"Auslöschung" bei Netflix:Horrortrip im Märchenwald

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Biologin Lena (Natalie Portman) seziert ein Monster, das kurz zuvor eine ihrer Kolleginnen anknabbern wollte. (Foto: Netflix)

Der Brite Alex Garland ist ein begnadeter Science-Fiction-Regisseur. Seinen neuen Film "Auslöschung" fand sein Filmstudio aber "zu kompliziert" fürs Kino - und verkaufte ihn deshalb an Netflix.

Von Kathleen Hildebrand

Fünf Frauen stehen in einer Sumpflandschaft, irgendwo in Florida. Vor ihnen liegt ein Wald. Wobei das eigentlich viel zu harmlos klingt. Dieser Wald flimmert. Er scheint mit einer unnatürlichen, tiefen Frequenz zu brummen. Er ist eingehüllt in einen öligen, regenbogenbunten Benzinfilm, wie man ihn manchmal auf Pfützen am Straßenrand sieht. Die Frauen zögern kurz, hinter ihnen schweben, halb beschützend, halb voyeuristisch, ein paar Hubschrauber. Dann treten sie durch den schimmernden Schleier. Sie tragen Rucksäcke so groß und schwer, dass klar ist, dass sie so schnell nicht zurückkommen werden. Vielleicht: niemals.

Das ist nicht die erste und bei weitem nicht die letzte Szene in Alex Garlands Science-Fiction-Thriller "Auslöschung", die ganz offensichtlich für die große Leinwand gemacht ist. Aber jenseits der USA, Kanada und China wird der Film dort nicht zu sehen sein. Nachdem er dem Publikum in Testvorführungen angeblich "zu intellektuell" und "zu kompliziert" war, verlor das produzierende Studio Paramount das Vertrauen in seine Markttauglichkeit und verkaufte die Rechte für den Rest der Welt an Netflix. Ab 12. März steht der Film online.

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Es sieht so aus, als würde der Streamingdienst gerade zur Resterampe für jene Sorte Film, von denen Studios meinen, dass sie im Kino niemand mehr sehen will.

Garland schrieb den Bestseller "The Beach", dann wandte er sich leidenschaftlich dem Kino zu

Erst vor ein paar Wochen hatte Paramount den Horrorthriller "The Cloverfield Paradox", dessen Kinostarttermin im Verlauf des letzten Jahres immer wieder verschoben worden war, auch an Netflix verhökert. Die Firma probierte damit dann sogar ein neues Veröffentlichungsmodell, der Film wurde während der Halbzeitpause des Super Bowl kurz und knackig damit beworben, dass er direkt nach dem Spiel online stehen würde.

Aber gerade im Fall von "Auslöschung" ist diese Streaming-Auswertung sehr schade, der Film hätte ins Kino gehört. Garland hat sich in den letzten Jahren zu einem der spannendsten Hollywood-Filmemacher entwickelt. Der 47-jährige Brite schrieb in den Neunzigern den Bestseller "The Beach", der von Danny Boyle verfilmt wurde. Später schrieb er für Boyle dann auch Drehbücher wie "28 Days Later". Und sein Regiedebüt "Ex Machina" von 2014, eine erotisch-unheimliche Abhandlung über künstliche Intelligenz, gehört zu den besten Science-Fiction-Filmen seit Jahren.

Aber auf seine verrätselten Filme muss man sich schon in Ruhe einlassen, so auch bei "Auslöschung". Die Sumpflandschaft, in die diese Wissenschaftlerinnen vordringen, ohne zu wissen, was sie im Inneren erwartet, ist der Schauplatz eines mysteriösen ökologischen Wandels. "Irgendetwas schlägt hier gewaltige Wellen im Genpool", sagt die Biologin Lena (Natalie Portman), als sie eine Kreuzung aus Alligator und Hai seziert, die mit ihren Reißzähnen kurz zuvor eine ihrer Kolleginnen anknabbern wollte. Dieses Etwas scheint außerirdischen Ursprungs zu sein. Der Film beginnt mit einer Rückblende, in der ein Komet in einem Leuchtturm an der Küste einschlägt. Sehr viel mehr erfährt man nicht. Das mag für manche Zuschauer frustrierend sein, aber es ist gerade auch Garlands Enthaltsamkeit im Erklären, die schon "Ex Machina" so beeindruckend beunruhigend gemacht hat.

Dafür gibt der Film dem Zuschauer Bilder, die das Gehirn überfluten und überfordern, es mit ihrer fremdartigen Schönheit verzaubern und zugleich tief verstören. Das Innere des Schimmers, wie der Sumpf genannt wird, sieht aus wie eine Landschaft auf LSD: Verdoppelte weiße Hirsche hüpfen hier synchron durch einen Tick zu grün leuchtende Gräser. Blühende Büsche haben die Umrisse von Menschen. Am Strand wachsen Bäume aus Kristall. "Auslöschung" basiert auf dem gleichnamigen Roman von Jeff VanderMeer aus dem Jahr 2014, dem ersten Band seiner "Southern Reach"-Trilogie. VanderMeers Buch ist ein kluges, verstörendes Meisterwerk der philosophisch ambitionierten Science-Fiction. Aber wer es gelesen hat, ahnt, dass es nicht unbedingt als Vorlage für einen Blockbuster taugt. Alex Garland scheint dieses Problem bewusst zu sein. Der Film entfernt sich oft weit vom Buch. Er macht vieles konkret, was der Autor nur andeutet. Das beste Beispiel dafür ist wohl das Monster. Im Buch jault es nachts nur traurig in der Ferne und raschelt in den Büschen; im Film springt es aus der Dunkelheit hervor.

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Doch die Veränderungen gegenüber der Vorlage sind nicht nur Zugeständnisse an die Erwartungen eines Mainstream-Publikums. Während VanderMeer sich in seinem Buch sehr für das mysteriöse Ökosystem im Inneren des Schimmers interessiert und weniger dafür, warum irgendjemand diesen Ort freiwillig betreten sollte, kreist Garlands Film genau um diese Frage: Was bringt Menschen dazu, selbstzerstörerisch zu handeln? Es geht ihm um die Faszination, die der Akt der Auslöschung auf seine Figuren hat.

Erst scheint nur Biologie-Professorin Lena dafür einen triftigen Grund zu haben. Ihr Mann (Oscar Isaac) kehrt, nachdem sie ihn schon lange für tot hielt, eines Tages von einer Expedition aus dem Wald zurück. Völlig verändert, mit leeren Augen. Noch am selben Abend wird er mit Organversagen in den Hochsicherheitstrakt einer geheimen Regierungsorganisation gebracht. Während er im Koma liegt, entschließt sich Lena, die nächste Gruppe in den Schimmer zu begleiten. Aber wie sich herausstellt, ist sie nicht die Einzige mit einem Trauma. Jede der fünf Frauen ist "beschädigte Ware", wie eine von ihnen sagt. Zu tot, um einfach weiterzuleben, zu lebendig, um endgültig aufzugeben.

Das Ende des Films ist auch eine kleine Verneigung vor Kubricks Klassiker "2001"

Man verrät kein Geheimnis, wenn man sagt, dass Natalie Portmans Biologin als Einzige aus dem Schimmer zurückkehren wird - der Film beginnt mit dieser Erkenntnis. Der Schimmer mag töten, entstellen, sich Lebewesen einverleiben. Aber was ihn fast noch beunruhigender macht, ist das scheinbare Fehlen einer bösen Absicht. Auch als Lena der außerirdischen Entität am Ende des Films in einer langen Sequenz, die an Stanley Kubricks "2001" erinnert, sehr nahekommt, wirkt das Wesen eher wie ein spielendes, bastelndes Kind als wie ein feindseliges Alien, das vorhat, die Menschheit zu vernichten. "Es zerstört nicht", sagt Lena, als sie nach ihrer Rückkehr in einer Quarantäne-Zelle sitzt und von Menschen in Schutzanzügen befragt wird. "Es schafft etwas Neues."

Alex Garlands Film wird dieser wuchernden, von Mutationen wimmelnden Sumpflandschaft in seinem visuellen Erfindungsreichtum mehr als gerecht. Dass "Auslöschung" nicht auf der großen Leinwand zu sehen sein wird, findet deshalb auch der Regisseur bedauerlich. Er bezeichnete die nachträglich gestrichene Kinoauswertung mittlerweile öffentlich als "große Enttäuschung". "Das einzig Gute daran ist, dass den Film jetzt vielleicht mehr Menschen sehen werden, als wenn er nur im Kino gelaufen wäre."

Annihilation USA/GB 2017 - Regie: Alex Garland, Buch: Alex Garland/Jeff VanderMeer, Kamera: Rob Hardy. Mit: Natalie Portman, Jennifer Jason Leigh, Oscar Isaac. Paramount, 115 Minuten.

© SZ vom 08.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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