufgereihten Eisenzangen, die sich in brüchige Terracotta-Platten krallen, bilden eine ideale Ergänzungen zu seinen eigenen "Schweinfurt-Bildern".

Drei Tafeln in kühlem Grau, Weiß und Schwarz hat Casagrande ausgewählt aus dem eigentlich zehnteiligen, 70 Quadratmeter großen Gemälde, das er in der Kunsthalle Schweinfurt im Vorjahr geschaffen hat. Ein Work-in-Progress-Projekt - fünf Wochen lang erlebten die Besucher das Entstehen des Bildes mit, sahen ihm zu, wie er malte, schüttete, spachtelte, bis sich Rinnsale, Täler, Erhebungen und Verwerfungen zu einer schrundigen Landschaft fügten. Die Energie, mit der er die Gemälde erschafft, bleibt in den Bildern spürbar. "Dabei war die Arbeit so schwierig", erinnert sich Casagrande. Er durfte nicht - wie sonst immer - mit Öl malen, sondern musste dem Brandschutz zuliebe auf Akryl umsteigen. "Und das verhält sich einfach ganz anders."

Die informelle Malerei verbindet ihn mit Giancarlo Bargoni, der wie Casagrande vielschichtig, großformatig, allerdings nicht so raumfüllend, mit offenen Strukturen arbeitet. Das Vertiefen in die Gemälde lohnt sich, das Auge entdeckt ständig Neues. Im Gartensaal vor den Werken Carlo Bonfás zuckt man erst einmal zusammen. Bunt, kleinformatig, plakativ wirkt der Raum auf den ersten Blick. Doch hinter den Arbeiten steckt eine tiefe Ironie. Das schmucke Brautpaar steht hoch oben auf einem umgedrehten Pömpel, auch Abflussreiniger oder Saugglocke genannt, und ahnt nicht, wie schnell es in die Niederungen des Alltags gesaugt werden wird. Die putzigen Boote, die an Kinderspielzeug erinnern, entpuppen sich als von schwarzen Stacheln umgebene Urnen.

Schneller erfass-, wenn auch nicht lesbar sind Roberto Pedrazzolis Zeichnungen, Bilder und Skulpturen. Der ehemalige Kulturreferent Mantuas arbeitet mit Buchstaben, Zeichen und Zahlen, überlappt sie, verwebt sie zu einem Geflecht. Man sucht nach Bedeutung, wo keine Bedeutung zu finden ist, das Bild des Wortes allein wird ihm zum überlieferungswürdigen Kulturgut.

Die einzige Frau in der Runde ist Antonella Gandini. Ihre Fotografien - Casagrande hat ausnahmslos Schwarz-Weiß-Aufnahmen ausgesucht - spielen mit Licht und Schatten, verfremden Details des menschlichen Körpers, verwandeln Pflanzen durch Überblendungen in fließende Formen. Alles sehr geheimnisvoll und uneindeutig ganz im Gegensatz zu den eher dokumentarischen Aufnahmen Franco Piavolis, als Filmemacher international bekannt. Seinem berühmtesten Werk "Der blaue Planet" (1982), in dem er den Kosmos der Natur und der Menschen in allen Jahres- und Lebenszeiten porträtiert, widmet die Galerie einen Filmabend (26.10.) In der Ausstellung ist Piavoli, Jahrgang 1933, mit zwei ausgezeichneten Fotoserien vertreten. Ungeschönten Alltagsszenen der Fünfzigerjahre stehen deutlich artifiziellere Aufnahmen aus der Jetztzeit gegenüber. Stark auch die drei Kurzfilme aus den frühen Sechzigerjahren. Ohne ein einziges Wort zu verstehen, versteht man alles.

Rosenheim-Mantova: Peter Casagrande und lombardische Künstlerfreunde, bis 4. November, Städtische Galerie Rosenheim

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