Jugendroman:Grübel-Generator

Die Begegnung mit schrägen Gestalten bringt zwei psychisch gefährdete Jugendliche auf den richtigen Weg

Von Holger Moos

"Es war sieben Uhr morgens und ich fühlte mich scheiße. Wie immer, wenn ich aufwachte und mir klar wurde, dass ein neuer Tag anbrach, durch den ich mich schleppen musste". Mit diesem wenig erbaulichen Einstieg beginnt Annette Mierswas neuer Jugendroman "Liebe sich, wer kann."

Jakob ist ein Außenseiter in seiner Klasse. Er hat kein Selbstwertgefühl, leidet unter seinem "Grübel-Generator" und bekommt regelmäßig Panikattacken. In der Schule wird er wegen seiner vielen Beinhaare als Yeti verspottet. Auch seine Familie verleiht ihm keine Stabilität - ganz im Gegenteil: Sein Vater bezeichnet ihn als Schlappschwanz, seine Brüder benutzen ihn als willkommenes Opfer für ihre derben Späße, die Mutter arbeitet viel. Nur in der virtuellen Welt eines Computerspiels findet Jakob Zuflucht, indem er sich mit seinem Avatar identifiziert. Der ist zwar nur ein Stallknecht, verfügt aber wenigstens über enorme Kräfte.

Dann bekommt Jakob eines Tages, aus heiterem Himmel, einen Anruf von Lotti. Sie ist Schulsprecherin und atemberaubend hübsch. Nach ein paar verunglückten Telefonaten und Treffen stellt sich heraus, dass Lotti eine Begleitung für eine mehrtägige Wanderung sucht und dabei ausgerechnet an Jakob dachte. Er sei "ihre letzte Hoffnung".

Dieser kann sein Glück gar nicht fassen und zweifelt sowohl an Lottis Absichten als auch an seiner Eignung als beschützendem Begleiter.

Warum Lotti Zutrauen zu Jakob hat und ihn als Seelenverwandten betrachtet, versteht man später. Dieser kann sein Glück gar nicht fassen und zweifelt sowohl an Lottis Absichten als auch an seiner Eignung als beschützendem Begleiter. Lottis Ziel ist ein ominöses Château, wo sie einen Erholungsurlaub machen wolle.

Das ungleiche Paar macht sich also mit Zelt und Wanderausrüstung auf den Weg. Bald wird klar, dass auch Lotti etwas zu verbergen hat und emotional alles andere als stabil ist. Sie warnt Jakob: "Also, wenn ich mal irgendwie komisch sein sollte, umkehren will oder so, dann lass es nicht zu, ja? Schleif mich notfalls hinter dir her. Versprochen?"

Unterwegs begegnen den beiden jede Menge schräger Gestalten: ein selbstverliebter, aber orientierungsloser Prolo namens Gott mit einer Schwäche für Angeberautos, die "Waldfrau" Gunda, die mit ihrem schwerbehinderten Sohn in einem abgelegenen Haus lebt, eine Gruppe von Klimaaktivisten, die Bäume besetzen, damit diese nicht gefällt werden, oder ein krebskranker Junge, der nur noch Dinge macht, die er auf einer "Do before die -Liste" notiert hat. Am Ende wird die Wanderung sogar noch zu einem spannenden Hindernislauf, als ein unsympathischer Klassenkamerad Jakob und Lotti nachspürt.

All diese gemeinsamen Erlebnisse bringen beide weiter. Jakob kann sich besser so annehmen, wie er ist, und Lotti akzeptiert endlich, dass sie psychiatrische Hilfe braucht. Da durchgehend aus Jakobs Sicht in der Ich-Perspektive erzählt ist, kommt die Darstellung von Lottis Innenleben etwas kurz. Man erfährt nur indirekt und aus den Dialogen etwas über die weibliche Hauptfigur.

Annette Mierswa taucht den Leser ein in das kaum zu kontrollierende Gedanken- und Gefühlskarussell eines jugendlichen Außenseiters, mit wenig Selbstwertgefühl, aber vielen psychischen Problemen. (ab 14 Jahre) Holger Moos

Annette Mierswa: Liebe sich, wer kann. Loewe, 2021. 240 Seiten, 6,95 Euro.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: