Süddeutsche Zeitung

Ausrufezeichen:Lasst! Sie!! Weg!!!

Immer diese Ausrufezeichen: Fort mit dem Macho unter den Satzzeichen.

Glosse von Carolin Gasteiger

Was sollen wir nur tun gegen den Ausrufezeichen-Wahn? Von allen Seiten stürmen sie auf uns ein, auf Facebook, auf Twitter, von Litfaßsäulen und Werbeplakaten, selbst von der Pinnwand im Büro. "Ausmisten!", schreit der Post-it-Zettel.

Auch in der Facebook-Timeline herrscht ein einziges Gebrüll. "Happy birthday!!!!" und "Echt jetzt?!!!", darunter geht es nicht: Mir schmerzen die Ohren bzw. die Augen. Offenbar ist Til Schweiger, der seine Äußerungen ja auch gern mit dem ein oder anderen Ausrufezeichen versieht, nicht der einzige Mensch, der einem unentwegt entgegenzurufen scheint: Hör! Mir! Zu!

Das Ausrufezeichen ist der Macho unter den Satzzeichen. Wo das Semikolon dezent kurze Sätze trennt und das Komma für Gedankenpausen sorgt, lässt das Ausrufezeichen keinen Raum für etwas anderes. Hier komme ich! - und dahinter nichts mehr. Und ist ein einzelner Macho nervig genug, wie erst, wenn er in der Gruppe auftritt. Als Duo (!!) schon aufdringlich, entwickelt er seine wahre Penetranz erst im Trio (!!!). Da könnte man ja auch gleich in Großbuchstaben schrei(b)en.

Muss das sein? Ist unsere Meinung inzwischen so wenig wert, dass man sie unterstreichen muss, mit allem, was wir kriegen können? Anscheinend. In Zeiten, in denen viele nur noch Schwarz oder Weiß, aber kein Grau mehr sehen und dieses fast in Vergessenheit gerät, scheint das Ausrufezeichen seinen Platz gefunden zu haben.

Jeder Hobby-Pegidist und dessen Gegner kann seiner Meinung, und sei sie noch so haltlos, mit einem Strich mit Punkt Gewicht verleihen und den Eindruck vermitteln, Widerspruch sei zwecklos. Auf der Facebook-Seite dieser aufgereten Wutbürger steht unter einem Post über die TU Berlin, die einen Gebetsraum für Muslime geschlossen hat: "Diese Religion hat uns lang genug auf der Nase rumgetrampelt und nur gefordert!" SPD-Bundestagsabgeordneter Johannes Kahrs reagiert ausrufezeichnend auf Erika Steinbachs Flüchtlingstweet; AfD-Vorsitzende Frau Petry garniert ihre politischen Absichten sogar mit einem Ausrufezeichen-Quartett:

Aber es muss noch nicht mal um Politik gehen; wie oft heißt es in sämtlichen Timelines einfach nur "Lesen!!!" anstatt dazuzuschreiben, warum.

Das Ausrufezeichen hat alle Zwischentöne vernichtet

Was ist schon ein schlichtes Wow, wenn es mit einem Ausrufezeichen zum Wow! wird? Das inflationäre Ausrufezeichen hat unsere Rezeption verändert: Eine Schreibweise ohne ! ist sofort ironieverdächtig. Oder vielleicht sogar abwertend. Meint der andere gar nicht "wow", sondern eigentlich "nerv mich nicht mit deinem unwichtigen Leben!"? Das Ausrufezeichen hat alle Zwischentöne zunichte gemacht.

Anna Kemper formuliert es in der Zeit so: "... der Strich mit dem Punkt ist nun mal das Satzzeichen der ewig Unverstandenen, die das Gefühl haben, nicht ausreichend gehört zu werden - und als Konsequenz erst mal die Lautstärke hochdrehen."

Aber was, wenn man es einfach streicht? Wenn man sich von der ewigen Aufregung löst - und die Aussage für sich stehen lässt? Haben wir Angst, dass man uns dann in den virtuellen Weiten nicht mehr hört? Dass unsere Aussage sich unter viele andere mischt und ihrer Bedeutung beschnitten wird? Offenbar lässt sich der inflationäre Gebrauch der Ausrufezeichen nicht anders erklären.

Ein Blick auf WhatsApp: "Komme zehn Minuten später. Freu mich!!" Oder: "Yeah, hab das Buch in der Bibliothek gefunden!!!" Versteht das Gegenüber sonst nicht, wie groß die Freude über das baldige Treffen tatsächlich ist, oder über den literarischen Überraschungscoup? "Das Ausrufezeichen verleiht dem Vorangehenden einen besonderen Nachdruck", steht im Duden. Aber was, wenn es dem Gesagten alle Aussagekraft nimmt - weil er schlicht zu groß wird? Und bei einem so stark akzentuierten "Jippiehhh!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!" vor lauter Zeichen wenig Ausruf übrig bleibt.

Man muss ja nicht gleich so weit gehen wie die Rheinische Post, die das Ausrufezeichen geschmeidiger machen will und feststellt: "Ein Ausrufezeichen, das sich Flexibilität zutraut, wird zum Fragezeichen." Da wäre die entgegengesetzte Entwicklung doch angenehmer: Wenn wir uns wieder mehr auf die Aussagen und weniger auf die Betonung konzentrieren. Selbst auf die Gefahr hin, für ironisch gehalten zu werden. Immerhin schmerzen dann nicht mehr die Ohren beim Lesen.

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