Außenansicht zur TV-Debatte:Lass uns feiern!

Die Kritik am Fernsehen nutzt vor allem einem - dem Fernsehen: Das alte Medium ist wieder in aller Munde - nächstes Jahr sollte die Preisverweigerung gebührend gefeiert werden.

Hubertus Meyer-Burckhardt

Die Sache ist gut gelaufen, zweifellos! Das alte Medium Fernsehen beherrscht wieder die Titelseiten! Und das noch ältere Medium Zeitung profitiert kräftig davon! Davon können die Damen und Herren der Internetportale und Suchmaschinen doch nur träumen! Wunderbar! Und alle haben sich so verhalten, wie man sich das erhofft hatte.

Außenansicht zur TV-Debatte: Moderieren gemeinsam die NDR-Talkshow: Barbara Schöneberger und Hubertus Meyer-Burckhardt.

Moderieren gemeinsam die NDR-Talkshow: Barbara Schöneberger und Hubertus Meyer-Burckhardt.

(Foto: Foto: AP)

Wie beim "Großen Salzburger Welttheater" von Hugo von Hofmannsthal. Jeder an seinem Platz, jeder in seiner Rolle, jeder mit seinem Text. Das machen wir im nächsten Jahr wieder so. So ist das Fernsehen in aller Munde, das bringt die Menschen vors Gerät. Ist mir recht, als Produzent lebe ich davon.

Und das Schöne ist: Während die Börse tobt, der Dax in den Keller geht und der Nordpol schmilzt, diskutiert Deutschland über Qualität im Fernsehen.

Nichts ist der Nation ein größeres Anliegen: Denn da sie ja ansonsten so ungemein kulturell unterzuckert ist, freuen sich Arte und 3sat schon seit Jahren über Marktanteile, die RTL das Fürchten lehren (etwas mehr als ein Prozent - zusammengenommen).

Aber wenn sich die Branche trifft, dann darf es natürlich wie in Ettore Scolas Film "La famiglia" zugehen. Es fliegen dann schon mal die Tassen durchs Zimmer. Und das wiederum hat für die Nachbarn der Print-Kollegen einen gewissen Unterhaltungswert: Wir Fernsehleute verleihen wir uns gegenseitig "Fernsehpreise", und die Zeitungen berichten.

Man stelle sich das anders herum vor: Ein "Print-Preis" würde verliehen. Die Blattmacher von Praline, Sexy, Werben und verkaufen sowie Zeit und Theater heute alle auf einer Bühne. Und das Fernsehen ist dabei. Unvorstellbar. Todlangweilig, wahrscheinlich.

Anmaßendes Urteil

Ist denn wirklich alles miteinander zu vergleichen, nur weil es aus ein und demselben TV-Gerät kommt? So wenig, wie alles miteinander verglichen werden kann, nur weil es gedruckt ist und am selben Kiosk liegt? Und wenn man sich anschaut, wer da alles immer über Fernsehen schreibt: Jeder, der von der Zeitung kommt, meint mit seinen von Gutenberg geprägten Denkstrukturen, auch Fernsehen zu können. Kaum ein TV-Profi maßt sich hingegen an, den Stern machen zu können, nur weil er handwerklich das Fernsehen beherrscht.

Gleichwohl: Wir müssen uns entscheiden, wie der Deutsche Fernsehpreis, dieses Familientreffen, in Zukunft aussehen soll.

Feiern wir einmal im Jahr in Köln Sieger, die innovativ sind? Na ja, wer das erwartet, der ist bei der Documenta in Kassel besser aufgehoben. Feiern wir Kollegen, die in irgendeiner Form handwerklich, künstlerisch, journalistisch herausragend gearbeitet haben? Schon eher.

Aber dann müssen wir ertragen, dass auf der Bühne "Familienmitglieder" nebeneinander stehen, die auch im wirklichen Leben nur dann zusammenkommen, wenn ein lohnendes Testament eröffnet wird.

Vor ein paar Jahren übrigens hat mich Marius Müller-Westernhagen sehr beeindruckt, weil er beim Branchentreff "Echo" in Berlin nach einer Volksmusikgruppe namens "De Randfichten" sang. Ohne mit der Wimper zu zucken. Schwer ist leicht was, würde Ottfried Fischer dazu sagen.

Anton Hildmann, der Chef der Werbeagentur BBDO, bedauerte kürzlich, dass die Werbung keine Tradition hat, ihre eigene Geschichte nicht hinreichend kennt.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, welche Leistungen Hubertus Meyer-Burckhardt im Fernsehen für prämierungswürdig hält.

Lass uns feiern!

Trifft auf unsere Branche leider auch zu: Wo war die Würdigung für Bernd Burgemeister, den im Juni verstorbenen, wegweisenden Produzenten? Weiß die Jury noch, wer Peter Gerlach war, der so viele erfolgreiche TV-Macher aufs Gleis gesetzt hat und der vor einem Jahr starb?

Ist das Bewusstsein vorhanden für Bühnenbildner wie Pit Fischer, dessen Arbeit bei "Wetten, dass...?" neben der Moderation von Thomas Gottschalk der Grund war, die Show zu gucken?

Besteht der Wunsch, auch mal Familienmitglieder zu feiern, die kontinuierlich und im Verborgenen exzellent gearbeitet haben? Da gäbe es Kollegen bei N24, im Kinderkanal, bei den vier großen Sendern sowieso. (Ach ja, die von der benachbarten Werbeagentur-Familie werden auch immer besser: So Horst Schlämmer in der Internet-basierten(!) VW-Kampagne von DDB/Tonio Kröger. Innovation! Hätte sich in Köln als Preisträger durchaus gut gemacht.)

"We are in the shoeshine business" pflegte der zeitweilige Haupteigentümer Haim Saban seinem Vorstand bei Pro Sieben Sat 1 aufmunternd zuzurufen.

Der Satz des RTL-Gründers Helmut Thoma, dass der Köder dem Fisch zu schmecken habe und nicht dem Angler, geht in dieselbe Richtung. Nichts anderes tun wir alle, ob bei Arte oder Sat1.

Hoffnung für Charlotte Roche

Ob in Buchverlagen oder Plattenfirmen. Es geht einfach darum, Zielgruppen zu erreichen. Punkt. (In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass die erfolgreichste Sendung von RTL ein Quiz ist, bei dem es um Allgemeinwissen geht. Der Untergang des Abendlandes steht also nicht unmittelbar bevor.)

Und manche von uns räumen dann sogar noch in der nächsten Generation ab. Jean Genet ist heute ein Klassiker. Hoffnung also für Charlotte Roche. Die Stones sangen zwar einst: "It's only Rock'n' Roll." Gleichwohl - es darf vermutet werden, dass Musikwissenschaftler in 30 Jahren über diese Musik promovieren werden.

Solche Aussichten nehmen dem großartigen Thomas Gottschalk vielleicht auch die Angst vor den jungen Online-Journalisten, die so rüpelhaft zu Werke ziehen. Dem sei bis dahin gesagt: Das Oberhausener Manifest von Alexander Kluge, Edgar Reitz, Peter Schamoni und 23 anderen damals jungen Filmemachern postulierte 1962: "Opas Kino ist tot."

Und da war wahrscheinlich so manch rüstiger Regie-Opa drunter, den es zu Unrecht wegspülte. Man sieht, dass unsere Familie schon damals rüde mit den Altvorderen umsprang, die allerdings - zugegeben - in ihren Siebzigern waren.

Aber, Freunde, lasst uns den Blick nach vorne richten: Wir müssen im Familienrat klären: Wer verweigert im nächsten Jahr den Preis? Wer bedauert im nächsten Jahr, die Laudatio nicht halten zu können? Wer übernimmt die Rolle mit dem Abendland-Untergang und so? Welche Journalisten von der Online-Front bringen sich schon mal in Schussposition und bügeln mit einer Verve, die Karl Kraus und Walter Jens zur Ehre gereicht hätte, alle nieder, die älter als 40 Jahre zu sein scheinen.

Wir sollten da nichts dem Zufall überlassen und das sorgfältig diskutieren. Das Hinterzimmer einer Kölner Kneipe bietet sich an. Elke Heidenreich, würden Sie netterweise schon mal einen Tisch bestellen?

Hubertus Meyer-Burckhardt ist Chef der Produktionsfirma Polyphon ("Mein letzter Film", "Pfarrer Braun", "Stubbe"). Er ist (mit Barbara Schöneberger) Gastgeber der NDR-Talkshow.

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