Dichtkunst:So beneid ich diese leid'ge Pfeife

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August von Platen wurde 1796 in Ansbach geboren, er starb 1853 in Syrakus. In seinen Gedichten zeigt sich der angeblich schwächliche Außenseiter Platen als Held des Benennens. (Foto: Süddeutsche Zeitung Photo)

Fatalerweise ist die Fehde mit Heinrich Heine heute bekannter als die Werke August von Platens. Aber es lohnt sich, sie wiederzuentdecken: die Sonette, die Ghaselen.

Von Gustav Seibt

Sonette kommen selten allein, sie treten in Schwärmen und Zyklen auf. Das liegt daran, dass diese strenge Form - zwei Vierzeiler werden von zwei Dreizeilern gefolgt, verkettet gereimt - im späten Mittelalter als Gefäß für unerfüllte Liebe, dann für Sehnsüchte jeder Art, etwa für Heimweh und politische Verzweiflung, etabliert wurde. Immer geht es um ein Ungenügen, ein meist aussichtsloses Verlangen.

Die Aussichtslosigkeit hält die Federn dieser kleinen Spieluhren gespannt, die sich in immer neuen, aber immer ähnlichen Melodien ergehen: Thema und Variation. Der seine Laura anbetende Petrarca setzte im 14. Jahrhundert den Ton, in einem Zyklus, den man erst nach einem Jahr durch hat, wenn man täglich ein Stück liest. Shakespeare folgte ihm mit einer halb so langen Reihe, in leicht veränderter Form: auf drei Quartette folgt ein abrundender, zuspitzender Zweizeiler. Shakespeare adressierte sogar zwei Objekte der Begierde, eine dunkle Dame und einen schönen Ritter aus dem Adel.

Die vollkommensten deutschen Sonette habe August von Platen geschrieben, verkündete Thomas Mann 1911, ein Jahrzehnt vor Rilkes "Sonetten an Orpheus". Dieses Wort behält sein Gewicht. Platen existiert heute fast nur noch in Anthologien und schmalen Auswahlbänden. Dabei tauchen unvermeidlich jene Zeilen auf, die zu den von Robert Gernhardt so genannten "Lyrik-Hämmern" gehören, dauerhaften Ohrwürmern also, die tief im kollektiven Gedächtnis tönen. "Nächtlich am Busento lispeln, bei Cosenza, dumpfe Lieder" - das konnten Generationen nachbeten. "Wem Leben Leiden ist und Leiden Leben", "Wer die Schönheit angeschaut mit Augen" und etliche mehr, darunter auch die, die kühn und doppeldeutig von Platens Männerliebe handeln oder zu handeln scheinen ("Ich bin wie Geist dem Leib, wie Leib dem Geiste dir") - sie haben es immer wieder in die Lesebücher geschafft.

"Drum selig alle, die den Tod erbaten,/ Ihr Sehnen ward gestillt, ihr Flehn erhöret ..."

Dabei geht der zyklische Zusammenhang verloren, an dem Platen ebenso bedacht arbeitete wie am einzelnen Vers. Seine "Ghaselen" oder die "Sonette aus Venedig", vor allem aber die Sonette an Freunde müssen als größere Formen wahrgenommen werden, eben als Variationskunst, wenn man die Fülle der Freuden, die sie ausbreiten, begreifen will.

Darum kann man nur dankbar sein, dass ein kleiner Verlag nun diese Platenschen Zyklen nach Formen geordnet aus der Versenkung holt, erst die Ghaselen (2014) und nun auch die Sonette. Die orientalische Ghaselenform - Ketten immergleicher Reime, von reimlosen Zeilen unterbrochen - ist flexibler als das Sonett, heutige Leser mag sie durch die Insistenz wiederholter Klänge sogar an den Rap erinnern: "Sieh die Wolke, die mit Blitz und Knall spielt;/ Sieh den Mond, mit dem der Himmel Ball spielt;/ Sieh den Fels, der bis an's Firmament reicht,/ Wie er liebend mit dem Widerhall spielt": und so fort.

Das Sonett ist strenger, unverspielter, oft düsterer. Dies hat auch mit dem subjektiven Inhalt der Gedichtreihen zu tun. In den Ghaselen hatte Platen, wie der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering zeigte, seine homoerotische Leidenschaft noch in offensichtliche Doppeldeutigkeit verpackt. Bei dem Vers "Ich bin wie Weib dem Mann, wie Mann dem Weibe dir!" war eben nicht klar, ob sich hinter der Geschlechterdifferenz nicht doch Gleichgeschlechtlichkeit verberge.

Platens Sonette dagegen sind zu einem großen Teil ganz unmissverständlich Liebesgedichte an Männer. Sie sprechen von der Schönheit, von der Unerreichbarkeit der Angebeteten, dazu von schmerzlicher Abweisung. Auf den uralten Bahnen der Minne-Lyrik pochen sie an ein gesellschaftliches Tabu, und darum darf ihre Bildwelt bei allem hohen Ton immer wieder zeitgenössisch sein.

Die jungen Männer, die Platen verehrte, waren oft Studenten, Kommilitonen, sie verwendeten also modische Accessoires wie Burschenschaftsmützen und Porzellanpfeifen: "Und so beneid ich diese leid'ge Pfeife,/ Die deiner Lippen ew'ger Kuss beglücket:/ Doch ihrem Rauch, der stets sich uns entrücket,/ Gleicht deine Gunst, nach der umsonst ich greife."

Das fiel natürlich sogleich auf. Das kundige Nachwort des Sonettenbands von Werner Heck zitiert nicht nur einigermaßen verstörte zeitgenössische Rezensionen, sondern auch eine Briefstelle Heines: "Lesen Sie doch bald möglichst Cottas Grafen Platen, nemlich dessen eben erschienene Gedichte, er ist ein wahrer Dichter. Leider! leider oder besser schrecklich! das ganze Buch enthält nichts als Seufzer nach Pedastrie. Es hat mich bis zum fatalsten Mißbehaben angewiedert."

Ein wahrer Dichter, aber widerlich: Dieses Urteil stand noch vor der verheerenden Fehde zwischen Heine und Platen, die diesem fatalerweise heute mehr Nachleben sichert als seine Werke.

Wer August von Platens Sonette heute liest, wird nicht nur durch herrlichste Verse beschenkt, sondern auch durch kühne Reflexion über sein Außenseitertum. Der angeblich Schwächliche war ein Held des Benennens, nicht nur in seinem Tagebuch: "Und also will ich auch der Liebe pflegen,/ Mit einer Sinnesart, die nicht zu loben,/ Doch, die zu schelten, mich bedünkt verwegen." Am Ende steht pure Verzweiflung: "Drum selig alle, die den Tod erbaten,/ Ihr Sehnen ward gestillt, ihr Flehn erhöret,/ Denn jedes Herz zerhackt zuletzt ein Spaten."

Vielleicht mag der Männerschwarm Verlag, dem wir diese schönen Bände verdanken, noch einen dritten folgen lassen, mit einem bunten, heiteren Inhalt, Platens in serbischen Trochäen abgefasstes Märchenepos "Die Abbassiden", das er selbst für sein gelungenstes Werk hielt - wir meinen: zu Recht.

August von Platen: Die Ghaselen. Männerschwarm Verlag, Berlin 2019. 135 Seiten 28 Euro. August von Platen: Die Sonette. Männerschwarm Verlag, Berlin 2019. 160 Seiten 26 Euro.

© SZ vom 26.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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