Ausschreitungen in Friedrichshain:Die Lizenz zum Zuschlagen

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Krawalle bei Linksautonomen-Demo in Berlin

Lust an Gewalt und Terrordrohungen - dafür stehen die Hausbesetzer in Berlin im Jahr 2016. Hier eine Linksautonomen-Demo am 9. Juli.

(Foto: dpa)

In den 80er-Jahren ging die Berliner Stadtgesellschaft für Hausbesetzer auf die Straße. Die Randalierer in der Rigaer Straße aber finden keine Unterstützer. Denn, wo sie "Freiraum" sagen, meinen sie nur ihre eigenen Privilegien.

Essay von Jens Bisky

Noch lagen in Kreuzberg Barrikadenreste herum, waren die Schaufenster am Kurfürstendamm nur notdürftig gesichert, noch laborierten Dutzende an ihren Verletzungen, als sich gut zehntausend Menschen vor dem Untersuchungsgefängnis Moabit versammelten, um friedlich zur Gedächtniskirche zu marschieren. Sie unterstützten die Forderungen der Hausbesetzer nach mehr Wohnraum, verlangten die Freilassung der festgenommenen Demonstranten - spätestens bis Weihnachten -, ferner den Rücktritt des Bausenators, des Innensenators und des Polizeipräsidenten. Dass auch Schaufenster kleiner Geschäftsleute zu Bruch gegangen waren, bedauerten sie. Falls die Versicherungen nicht zahlten, müsse der Senat einspringen.

So wünschten es die gut zehntausend Demonstranten, Berlin West, 20. Dezember 1980. Acht Tage zuvor hatte die Polizei am Fraenkelufer in Kreuzberg die Besetzung eines Hauses zu verhindern versucht. Es begann, was im Rückblick die "Schlacht am Fraenkelufer" hieß. Eine Unterstützerdemo am Kurfürstendamm wurde zur Prügel-, Zerstörungs- und Plünderorgie. Fraenkelufer 48 wurde dann doch besetzt, eine Welle weiterer Besetzungen folgte, der Senat versuchte, mit der "Berliner Linie der Vernunft" handhabbare Regeln für den Umgang mit Regelwidrigem zu finden. Es galt, Straßenschlachten und neue Hausbesetzungen gleichermaßen zu verhindern.

Gentrifizierungskritik als Deckvokabel

Sympathie für Instandbesetzungen war damals keine Berliner Besonderheit: In einer Umfrage der Allensbacher Demoskopen erklärten 53,7 Prozent, die Hausbesetzer hätten recht mit ihrer Kritik an der "Kahlschlagsanierung".

Im Sommer 2016 können die Kämpen aus dem besetzten Haus Rigaer Straße 94 auf Zustimmung kaum hoffen, höchstens auf Kumpanei unter Schlägern. Es scheint, als sei ihnen auch das egal. Dass Schlagwörter der Gentrifizierungskritik hier nur als Deckvokabeln für Lust an Gewalt und Terrordrohungen aufgerufen werden, hat sich herumgesprochen. Diese Hausbesetzer gleichen nicht einmal Karikaturen ihrer Vorgänger. Wie es sich im neoliberalen Zeitalter gehört, haben sie ihnen missfallende Aktivitäten mit einem Preis versehen. Die polizeilich gesicherten Sanierungsarbeiten in der Rigaer Straße soll die Stadt mit einem Sachschaden in Höhe von zehn Millionen Euro büßen. Diese Hausbesetzer wollen zerstören, abfackeln. Während der samstäglichen Demonstration durch Friedrichshain wurden 123 Polizisten verletzt, nun soll der "Konflikt" dezentral weiter vorangetrieben werden.

Heute ist die politische Botschaft der Besetzer auf die Lizenz zum Zuschlagen geschrumpft

Doch die Stadt, der ihre Drohung gilt, reagiert darauf mit großer Gelassenheit, beinahe mit Desinteresse. Manche nutzen die Gelegenheit, eine starke Meinung zu äußern oder an Vernunft und Rechtsstaat zu appellieren. Im Großen und Ganzen aber lässt die fragmentierte Berliner Stadtgesellschaft den Konflikt in der Rigaer Straße - Nord-Friedrichshain, beliebte Wohngegend mit hohem Potenzial - über sich ergehen wie die Reinszenierung eines Stückes, das man längst abgesetzt glaubte, das man auch nicht mehr sehen will, das endgültig abzusetzen aber die Kraft fehlt. Die Stadt ist weder verängstigt noch mobilisiert, nur empört über das kleinkriminelle, oft gemeingefährliche Treiben der Revoluzzer, die schon lange unter dem Revoluzzerschicksal leiden, nur noch ihre eigene Position zu verteidigen und ihre Privilegien mit "links" oder "Freiraum" zu verwechseln.

Solange sich aber die Stadtgesellschaft des Konflikts nicht annimmt, wird er weiter schwelen, werden Polizisten ihren Kopf hinhalten müssen und normale Leute fassungslos vor ihren verbrannten Autos stehen. Ein Anfang wäre es, die widerliche Parole von den "Bullenschweinen" ebenso zu tabuisieren wie die bei Antisemiten und Rassisten beliebten Tiervergleiche. Die politische Botschaft der Besetzer ist längst auf Enthemmung durch "Schweine"-Rhetorik geschrumpft, auf die Lizenz zum Zuschlagen.

Dass Anwohner der Rigaer Straße einen runden Tisch wünschen, um zu schauen, wie Deeskalation möglich wäre, ist eine gute Nachricht. Andere fragen zu Recht, was man mit denen reden soll. Auch sind die Rigaer-94-Aktivisten, deren Leben sich um die geräumte Kneipe "Kadterschmiede" dreht, zum Reden eher nicht aufgelegt, zu Dialog, Kompromiss und so kaum bereit. Gut möglich, dass Verständigungsversuche scheitern, dennoch wird eine liberale Gesellschaft darauf nicht verzichten können - es sei denn, sie wollte den Spielregeln der Eskalationsfanatiker folgen. Der Preis dafür wäre wohl zu hoch.

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