Auktionen:Unerwartet zeitgenössisch

Heimkehrende Ziegenherde, 1920 ; von Ernst Ludwig Kirchner

Ernst Ludwig Kirchners "Heimkehrende Ziegenherde" von 1920.

(Foto: Ketterer)

Alte Kunst und Gegenwart geht, Kunst der Moderne enttäuscht: Bei den Auktionen der letzten Monate gab es einige Überraschungen, übergreifende Trends lassen sich aber trotzdem nur wenige ausmachen.

Von Dorothea Baumer

Man müßte sich schon sehr anstrengen, die Resultate der Herbstauktionen in den deutschen Häusern auf einen Nenner zu bringen. Sie waren überraschend zwiespältig. Wie auf den großen internationalen Märkten auch, wo sich zuletzt eine gewisse Stagnation abzeichnete, verlief das Geschehen überwiegend in ruhigeren Bahnen. Spitzenzuschläge blieben rar, eine generelle Zurückhaltung der Sammler war spürbar, wurde allerdings immer dann rasch aufgegeben, wenn attraktive, starke oder unwiederbringliche Objekte geboten wurden. Spitzenstücke zu akquirieren, zählt längst zu den größten Herausforderungen der Branche. Allein diese Lose entschieden über den Erfolg. Entsprechend unterschiedlich reicht die Skala der Bilanzen von enttäuschend bis hervorragend. Außergewöhnliche Werke expressionistischer Künstler zählten zu den begehrtesten Objekten der Saison. Als teuerster zeitgenössischer Künstler verließ Günther Uecker die Auktionsbühne.

Ausgerechnet die Alte Kunst, die sich seit Jahren mit einer Nebenrolle begnügen muß, machte in diesem Herbst abseits von New York und London mit so vielen Millionen-Zuschlägen wie schon lange nicht mehr von sich reden, wenn auch nicht auf heimischem Parkett. Sie fielen in Wien und Paris. Im Dorotheum galt ein Zuschlag von 1,27 Millionen Euro einem im Umkreis Raffaels angesiedelten Gemälde einer Madonna mit Kind. Mit 3,4 Millionen ließ bei Christie's in Paris ein dem Veroneser Giambettino Cignaroli zugeschriebenes Portrait des 13-jährigen Wolfgang Amadeus Mozart aus der Sammlung des Pianisten Alfred Cortot seine Taxe meilenweit hinter sich. Artcurial wiederum überraschte mit dem Barockgemälde einer "Lukretia" von Artemisia Gentileschi, für das vier Millionen geboten wurden. Regelrecht Furore aber machte die Goldgrundtafel einer "Verspottung Christi" des Trecento-Künstlers und Giotto-Lehrers Cimabue, aufgeboten in der Provinz, bei Actéon in Senlis unweit von Paris, mit einem Hammerpreis von 19 Millionen Euro; ein Werk, das der Altmeisterhändler Moretti die wichtigste Entdeckung der letzten fünfzehn Jahre nannte.

So hoch ging es in den deutschen Häusern nicht her. Doch lief es bei Lempertz relativ gut, wo man zwar für repräsentative Stillleben derzeit wenig Interesse, im niederen Taxbereich aber so manche Preiskarriere registrierte. Insbesondere russische Sammler zeigten sich aktiv und übernahmen unter anderem als teuerstes Los das zuletzt im Antwerpener Rubens-Haus als eigenhändig nobilitierte Gemälde des Künstlers einer Hl. Theresa von Avila mit Aufgeld für gut 322 000 Euro. Respektable 198 000 Euro brachten vier Trecento-Tafeln mit Szenen des Hl. Eustachius. Einen durchschlagenden Erfolg konnte Neumeister mit der dreitägigen Versteigerung von rund 800 vor allem kunsthandwerklichen Objekten der Sammlung des Firmengründers Rudolf Neumeister verbuchen, die beinahe vollständig abgenommen wurde, deren Starlose, eine Südtiroler "Beweinungsgruppe" aus dem späten 15. Jahrhundert von Hans Klocker und die Kleinskulptur einer "Flora" des Dresdner Hofbildhauers Balthasar Permoser, sich Bieter mit Aufgeld knapp 280 000 und 150 000 Euro kosten ließen.

Kunstwerke der Moderne blieben vielfach ohne die erwartete Resonanz

Das Hauptgeschehen spielte sich dann freilich in den Auktionen moderner und zeitgenössischer Kunst in Berlin, Köln und München Ende November, Anfang Dezember ab. Besser gerüstet als in der Vergangenheit und zudem in einer neuen Mischung moderner und zeitgenössischer Höhepunkte, trat Grisebach die Abendauktion mit fünfzig ausgewählten Werken an. Doch, von einem heftig begehrten Los abgesehen, verlief der Abend ambitionslos. Expressive Hauptlose wie Lovis Corinths schönes Selbstbildnis, Max Beckmanns "Kleine Landschaft aus Bandol" oder Max Pechsteins weibliches Halbfigurenportrait "Die hellgrüne Jacke" wurden zur unteren Taxe mit 420 000, 300 000 und 420 000 Euro übernommen. Dynamische Steigerungen blieben die Ausnahme. Das teuerste Los, ein Spätwerk Marc Chagalls, "Les fiancées aux anémones" (1979), zuletzt bei Kornfeld 2006 für umgerechnet 1,03 Millionen Euro versteigert, blieb im Vorbehalt von 975 000 Euro stecken und konnte erst im Nachverkauf bei einer Million vermittelt werden. Zehn der fünfzig Werke, darunter Hochdotiertes von Jawlensky, Corinth oder Botero, fanden kein Interesse. So kulminierte der Abend bereits bei Los Nummer zehn, einem kleinen, 1913 auf den Weg gebrachten Postkartengruß von Franz Marc mit grünem und weißem Pferd, den sich ein süddeutscher Sammler, die Schätzung von 250 000 Euro ignorierend, bei einem Zuschlag von 630 000, rekordhohe 781 000 Euro kosten ließ. Auf 20 Millionen beziffert Grisebach den Herbstumsatz.

In den Kölner Häusern stellte sich die Situation nicht unähnlich dar. Auch hier blieben Spitzenzuschläge überschaubar. Dennoch fuhr Lempertz als Mehrspartenhaus mit 11 Millionen Euro ein sehr gutes Ergebnis ein. Während die Moderne vielfach ohne Resonanz blieb, darunter auch das Hauptlos, Karl Schmidt-Rottluffs Aquarell "Stickendes Mädchen" von 1909 (250 000), erzielten gesuchte Werke der Nachkriegskunst gute Preise. Yves Kleins monochrom blaue Leinwand aus dem Initialjahr 1957 etwa ließ sich ein Käufer mit Aufgeld 487 000 Euro kosten und auch für Joseph Beuys' seltene frühe Bronze "Sonnenkreuz" von 1947/48 legte ein Sammler weit über die Schätzung 397 000 Euro an. Komplett veräußert wurden die zwölf marktfrischen, sehr ausgesuchten Arbeiten von Willi Baumeister bis Paul Klee und Fritz Winter der Sammlung Grohmann.

Auch Van Hams 600-Lose-Offerte moderner und zeitgenössischer Kunst, die gute 6,5 Millionen einspielte, enthielt offenbar nicht in Fülle die Reize, die Sammler derzeit aus der Reserve zu locken vermögen. Die Steigerungen hielten sich in Grenzen. Eine farbtrunkene "Astrale Komposition VI" des 21-jährigen Wilhelm Morgner von 1912 allerdings animierte und wurde mit brutto 275 000 Euro teuerstes Moderne-Los. Mit Hammerpreisen von 240 000 und 250 000 Euro übernahmen im Zeitgenössischen ein Nagelbild von Günther Uecker und ein spätes Gemälde von Ernst Wilhelm Nay die Spitzenpositionen.

Robert Ketterer nannte das "Kunst, die gekauft werden wollte"

Mit Befriedigung konstatierte man darum im Münchner Haus Karl & Faber das Gefecht um einen "Abstrakten Kopf" von Alexej von Jawlensky, der einer Bieterin im Saal mehr als eine halbe Million Euro (587 500) wert war, denn Rückgänge gehörten auch hier zur Tagesordnung, wurden aber teils aufgefangen von guten Erlösen, die Werke von Heinrich Campendonk, Ernst Wilhelm Nay und Günther Brus brachten.

Mit der stärksten Offerte ging Ketterer Anfang Dezember an den Start, bot in seiner Abendauktion 80 ausgewählte Werke moderner und zeitgenössischer Kunst, die offensichtlich das waren, was der Firmeninhaber Robert Ketterer "Kunst" nannte, "die gekauft werden wollte." Das Ergebnis waren jedenfalls drei Millionenzuschläge inklusive einer Reihe von Rekorden, ein Umsatz von 27,1 Millionen, der sich zu einem Herbst-Gesamt von 30,7 Millionen Euro rundete und Ketterers Kunstauktionen erneut als die umsatzstärksten bestätigte. Beide expressionistischen Toplose des Abends glänzten mit einer hervorragenden Provenienz, bei beiden griffen Institutionen zu. Ernst Ludwig Kirchners Landschaft "Heimkehrende Ziegenherde" von 1920, auf mindestens 400 000 Euro taxiert, bei 1,2 Millionen zugeschlagen, wurde mit Aufgeld für 1,56 Millionen von der Fondazione Braglia in Lugano erworben. Für Max Pechsteins beschwingtes "Tänzer"-Bild aus bester Brücke-Zeit bewilligte das Museum Folkwang in Essen mit Aufgeld 1,25 Millionen. Teurer als alle Moderne-Lose wurde ein zeitgenössisches Werk: Günther Ueckers Nagelbild "Weißes Feld" von 1994 mit einem Hammerpreis von 1,35 Millionen Euro. Was auch immer das für die kommende Saison bedeuten mag, die Akquise dürfte es befeuern.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: