Ausstellung: Ars Homo Erotica:Wie Gott sie schuf

Zeiten ändern sich: In Polen sorgt eine gezielt provokante Ausstellung über den nackten männlichen Körper nur noch bei Traditionalisten für Protest.

Thomas Urban

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Zeiten ändern sich: In Polen sorgt eine gezielt provokante Ausstellung über den nackten männlichen Körper nur noch bei Traditionalisten für Protest. Unerwartet ruhig verliefen die ersten Tage der Ausstellung "Ars Homo Erotica". Dabei hatten nationalkatholische Gruppierungen in den letzten Tagen vor der Vernissage angekündigt, das Warschauer Nationalmuseum zu blockieren. Die Protestaktionen sollten sich erstens gegen die Verhöhnung des Hortes der nationalen Überlieferung und zweitens gegen die sittenlose Zurschaustellung nackter männlicher Körper richten. Zwar verhallten die Aufrufe zu Demonstrationen gegen die Ausstellung, die 250 Werke von der Antike bis zur Gegenwart umfasst, bislang ungehört. Doch hat sich ein Teil der Medien der Forderung mehrerer Dutzend Angestellter des Nationalmuseums nach Entlassung des Direktors Piotr Piotrowski angeschlossen. Dabei bestreiten die Gegner Piotrowskis, der erst seit neun Monaten an der Spitze des Museums steht, allerdings einen Zusammenhang zur "Ars Homo Erotica".

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In der Tat scheinen die Vorbehalte gegen Piotrowski grundsätzlicher zu sein. Der 52-jährige Kunsthistoriker, der einst DAAD-Stipendiat war und auf Gastprofessuren in den USA und Israel zurückblicken kann, hat nämlich gleich nach seiner Wahl im vergangenen Jahr angekündigt, das Nationalmuseums gründlich zu reformieren. Es müsse ein "kritisches Museum" werden, das die Besucher der Ausstellungen zu einer distanzierenden Auseinandersetzung mit den Kunstwerken sowie den nationalen Mythen inspiriere. Er widerspricht nicht, wenn Warschauer Kommentatoren in der "Ars Homo Erotica" auch eine Provokation sehen, die auf die Traditionalisten abzielt. Denn das Nationalmuseum hat in deren Augen vor allem der Ort zu sein, der die historische Größe der Nation widerspiegelt. Zentrale Kunstwerke mit diesem Anspruch sind die Monumentalgemälde Jan Matejkos, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Elite der von den drei Nachbarn geteilten Nation aufrichteten und sie zum nationalen Befreiungskampf inspirierten. Als bedeutendstes Gemälde Polens gilt in diesem Sinne "Die Schlacht von Grunwald" von Matejko, der in Polen als größter Maler der Nation gilt, bei den Nachbarn aber nahezu unbekannt ist: Es zeigt den polnischen Triumph über den deutschen Orden 1410, der 600. Jahrestag soll im Juli mit viel Pomp und Ritterspiel begangen werden.

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Der Kurator der "Ars Homo Erotica", Pawel Leszkowicz, aber hat die Kritiker der Ausstellung, die die Profanierung der Werke Matejkos und anderer nationaler Ikonen beklagen, geschickt ins Leere laufen lassen: Denn unter den männlichen Akten im ersten Saal hängt eine Studie ausgerechnet des jungen Matejko. Wenige Schritte davon entfernt warten auf den Besucher Bilder und Hinweise auf Caravaggio und Michelangelo. Sie illustrieren das Hauptanliegen Leszkowiczs: zu zeigen, dass sich Künstler immer wieder gegen das kirchliche Dogma aufgelehnt haben, nach dem männliche Nacktheit hässlich und verwerflich sei. Die italienischen Meister der Renaissance schließen somit, auch dies arbeitet die Warschauer Ausstellung heraus, bewusst an die griechische Antike an, in der männliche Homosexualität sowohl im Alltag wie in der Kunst selbstverständlich war.

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Die Proteste gegen diesen Ansatz unterstützt indes nur ein kleiner Teil der Berichterstatter, die Mehrheit äußert keinerlei moralische Einwände. Vielmehr wird die Ausstellung überwiegend als konsequente Fortsetzung der "Ars Erotica" von 1994 gesehen: Diese war genuin politisch, sie zeigte, wie Künstler im Realsozialismus mit seiner rigiden Sexualmoral die Zensur unterliefen. In der jetzigen Ausstellung wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass im Kommunismus Homosexualität als kriminell galt und Homosexuelle wie Verbrecher behandelt wurden. Dass auf diesem Feld die Positionen der untergegangenen Partei und der Kirche nahezu deckungsgleich waren, wird in den Ausstellungstexten keineswegs verhehlt. Leszkowicz hat in diesem Sinen den Polen-Teil der umstrittenen Installation "Entropa" des tschechischen Künstlers David Cerny in der Eingangshalle platzieren lassen: Eine Gruppe von Priestern in Soutane versucht, die Regenbogenfahne der Homo-Bewegung in einen Kartoffelhaufen zu pflanzen. Die gesamte Installation, mit der sich Cerny mit nationalen Klischees auseinandersetzt, hatte im vergangenen Jahr im Foyer des Europa-Parlaments für Aufsehen gesorgt, in Polen hatte man damals auf den Kartoffelhaufen pikiert reagiert.

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Dass die "Ars Homo Erotica" das nationalkatholische Lager zwar enerviert, aber keineswegs mobilisiert, belegt nach Meinung Leszkowiczs, dass gerade auf diesem Feld im letzten Jahrzehnt in Polen sehr viel in Bewegung geraten sei. Er erinnert an eine Aktion, an der er sich selbst Ende der neunziger Jahre beteiligt hat: Homosexuelle Paare ließen sich Händchen haltend fotografieren, die Bilder veröffentlichten sie mit den echten Namen im Großformat auf eigens angemieteten Werbetafeln. Die Reaktionen waren überaus zwiespältig, die Homosexuellen, die sich auf diese Weise geoutet hatten, wurden beschimpft, einige sogar bedroht. Die ersten Homo- und Lesbenparade in Krakau und Posen wurden mit Steinen beworfen. Doch seit 2005, als der damalige Warschauer Oberbürgermeister Lech Kaczynski angesichts der zahlreichen aufgeregten Berichte in der internationalen Presse, die zunächst von ihm blockierte Parade doch genehmigte, hat sich die Lage sichtlich entspannt.

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(Foto: dpa)

So hofft er denn auch, dass die Ausstellung wirklich ein Meilenstein auf dem Weg zur gesellschaftlichen Toleranz gegenüber Homosexuellen wird. Der nächste wäre die Homo- und Lesbenparade "Europride", die im Juli erstmals an der Weichsel stattfinden wird. Weder gab es eine nennenswerte Kampagne dagegen noch wurden irgendwelche behördlichen Hürden aufgebaut, im Gegenteil: das Warschauer Touristikgewerbe hofft auf viele Gäste aus Westeuropa. Auch Piotrowski kann angesichts der Rücktrittsforderungen an seine Adresse, die die Ausstellung ausgelöst hat, erst einmal aufatmen: Der Beirat des Nationalmuseums hat zwar gerügt, dass er nicht immer den Dialog mit den Mitarbeitern gesucht habe, sich aber grundsätzlich hinter ihn und sein Konzept des "kritischen Museums" gestellt.

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