Was aussieht wie die neueste Kreation von hippen Modeschülern, hat einen völlig anderen Hintergrund. Auf einem großen Banner an der Fassade des Europäischen Künstlerhauses Schafhof in Freising empfangen einen zurzeit Klaus Erich Dietl, Stephanie Müller und Birthe Blauth, drei junge Künstler aus München, die sich in bunten Fantasiekostümen vor Häuserfassaden im westukrainischen Lviv inszenieren. "Army of Surfaces" nennen sie dieses Werk.
Stephanie Müller und Klaus Erich Dietl haben schon früher als Künstlerduo zusammen gearbeitet, in Lviv haben sie dann Birthe Blauth kennengelernt. Das klassische Ergebnis eines Künstleraustauschs also, der 2015 zwischen dem Künstlerhaus Schafhof und dem Kunstzentrum Dzyga in Lviv stattgefunden hat. Sechs Künstler aus der Ukraine lebten und arbeiteten bei diesem Austausch zwei Monate im Schafhof bei Freising, sechs aus Oberbayern genauso lang in Lviv. Die Ausstellung in Freising mit dem Titel "Im Fadenkreuz" soll nun zeigen, welche spannenden Arbeiten in dieser Zeit entstanden sind, mit Bezug der Bewohner vor Ort.
Der Titel der Ausstellung hat eine doppelte Bedeutung. Er weist auf die aktuelle Situation in der Ukraine hin und auf die Tatsache, dass das Leben in einigen Gebieten sehr gefährlich ist. Das sieht man an der Arbeit von Natalka Schymin, die in Lviv lebt. Sie zeigt, auf traditionelle bunte Kopftücher gestickt, verstörende Symbole des Krieges in der Ukraine wie die schwarze Silhouette einer Kalaschnikow. Im Fadenkreuz sehen sich aber auch die Künstler selbst, die ihre Rolle in Krisenzeiten wie diesen hinterfragen.
"Army of Surfaces" ist ein Teil einer komplexen Werkgruppe bestehend aus Videoarbeiten und Fotografien, welche die drei Münchner Künstler zusammen im ukrainischen Lviv geschaffen haben. Bei den Fotos auf dem Banner handelt es sich um städtische Szenen in Lviv, deren Stil, Farben und Atmosphäre die Künstler in eigene Modeentwürfe und theatralische Posen umgesetzt haben. Ausrangierte Kleidung, die Second Hand Ware der Anwohner, wurde zu einem neuen Flickwerk zusammengeführt. Schadhaftes und Abgetragenes deuten sie um in eine glanzvolle Modekollektion und entlarven so die Inszenierungsstrategien der Werbeindustrie.
Auch Vlodo Kaufmann, geboren 1957 im Kasachstan und Mitgründer der Künstlerorganisation "Dzyga", nimmt Bezug auf den Ort des Künstleraustauschs. Er hat den Skulpturengarten des Schafhofs mit einer Installation, einem überdimensionalen und mehrteiligen Nest, ergänzt. Gebaut hat er es im Frühjahr 2015 aus abgeschnittenen Ästen, die bei der Baumpflege auf dem Schafhof anfielen. Es scheint fast so, als habe er sich in der Idylle des Freisinger Schafhofs sicher gefühlt - und frei. "Für die Zeit, in der ich ein Nest baue, verwandle ich mich ganz in einen Vogel", schreibt er selbst dazu. Cornelia Melián, geboren 1958 in Erding, hat in Lviv die Geschichte der Solomea Kruschelnytska (1872 bis 1952) für sich entdeckt. Der ukrainischen, international bekannten Sängerin mit italienischem Pass hat man dort ein kleines Gedenkmuseum errichtet. Puccini, Furtwängler und Strauss zählte die Kruschelnytska zu ihren Freunden. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 befand sich die Sängerin gerade auf Heimaturlaub in Lemberg. Bis zu ihrem Tod durfte sie die Stadt nicht mehr verlassen. Ihr Haus in Italien wurde enteignet, um an der Musikhochschule als Gesangslehrerin arbeiten zu können, wurde sie gezwungen, die sowjetische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Aus Wolle, Partituren von Opern und verschiedenen Materialien hat Melián einen üppigen weiblichen Frauenkörper geschaffen. Kopf, Hände und Füße sind abgetrennt, Papier quillt aus den Öffnungen und der blutrote Faden eines Wollknäuels, der sich um die Installation drapiert, gibt dem Ganzen etwas höchst Gequältes.
"Im Fadenkreuz": Künstlerischer Dialog mit der Ukraine, Freising, am Schafhof 1. Dienstag bis Samstag, 14 bis 19 Uhr, Sonntag, 10 bis 19 Uhr