Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Aus Gefühl wird Farbe

In der Schau "Das Malerische" im Münchner Lenbachhaus werden herausragende Künstler des 19. Jahrhunderts zueinander in Beziehung gesetzt

Von Evelyn Vogel

Es verändert sich gerade sehr viel bei der Neukonzeption von Ausstellungen weltweit. Wo man hinsieht werden Sammlungen derzeit neu und anders geordnet, brechen die Kuratoren eurozentristische und chronologische Erschließungen der Kunstgeschichte auf, um die Werke der Kunstwelt neu zueinander in Beziehung zu setzen. Spektakulärstes und gleichzeitig brandneuestes Beispiel, weil erst einen Monat alt: Die Neuordnung der Sammlung im Museum of Modern Art in New York, bei der die Kuratoren mit so manch lieb gewordener Routine der Museumsbesucher brachen.

Nun kann man das aktuelle Unterfangen des Münchner Lenbachhauses, die eigene Sammlung der Kunst des 19. Jahrhunderts unter einem veränderten Aspekt zu betrachten und für die kommenden gut zwei Jahre neu zu ordnen, nicht mit dem geradezu revolutionären Eingriff im MoMA vergleichen. Schon größenmäßig nicht: dort ein ganzes Museum, hier einige Kabinette im ersten Stock. Doch nachdem man vor zwei Jahren unter dem Titel "Bildschön" dem "Was", also dem Dargestellten, in der Kunst des 19. Jahrhunderts nachgegangen war, hat man nun das "Wie" und damit die Malweisen in den Mittelpunkt gestellt. Man hat herausragende Einzelkünstler und Malschulen zueinander in Beziehung gesetzt, und ist ihren Einflüssen aufeinander nachgegangen.

Da das Lenbachhaus eine sehr spezielle Sammlung hat, die - wie Museumsdirektor Matthias Mühling freimütig bekennt - besonders im 19. Jahrhundert mehr als lückenhaft ist, lassen sich nur einzelne Aspekte herausgreifen. Und der Rundgang bleibt an einigen Stellen auch etwas zu allgemein, als dass er klare Antworten gibt. Bei Leibl-Kreis und der Gegenüberstellung von Akademikern und Autodidakten wirkt vieles schlüssig. Munter geht's auf der Suche nach neuen Malweisen von Leibl zu Schuch zu Trübner, von Spitzweg zu Schleich, von Lenbach zu Busch. Nett das Frauenporträt zu sehen, das lange als eines von Franz von Lenbach galt - bis sich herausstellte, dass der als Zeichner, Karikaturist und Geschichtenschreiber bekannte, mit Lenbach befreundete Wilhelm Busch der Schöpfer des unbekannten Mädchens war. Und eine große Freude ist es, das bisher noch nie ausgestellte kleine, recht hochformatige Gemälde eines Amsterdamer Waisenkinds in einem wunderbaren rot-schwarzen Mantel von Max Liebermann aus dem Jahr 1881 zu sehen.

Auch die Einflüsse der Schule von Barbizon, deren Bedeutung durch die Christoph Heilmann Stiftung im Lenbachhaus deutlich wird, lässt sich an verschiedenen Stellen der Ausstellung gut nachvollziehen. Verbindungen weisen auch die beiden abgängigen Leihgaben nach (eines von Corot hängt in der Modersohn-Becker Ausstellung im Buchheim-Museum, das nackte Bauernmädchen von Millet im Van-Gogh-Museum in Amsterdam), wenngleich die extrem "echt" wirkenden Fotografien der beiden Kunstwerke mit Rahmen irgendwie schräg anmuten.

Wie groß die Wirkung eines Bildes sein kann, auch wenn es nur kurz, aber von den richtigen Augen gesehen wird, lässt sich an Max Slevogts 1895 entstandenem Gemälde "Danae" festmachen. Slevogt hatte sich wie Lovis Corinth, einer der bedeutendsten und vielseitigsten Maler seiner Zeit, der "reinen Malerei" zugewandt. Begeisterung für Technik und Farbe bahnten sich ihren Weg. Die Secessionisten hatten sich gegen die Künstlergenossenschaft unter Franz von Lenbach in Stellung gebracht. Slevogt, der zwischen 1885 und 1897 überwiegend in München lebte, lieferte sein Gemälde für die Ausstellung der Münchner Secession 1899 ein. Doch offensichtlich waren die Rebellen längst noch nicht so weit, wie sie es gerne gewesen wären. Denn kurz vor der Eröffnung wurde die "Danae" aus der Ausstellung genommen. "Man befürchtete", heißt es, "dass die realistische Darstellung eines nicht-klassischen Frauenkörpers im Bereich der klassischen Mythologie einen Skandal provozieren könnte." Künstlerkollegen und Kunstkritiker, die einen Blick auf den wahrlich nicht gerade göttlich hingegossenen Körper mit den durch die Luft fliegenden und schimmernden Münzen erhascht hatten, zeigten sich von der "Pracht der Farbe" wie berauscht und von der malerischen Qualität des Bildes berührt. Das Was der Darstellung war ihnen schnuppe angesichts des Wie.

Dass das Wie mitunter auch bei später berühmten Malern nicht immer von allein kam, lässt sich an dem um 1888 entstandenen Gemälde "Die wilde Jagd" von Franz von Stuck ablesen. Stolz vermerkte der damals 25-Jährige auf der Vorderseite unterhalb der Signatur: "Mein erstes Ölgemälde". Die wilden Geisterreiter eines Totenheers muten so ungelenk an, dass man als Betrachter das Was vermutlich deutlich über das Wie stellt - auch wenn es zeigt, wie Stuck anfangs mit Öl und Leinwand zu ringen hatte.

Der gelbe Richter-Palermo-Raum, seit der Erweiterung und Wiedereröffnung 2013 fester Bestandteil der Raumfolge, lässt sich nur mit viel gutem Willen in den Kontext hineinlesen. Besser passt da schon der vom Doerner-Institut bespielte Bereich mit den Malutensilien und den Farbpigmenten in die Thematik. In jedem Fall aber ist es verdienstvoll, dass man sich mit dem 19. Jahrhundert in der städtischen Galerie im Lenbachhaus so große Mühe gibt. Besonders in einer Zeit, in der in Münchens Kunstlandschaft durch die sanierungsbedingte Schließung der staatlichen Neuen Pinakothek und der bruchstückhaften Auslagerung in die Alte Pinakothek und die Schack-Galerie augenblicklich so besonders große Lücken in der Präsentation des 19. Jahrhunderts klaffen.

Das Malerische. Die Kunst, die richtige Farbe auf den richtigen Fleck zu setzen; Lenbachhaus, Luisenstr. 33, bis Ende 2021, Di 10-20 Uhr, Mi-So und feiertags 10-18 Uhr

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Quelle:
SZ vom 19.11.2019
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