Aus Computerspielen werden niemals Filme:Willkommen im subjektfreien Ego-Shooter!

Nur du bist Spiderman: Warum sich Film und Videospiel trotz zunehmender Annäherung absolut fremd bleiben.

TOBIAS MOORSTEDT

Hollywood ist ein wunderbares Spielfeld. Die Preisgelder sind hoch, es gibt kein Unentschieden, und: "The winner takes it all".

Aus Computerspielen werden niemals Filme: Am anderen Ende der verwertungskette, etwa in dem Computerspiel: "The Movies", darf der Gamer kleine Filmchen als Kleinstregisseur drehen.

Am anderen Ende der verwertungskette, etwa in dem Computerspiel: "The Movies", darf der Gamer kleine Filmchen als Kleinstregisseur drehen.

(Foto: Foto: Activision)

In seinem neuen Projekt "The Movies" versetzt der bekannte Videospiel-Designer Peter Molyneux den Spieler in die Rolle eines Filmregisseurs an der amerikanischen Westküste.

"Hollywood ist der Inbegriff des Bösen", sagte Molyneux und führt dem Konkurrenzmedium im Spiel dann mit einer beinahe liebevollen Boshaftigkeit seine Schwächen vor.

Willkommen im subjektfreien Ego-Shooter!

Der Oscar, die kleine goldene Figur, wird in "The Movies" durch eine funkelnde Dollar-Statuette ersetzt. Höhepunkt ist, dass die Spieler neben dem Management des Unterhaltungskonzerns auch noch "echte Filme im Spiel herstellen können, die hoffentlich irgendwann in der Realität umgesetzt werden".

In der virtuellen Traumfabrik entstehen so Fiktionsminiaturen, die der Spieler selbst "drehen" und vertonen kann. Die Computermaus ist dabei Universalwerkzeug, ist Kamera, Schnittpult und Greifzange, mit der man die Pixel-Schauspieler von der Straße aufnimmt und in den Himmel hebt, von wo sie dann als Sterne leuchten. Oder man lässt sie einfach fallen.

"The Movies" katapultiert den Rezipienten ans andere Ende der Verwertungskette, von der Wohnzimmercouch in den Ledersessel eines Studiobosses.

Das Spiel scheint dabei beinahe als Metapher für eine Realität der Massenmedien konzipiert, in der man keine Kamera mehr braucht, um Bilder einzufangen, sondern sie mit ein paar schnellen Prozessoren und der richtigen Software zusammenbastelt.

Filme wie "Star Wars", "King Kong" und "Spiderman" haben Kulissenbau und Statisten schon lange durch Computereffekte ersetzt und lassen digital animierte Figuren - so genannte "synthespians" - immer öfter auch Haupt- und Nebenrollen übernehmen.

Ästhetik und Technik der Videospiele beeinflussen das Kino ebenso, wie sich die Videospielindustrie Potenziale des konventionellen Films aneignet. Die New York Times sieht die Grenzen zwischen Kino und Games "durch die neue Computergeneration bereits vollkommen verschwimmen".

Vor allem das zunehmende Interesse der Marketinggenies aus Hollywood dient als Indiz für diese Entwicklung. George Lucas gründete bereits 1982 die Firma LucasArts und brachte seitdem unzählige Spiele aus dem "Star Wars"-Universum auf den Markt, Steven Spielberg gab vor einigen Wochen eine umfassende Kooperation mit dem Weltmarktführer Electronic Arts bekannt (SZ vom 21.10.), und der Herr der "Herr der Ringe", Peter Jackson, demonstriert in diesen Tagen, wie nah sich Leinwand und Joystick bereits gekommen sind, indem er parallel zum "King Kong"-Remake auch das gleichnamige Videospiel produziert.

Der Regisseur David Cronenberg lobte in einem Interview deshalb zwar die "graphische Kunstfertigkeit der Spiele", warnte jedoch vor "der Tendenz, die Antikunst Hollywoods zu imitieren". Vor allem was Produktion und Distribution angeht, hat sich die Videospielbranche den Business-Strukturen der Filmkonzerne angeglichen: Blockbuster-Budgets, Sequel-Sucht und die Abwesenheit einer lebendigen Independent-Szene auch hier. Oft sind Film- und Videospielstudios Teil desselben Unterhaltungskonzerns, welcher so alle Stufen der medialen Verwertungskette besetzt und crossmediales Pong mit sich selbst spielt.

Die Vermischung zwischen Spielen und Filmen findet also primär auf der vermarktungstechnischen und optisch-kosmetischen Ebene statt und betrifft nicht zwangsläufig auch Funktion und Mechanismus des Konsums.

Kino und Videospiel sehen vielleicht ähnlich aus, bleiben sich aber trotzdem fremd. Spiele wie etwa die cineastisch geprägte "Metal Gear Solid"-Reihe schneiden zwar nahtlos zwischen Film- und Spielsequenzen hin und her, orientieren sich mit Point-of-View-Spielereien und Schuss-Gegenschuss-Techniken an der visuellen Grammatik des Films und profitieren so beim Spannungsaufbau von der Konditionierungsvorarbeit, welche die Erzählkonventionen Hollywoods bei den medienkompetenten Zuschauern geleistet haben. "Aber im Kino muss man untätig zusehen und versuchen, den Protagonisten von außen zu verstehen", meint Metal-Gear-Solid-Schöpfer Hideo Kojima, der von sich sagt, er bestehe zu 70 Prozent aus Zelluloid und nicht aus Wasser, "bei uns durchlebt der Spieler seine eigene Krise und trifft die Entscheidungen."

Doch nicht nur die Präsenz des Joysticks unterscheidet aktuelle Verspielungen wie "King Kong", "The Warriors"oder "Der Pate" von ihren filmischen Vorbildern. Die Spielversionen sind keine bloße Fortführung der Filmerzählung, sondern spannen einen mehr oder weniger offenen Raum auf, der sich zwar durch Setting und Figuren an den Film anlehnt, in dem man sich aber vom Erzählstrang lösen und andere Entscheidungen treffen kann als Frodo oder der junge Pate. Es muss für Peter Jackson eine Freude gewesen sein, für das King- Kong-Spiel eine künstliche Welt zu entwerfen, ohne jahrelangen Kulissenbau in den Hügeln Neuseelands, allein durch die Zaubersprüche der Programmiersprache: "Ich wollte den Spielern ermöglichen, ein Universum zu erkunden, das sich sonst auf einen zweistündigen Film begrenzt hätte."

Auch wenn viele Filmlizenz-Videospiele sich nur auf die Marketing-Aura von Shrek, Skywalker und Spiderman verlassen und die Filmgeschichten lieblos umsetzen, wird der Handlungsspielraum des Rezipienten doch "entgrenzt": Er kann sich als Spiderman durch die Cartoon-Wolkenkratzer schwingen und - wie es der Plot verlangt - das Böse besiegen; er kann sich aber auch einfach auf ein Dach setzen und auf den Sonnenuntergang warten. Im Videospiel ist das Narrativ nur eine Stimulans für die Imagination des Spielers, die ihn tiefer in das Spiel integrieren soll. Außerhalb der Zwischensequenzen aber ist eine Videospielgeschichte eher eine Abfolge von Bewegungen, die mit dem Joystick vollführt werden. Der Spieler selbst durchlebt eine Reihe von Situationen, welche sich - würde er sie reflektieren und mit Freunden darüber sprechen - durchaus zu ganz persönlichen, zusammenhängenden Abenteuern fügen würden. Doch dafür scheinen uns die Spiele nicht stark genug zu berühren.

Das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Bilderindustrien verändert sich. Mit Videospielen wird mehr Geld verdient als an den Kinokassen, und bei manchen Filmen - wie etwa bei der Pod-Racer-Szene von "Star Wars: Episode I" - plagt einen der Verdacht, die Filme seien nur ein überlanger Werbespot für das Videospiel. Die virtuellen Helden und Welten entwickeln derweil eine derartig starke kulturelle Macht, dass sie den Comic als primären Themen-Thesen-Titel-Lieferanten des US-Actionfilms verdrängt haben. Der Playstation-Movie, die Verfilmung der rudimentären Hintergrundgeschichten von "Resident Evil" oder "Tomb Raider", ist mittlerweile als eigenes Genre etabliert.

Kürzlich etwa kam die Filmversion des berüchtigtsten Videospiels aller Zeiten, des Ego-Shooters "Doom", in die deutschen Kinos - "mit all dem viszeralen Horror, der das Spiel zu einen Welterfolg gemacht hat", wie die Produzenten versprechen. Trotz des exzessiven Gebrauchs der "First-Person-Perspective", die dem Ego-Shooter geschuldet ist, konnte der Film die Fangemeinde nicht überzeugen und enttäuschte an den Kinokassen. Der Film tut so, als sei er ein Videospiel, der Zuschauer aber vermisst den Joystick. Mit der subjektiven Kamera tut sich das Kino aber bekanntlich immer schwer. Die MGM-Studios bewarben schon 1947 den Film "Lady in the Lake" wie ein Videospiel: "YOU and ROBERT MONTGOMERY solve a murder mystery together!" Es war auch damals ein Misserfolg.

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