Süddeutsche Zeitung

Auktionen:Der Reiz des Kompetitiven

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Ein Gespräch mit Dirk Boll, einem der drei Christie's Präsidenten, über Ausnahme­auktionen, echte Sammler, indische Kunstkäufer und deutsche.

Interview von Ulrich Clewing

Der Jurist und Kulturmanager Dirk Boll kam 1998 als Praktikant zu Christie's nach London - und ist dort seitdem, wie er selber sagt, "hängen geblieben". Vor einem Jahr wurde der gebürtige Kasselaner zum Präsidenten für den Bereich Europa, Russland, Naher Osten und Indien ernannt. Damit gehört Boll mit seinen beiden Präsidium-Kollegen und Christie's CEO Guillaume Cerutti zur Führungsspitze des 1766 gegründeten Auktionshauses. In London lebt Boll in Bayswater, um zu Fuß in sein Büro gehen zu können. Er unterhält aber auch eine Wohnung in Berlin, wo an einem Sonntagmorgen dieses Gespräch stattfand.

SZ: Herr Boll, mehr als 800 Millionen Dollar für den Rockefeller-Nachlass, im letzten Herbst 450 Millionen für Leonardo da Vincis "Salvator Mundi" - gerät der Kunstmarkt gerade aus den Fugen?

Dirk Boll: Wenn man diese Summen betrachtet, muss man sich vor Augen halten, dass die Rockefeller-Auktionen und der Leonardo absolute Ausnahmesituationen waren. Es ist irreführend, solche Höhepunkte der Marktgeschichte als Wasserstandsmeldungen anzusehen.

Wie erklären Sie sich selbst diese enormen Preise?

Der für das Leonardo-Gemälde kam zustande, weil Werke dieses Malers so selten sind. Er reflektiert die Berühmtheit des Künstlers und war sicherlich auch zum Teil der erfolgreichen Vermarktungsstrategie geschuldet. Wird das nun dazu führen, dass junge Menschen wieder Alte Meister sammeln? Vermutlich leider nicht. Und bei Rockefeller handelte es sich um eine Traumkombination von hoher Qualität, herausragender Provenienz und dem Wohlfühl-Effekt einer Charity. Aber auch dies war eben eine große Ausnahme.

Sie sind seit 20 Jahren bei Christie's. Wie hat sich in dieser Zeit der Kunstmarkt verändert?

Die Geschwindigkeit des Wertzuwachses ist stark gestiegen - und das hat immer mehr Kapital auf die Kunstmärkte gelockt. Da sehen wir jetzt die Folgen, zum Beispiel in der Frequenz von Messen und Auktionen. Und als Reaktion darauf zuweilen auch Anzeichen einer Marktmüdigkeit.

Welche Rolle hat dabei die Digitalisierung gespielt?

Sie hat den Lauf der Dinge beschleunigt, aber bestimmt nicht die Lust an der Betrachtung des Originals ersetzt. Grundsätzlich kann man sagen, dass Kunst heute mehr als je zuvor zum Lebensstil der Reichen gehört - als Milliardär kann man sich keinen Spiegel über dem Sofa mehr leisten. Man braucht dort ein Kunstwerk mit Wiedererkennungswert.

Wie hoch ist der Grad an Spekulation auf dem Kunstmarkt?

Dass die Leute Kunst nur noch als Investment kaufen, kann ich aus meiner Erfahrung jedenfalls nicht bestätigen. Sicher, es gibt Spekulanten und es gibt Käufer, die mit Kunst ihr soziales Prestige erhöhen wollen. Darüber rümpfen manche in der Branche immer noch die Nase, aber ich kann diese Ansicht nicht teilen. Wenn man an die Kraft der Kunst glaubt, dann glaubt man auch daran, dass etwas, das ursprünglich als ein Investment gedacht war, seine Wirkung entfaltet und der Investor irgendwann zum Sammler wird.

Sterben die echten Sammlerinnen und Sammler nicht langsam aus?

Das denke ich nicht, nein. Die Gruppe, die Kunst als Investition oder aus gesellschaftlichen Motiven erwirbt, ist im Moment nur stärker sichtbar. Aber die Kreise, die unmittelbar mit der Ausstrahlung von Kunst aufwachsen und dies dann später an ihre eigenen Familien weitergeben, die wird es immer geben. Das perpetuiert sich.

Sammler stellt man sich nicht unbedingt als Menschen vor, die nur angenehme Eigenschaften besitzen. Wenn so jemand etwas wirklich haben will, kann er auch recht rücksichtslos werden, oder nicht?

Das ist ja das Tolle an Auktionen - dass man dort das Kompetitive aus den Leuten heraus kitzelt. Das ist Teil des Reizes des Ganzen. Und zum Sammeln gehört ja noch mehr: Ständig in Galerien und Museen zu gehen oder nie Geld zu haben, weil man immer noch irgendetwas abstottert. Das sind Aspekte, die mir selber ganz gut bekannt sind.

Sie haben vorhin von der Aura des Originals gesprochen. Im letzten Jahr haben Sie bei Christie's die Filiale South Kensington geschlossen, um die online-Auktionen zu stärken. Ist das nicht ein Widerspruch?

Nun, das Internet ist jetzt einfach mal da. Sich dagegen zu stellen, wäre nicht vernünftig. Und wenn man heute über Marktstrukturen nachdenkt, dann sollte man sich nicht an den Menschen orientieren, die im gleichen Alter sind wie man selber, sondern an den 25-Jährigen. Und die sind nun einmal mit dem Internet aufgewachsen. Außerdem wurde auch in der Vergangenheit oft Kunst gekauft, ohne dass sie der Käufer unmittelbar vor Augen hatte. Auch August der Starke oder William Hamilton, dem das British Museum große Teile seiner bedeutendsten Sammlungen verdankt, hatten ihre Agenten, die in ihrem Namen für sie Gemälde und antike Skulpturen erwarben.

Welchen Anteil haben die Online-Auktionen am Umsatz von Christie's?

Da liegen uns ein paar interessante Zahlen vor. Wir machen zwar nur 1,2 Prozent unseres Umsatzes mit reinen Online-Auktionen, aber über dieses etwas mehr als eine Prozent Umsatz gewinnen wir mehr als ein Drittel aller unserer neuen Kunden. Und von diesen neuen Kunden sehen wir fast 60 Prozent innerhalb eines Jahres auch in unseren Tages- und Abendauktionen. Online ist also nicht nur eine Verkaufsplattform, sondern ein Kanal, der neue Kunden zu unserem angestammten Kerngeschäft führt.

Seit dem vergangenen Jahr sind Sie einer der drei Präsidenten von Christie's und außer für Europa auch für die Märkte in Russland, Indien und dem Mittleren Osten zuständig. Wie laufen die Geschäfte dort? In welchen Regionen ist der Kunstmarkt am dynamischsten?

Da muss man differenzieren. Die Aktivitäten russischer Sammlerinnen und Sammler sind wegen der Sanktionen zurückgegangen. Und das beeinflusst auch das Sammelgebiet der russischen Kunst. In der Golfregion sammelt eine zahlenmäßig kleine Elite, in aller Regel Angehörige der regierenden Häuser. Dies kann den Märkten starke Impulse geben und wird auch langfristig Auswirkungen haben, wie die großen Museumsprojekte der Region zeigen. Ob dies breitere Schichten dazu verleitet, mehr Kunst zu kaufen, erscheint mir im Moment allerdings noch fraglich.

Und wie sieht der Markt in Indien aus?

Dort kauft eine wohlhabende und internationale Kundschaft Kunst - übrigens bevorzugt in London und New York. Und es zeigen sich überraschende Parallelen zum deutschen Sammeln, eine vermögende Mittelschicht, die die internationalen Märkte versteht. Wie man gerade in unserer Berliner Ausstellung "Beauties and Beasts" sehen konnte, führt diese Haltung innerhalb von wenigen Jahrzehnten zu einer enormen Bandbreite von Expertise und Interessen.

Sammeln Sie auch selber Kunst?

Ich verfolge zeitgenössische Strömungen, und so sammeln sich bei mir Werke von Kunstschaffenden, die fast ausnahmslos jünger sind als ich - meine letzten Erwerbungen waren eine Skulptur von Yngve Holen und aktuelle Fotoarbeiten von Tobias Zielony. Zudem habe ich eine angeborene Schwäche für angewandte Kunst.

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Quelle:
SZ vom 02.06.2018
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