Ausstellung:Bedeutung einer Bewegung

Das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg erforscht die Geschichte des Wanderns

Von Claudia Henzler, Nürnberg

Das deutsche Wort "Wanderlust" hat es in den englischen Wortschatz geschafft, in der Literatur wird Wandern oft als typisch deutsch bezeichnet, und Hape Kerkelings Buch "Ich bin dann mal weg" hat sich mehr als fünf Millionen Mal verkauft. Vor 200 Jahren wurde dieses scheinbar zweckfreie Gehen in Deutschland populär, es war eine romantische Gegenbewegung zur beginnenden Industrialisierung. Heute, da immer mehr Menschen einen Ausgleich zum beschleunigten Leben in Großstädten suchen, zählt Statistiken zufolge in Deutschland jeder zweite Wandern zu seinen Freizeitbeschäftigungen. Das Germanische Nationalmuseum in Nürnberg, das größte kulturgeschichtliche Museum im deutschsprachigen Raum, widmet sich nun der Geschichte dieses Phänomens. Die Sonderausstellung "Wanderland. Reise durch die Geschichte des Wanderns" beleuchtet die Entstehung und Entwicklung dieser Kulturtechnik dabei in einer bisher nicht gesehenen Bandbreite.

Schon die schiere Menge der Exponate, die das Kuratorenteam zusammengetragen hat, ist beeindruckend. Unter den 400 fast durchweg sehenswerten Objekten findet sich etwa ein Wanderschuh von Helmut Kohl (der zweite ist zusammen mit einer Schuhleiste von Charles de Gaulle in Frankreich ausgestellt), ein Strohhut von Hermann Hesse und ein Foto von 1913, das Erich Kästner und seine Mutter in Wanderkleidung zeigt. Urlaub war für den jungen Kästner gleichbedeutend mit gemeinsamen Touren durch die Sächsische Schweiz.

Ausstellung: Das Leben als Wanderung ist ein in der Kunst immer wiederkehrendes Motiv, hier ein Gemälde von Hans Thoma von 1906.

Das Leben als Wanderung ist ein in der Kunst immer wiederkehrendes Motiv, hier ein Gemälde von Hans Thoma von 1906.

(Foto: Germanisches Nationalmuseum Nürnberg)

Die Schau legt einen Fokus auf die Frage, wie Wandern als Bewegung der Bessergestellten entstand, wie sich die Idee ausbreitete und wie allmählich rund um diese Betätigung eine neue Infrastruktur mit beschilderten Wegen, Wanderkarten, Aussichtstürmen und Herbergen entstand, wie Wandern von Propagandisten eines deutschen Nationalgefühls ideologisch aufgeladen und unter den Nationalsozialisten politisch missbraucht wurde. In einer der Vitrinen liegt aufgeschlagen das Jahresprogramm "Kraft durch Freude, Gau Franken 1936", es zeigt Adolf Hitler, wie er sich strammen Schritts unter freiem Himmel fortbewegt. Bildunterschrift: "Auch der Führer wandert ...". Tatsächlich sei da aber nur ein Spaziergang "zur Wanderung aufgewertet" worden, klärt Kuratorin Claudia Selheim auf. "Hitler ist eigentlich gar nicht gerne gewandert."

Stand in der NS-Zeit die Kriegsertüchtigung im Vordergrund, waren es nach dem Krieg die zerstörten Städte, die viele Deutsche die Wanderstiefel schnüren ließ, um zumindest vorübergehend in heile Landschaften zu entfliehen. Als zur Wirtschaftswunderzeit die Wanderlust mit massenhaften Verbreitung von Automobilen zusammenfiel, gab es 1966 einen Gestaltungswettbewerb, weil ein passendendes Parkplatzschild gebraucht wurde. Die Entwürfe hat der Deutsche Wanderverband in Kassel aufbewahrt und für die Ausstellung zur Verfügung gestellt. Zu sehen ist auch das Gewinnermotiv, das einen Mann mit Wanderstock zeigt, der forsch voranschreitet, gefolgt von einer Frau mit spitzer Brust und wehendem Haar. Das Schild dokumentiert den gesellschaftlichen Wandel gleich in zweifacher Hinsicht, denn seit vergangenem Jahr wird es ausgetauscht. Nun machen zwei geschlechtsneutrale Figuren auf Wanderparkplätze aufmerksam.

Sonderausstellung 'Wanderland'

Die neue Bewegung hat die deutsche Kultur aber auch ganz praktisch geprägt.

(Foto: dpa)

Der Weg durch die 1000 Quadratmeter große Ausstellungshalle ist selbst eine kleine Wanderung. Sie führt durch verschiedene Themenräume, die in der chronologischen Entwicklung sinnvolle Schwerpunkte setzen. Einer ist der kunstgeschichtlichen Bedeutung des Wanderns als Metapher für das Leben gewidmet. Und auch hier sind einige Schätze geboten. Die Holzskulptur "Wanderer im Wind" von Ernst Barlach etwa, eine Grafik von Ernst Ludwig Kirchner, in der seine Unbehaustheit nach dem Ersten Weltkrieg zum Ausdruck kommt, oder Oskar Kokoschkas "Wanderer im Gewitter".

Wanderland. Eine Reise durch die Geschichte des Wanderns; Do., 29. Nov., bis 28. April, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, www.gnm.de

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