Süddeutsche Zeitung

Ausstellung:Anstacheln zum Staunen

Bis Mai sind in Augsburg 15 Werke von Anselm Kiefer zu sehen. Die Vernissage ist gut besucht - allein, es fehlt der Künstler

Von Susanne Hermanski

Drei-, vielleicht vierhundert Leute sind gekommen zur Vernissage in der Galerie Noah im Augsburger Glaspalast. Sogar um die Furie "Cornelia" mit ihrer wehrhaften Schleppe aus Nato-Stacheldraht drängen sich die Menschen. Wer nicht erscheint, ist der Künstler, auch wenn er angekündigt war. Weil bekannt ist, dass Anselm Kiefer Veranstaltungen wie diese wenig liebt, ist sein Fernbleiben im Grunde keine Überraschung; die Gäste sind trotzdem enttäuscht. Das Interesse an gedrechselten Eröffnungsworten sinkt gegen Null. Man demonstriert lauthals anderweitigen Redebedarf.

Zu sehen sind nichtsdestoweniger 15 Werke von Anselm Kiefer. Nicht wenig, wenn man bedenkt, dass der Deutsche zu den höchstbezahlten zeitgenössischen Künstlern gehört. Zum Großteil stammen sie aus der Sammlung des Augsburger Bauunternehmers Ignaz Walter, der schon in den Siebzigerjahren begonnen hat, zeitgenössische Kunst aus beiden deutschen Staaten zu sammeln. Trotz der zwischenzeitlich spektakulären Pleite seines Konzerns Anfang der 2000er Jahre gehört dem streitbaren 82-Jährigen der Glaspalast, eigenes Museum für 900 seiner 2000 in Güte und Bedeutung sehr unterschiedlichen Sammlungsstücke und die Galerie eingeschlossen.

Nicht alle 13 Arbeiten von Anselm Kiefer aus der Sammlung Walter sind hier ausgestellt. Die "Hermannsschlacht" aus den Jahren 1976/77 aber sehr wohl. Das Bild ist Teil jenes bedeutenden Zyklus von Kiefers Frühwerk, mit dem er damals für Aufruhr gesorgt hatte, weil er darin auf den Nationalismus und den Chauvinismus in der deutschen Geistestradition anspielt - ohne sich dediziert davon zu distanzieren. Ein Missverständnis, das bis heute nachhallt in der Beziehung zwischen der deutschen Kritik und dem besonders in Frankreich tief verehrten Maler. Vielleicht auch ein Grund, warum es ihn gar nicht nach Augsburg gezogen hat an diesem Abend - und nicht nur jenes plötzliche Kränkeln, das Thaddaeus Ropac, Anselm Kiefers Galerist, freundlich zur Erklärung anführt.

Ropac ist seit Jahrzehnten selbst ein Star des ultrahocherhitzten Kunstmarkts. Der Österreicher mit seinem Firmenhauptsitz in Salzburg und Dependancen in Paris und London hat vor Kiefer schon Künstler wie Andy Warhol, Joseph Beuys und Robert Mapplethorpe vertreten. Mancher Sammler aus dem Publikum eilt denn auch auf den 59-Jährigen zu, um ihm eine Fotografie eines ehedem erworbenen Gemäldes unter die Nase zu halten und sich loben zu lassen für die kluge Wahl des bedeutsamen Stücks. Ropac steuert aus Kiefers Atelier zu der Ausstellung im Glaspalast vier jüngere Werke bei. Ziel der gemeinschaftlichen Schau sei es schließlich, wesentliche Schlüsselthemen des Kieferschen Hauptwerkes zu zeigen, sagt er. Neben der frühen Auseinandersetzung mit Mythen sind dies die Beschreibungen von Zeit und Alchemie. Beides verschmilzt in der Vitrineninstallation "Opus Magnum" von 2011. Die mannshohe Arbeit trägt die Inschrift "Salz, Merkur, Sulfur", im Inneren hängt eine Waage, die Salz und Schwefel, also Sulfur-Brocken balanciert. Der Titel, das "große Werk", spielt auf jenen alchemistischen Begriff an, der für die Transmutation von unedlem Metall zu Gold steht - und nicht notgedrungen auf den hysterischen Kunstmarkt dieser Tage.

Das größte Werk der Ausstellung entstammt unterdessen einer Serie, die Kiefer dem russischen, futuristischen Dichter Velimir Khlebnikov (1885 bis 1922) gewidmet hat. Dieses monumentale Werk ohne Titel lohnt den Weg in den Glaspalast allemal. Selbst jene Gäste der Vernissage, die sich mehr auf die Begegnung mit dem Meister selbst kapriziert hatten, stehen sprachlos vor diesem Opus Magnum. Es ist 7,60 Meter breit und 4,70 Meter hoch; die ehemaligen Textilfabrikswände im Kuppelsaal des Glaspalasts bieten ihm eine angemessene Fläche. In der Eremitage in Sankt Petersburg war das Bild 2017 erstmals zu sehen, als Hauptwerk der Ausstellung "Anselm Kiefer - Velimir Khlebnikov. Das Schicksal der Völker". Baumstämme, Äste und Zweige, hinter denen sich ein Flusslauf, Landschaft und Himmel zeigen, hat Kiefer mit Öl, Acryl, Dispersion und Schellack in einem langen Prozess aufgebracht. Was faktisch pastoses Farb- und Struktur-Relief ist, wirkt aus weiter Ferne betrachtet fast so realistisch wie eine Fotografie. Auf Zweidrittel-Höhe hängt ein Metallbett in voller Größe, mit Rollen an dem Füßen und einem Federbett aus Blei. Dieses Motiv vom Lazarett- oder Folterkammer-Bett wiederholt sich in Anselm Kiefers Werk seit Jahrzehnten. Hier fügt es sich trotz seiner Plastizität vollkommen organisch in das malerische Tableau ein. Seine Liegefläche besteht in einem Metallrost, auch die Bäume des Waldes dahinter formen eine Art Gitter. So fließen sämtliche Bildebenen ineinander über.

Erst wenn der Betrachter näherkommt oder direkt unter dem Bettengestell steht, das auf Schmerz und Tod verweist, erschließt sich ihm die Installation. In Gänze versteht er sie aber wohl nur, wenn Thaddaeus Ropac ihm eine Art Code verrät. Dass Kiefer wie Khlebnikov gleichermaßen fasziniert sind von der pythagoreischen Numerologie, und dass der Russe davon eine eigene Theorie von der zyklischen Wiederkehr geschichtsentscheidender Schlachten abgeleitet hat. Um diesen Schlüssel mitzubekommen, hätte der geneigte Betrachter eingangs doch besser gelauscht und nicht selber so laut gequatscht.

Anselm Kiefer, bis 19. Mai, täglich außer Montag, Kunstmuseum Walter, Kuppelsaal der Galerie Noah, Glaspalast Augsburg

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4323865
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 11.02.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.