Aus dem Pfarrhaus an die Macht:So wahr mir Gott helfe

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"Von Kindesbeinen an mit der Frage nach dem Sinn konfrontiert": Mit Angela Merkel und Margot Käßmann kommen immer mehr Frauen aus dem Pfarrhaus an die Macht.

Johan Schloemann

Genau zur selben Stunde an diesem Vormittag wurde die Hannoveraner Bischöfin Margot Käßmann, einst Gemeindepfarrerin in Frielendorf-Spieskappel, auf der Synode in Ulm zur neuen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gewählt. Und als Bindeglied der beiden Sphären trat Katrin Göring-Eckardt, studierte Theologin und Pfarrersfrau in Ingersleben, in Erscheinung - sie dirigierte als "die Präses" der Synode, des evangelischen Kirchenparlaments in Ulm, die Wahl Margot Käßmanns zur Ratsvorsitzenden, und sie flog zugleich zwischendurch am Dienstag mit einem frühen Flugzeug nach Berlin, wo sie als Vizepräsidentin des Bundestages wiedergewählt wurde.

Das protestantische Pfarrhaus scheint an einem Höhepunkt seiner Wirkungsmacht angekommen zu sein. Margot Käßmann ist nur eine seiner wichtigen Vertreterinnen auf Erden. (Foto: Foto: dpa)

Man könnte, im Angesicht dieser Gleichzeitigkeit, von einem Triumph der traditionellen deutschen Elitenrekrutierung aus dem protestantischen Pfarrhaus sprechen. Dieses Mal allerdings, dem gesellschaftlichen Wandel entsprechend, mit weiblichen Protagonisten.

Auf dem evangelischen Terrain hat es seit langem eine gut ausgebaute Brücke zwischen Glaube und Vernunft gegeben, zwischen Frömmigkeit und weltlichem Wirken. So hat Margot Käßmann vor einigen Jahren im Geleitwort zu einem Sammelband mit dem Titel "Ich, Pfarrerskind" geschrieben: "Im Pfarrhaus sind Kinder von Anfang an mit den großen Fragen von Leben und Tod, von Sinn und gesellschaftlicher Verantwortung konfrontiert. (...) Die Geschichte des evangelischen Pfarrhauses ist auch eine Geschichte der Stärkung junger Menschen für die Verantwortung in der Welt."

Genau in diesem Sinne hat auch der scheidende EKD-Ratsvorsitzende Huber der Bundestagsvizepräsidentin jetzt zur Wiederwahl gratuliert: Katrin Göring-Eckardt sei "ein wichtiges Vorbild für junge Christinnen und Christen, die wir als Kirche dazu motivieren, sich politisch für unser Land zu engagieren, statt sich in Politikverdrossenheit zu flüchten". Und tatsächlich ist Katrin Göring-Eckardt ja die beste Politikerin, die die Grünen seit der Wiedervereinigung gehabt haben, klug und glaubwürdig in zwei Reichen unterwegs.

In der Paarung Merkel/Käßmann scheint also das protestantische Pfarrhaus an einem Höhepunkt seiner Wirkungsmacht angekommen zu sein. Aber dieser Höhepunkt hat zugleich etwas von einem Endpunkt, an dem das christlich-spirituelle Erbe sich im Allgemeinen verliert. Denn zwar sieht Angela Merkel, die Anfang der neunziger Jahre dem Evangelischen Arbeitskreis der CDU/CSU vorstand, die evangelische Prägung ihrer "Lebenseinstellung" als Anlass, "einfach auch ein Stück Demut zu leben", wie sie einmal sagte, und auch ihre Wagner-Begeisterung passt durchaus in die Tradition des Kulturprotestantismus.

Lesen Sie auf Seite 2, warum Merkel und Käßmann sich gut verstehen werden. i>

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Aber Merkel kehrt ihr christliches Erbe keineswegs heraus. Die einstige DDR-Kirche, aus der sie stammt, erscheint eher als tapfere Diaspora in einer weltpolitischen Sondersituation denn als kulturelles Modell, an das sich anknüpfen ließe. Nur Merkels Nüchternheit, wenn sie nicht aus der Naturwissenschaft kommt, ist irgendwie protestantisch, ihr mangelndes Sendungsbewusstsein nicht. Sie trägt aus Chorälen und Predigten keinerlei gemeinschaftliches Pathos, keinerlei Verkündigung von Kampf und Zuversicht in die politische Arena, nicht einmal in Krisenzeiten.

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Da ist rein gar nichts von "Wach auf, wach auf, du deutsches Land, du hast genug geschlafen!". Und was Merkel gerade mit den Staatsfinanzen treibt, das kann ja nicht gerade protestantisch-demütige Buchführung genannt werden: diese gewagte Wachstumshoffnung braucht vielleicht staunenswertes Gottvertrauen, ist aber doch eher dem politikimmanenten Durchwursteln zuzurechnen.

So ergibt sich ein markantes Gegenüber zur evangelischen Sphäre: während aus der neuen Regierungskoalition hölzerne Zukunftsfloskeln zu vernehmen sind, zeitigen die Reste der Predigtkultur auf der gleichzeitigen Synode in Ulm noch ein höheres rhetorisches Niveau; während in Berlin munter Kinder- und Betreuungsgeld verteilt werden, debattiert die Synode über die Zukunft des Ehrenamts; während in Berlin weitere Schulden gemacht werden, zeigen die kirchlichen Protestanten ihren bereits geübten Umgang mit knappen Kassen.

Die Entleerung des Pfarrhauses aber ist auch beim Gegenüber zu beobachten. Margot Käßmann ist, wie immer mehr Pastoren, geschieden: Das Pfarrhaus verliert seine Funktion als kulturell-pädagogische Keimzelle. Und die neue Chefprotestantin stammt aus der evangelischen Weltverbesserungs-, aus der Kirchentagswelt. Sie wird den tagespolitischen Interventionismus ihrer Kirche fortsetzen und den Eigengehalt religiöser Rede in Talkshows zugunsten von sozialer Zeitgenossenschaft kaschieren. Zwar betont sie jetzt stärker das Geistlich-Pastorale, aber das wirkt eher wie eine Legitimation, ja eine Kompensation des politischen Engagements. Margot Käßmann und Angela Merkel, so scheint es, werden sich gut verstehen.

© SZ vom 29.10.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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