Süddeutsche Zeitung

Auftakt der Mozartwoche:Mit Würde ins Nirgendwo

Ein verstaubtes Möbelstück aus fernen Zeiten: Bob Wilson inszeniert in Salzburg Händels Messias in Mozarts Fassung.

Von Reinhard J. Brembeck

Trompete oder Posaune? Die Frage ist wichtig, zumindest in Salzburg bei der Mozartwoche. Die steht seit je im Schatten der Sommer-, Pfingst- und Osterfestspiele und versucht mit deutlich weniger finanziellen Mitteln, ihrem weltberühmten Namenspatron zu huldigen. Nun wird sie zum zweiten Mal von dem als Sänger in einer Dauerstimmkrise befindlichen Roland Villazón geleitet, der im Mai Claudio Monteverdis "Orfeo" singen will. Villazón inszeniert auch und schreibt Bücher. Zudem versucht er, die Mozartwoche aufzuwerten, die traditionell mit einer Operninszenierung ins Rennen geht. Dieses Jahr stand neben dem vom Meister selbst halbszenisch inszenierten "Figaro" zur Eröffnung auch noch Georg Friedrich Händels "Messias" auf dem Programm.

Das mag befremdlich sein, aber es gibt eine Fassung des Stücks, die Mozart 1798, also 50 Jahre nach der Uraufführung, für Wien eingerichtet hat. Er hat den Bläsern neue Noten dazukomponiert, manches vereinfacht und einen deutschen Text verwendet, in dem es jetzt "Posaune" heißt statt "trumpet" wie im Original. Jetzt sitzen im Haus für Mozart die von Marc Minkowski gegründeten und dirigierten Les Musiciens du Louvre nicht in kleiner Barockbesetzung sondern als Großformation der Wiener Klassik, mächtig auftrumpfend mit zehn ersten Geigen und vier Kontrabässen. Das ergibt einen raumbestimmenden und dichten Kompaktklang, der sich hörbar von Händels schlankem Ideal in Richtung Romantik entfernt. Die Agilität der Instrumente und das zarte Geflecht der Stimmen sind eingeschränkt und die allesamt eher barock- als klassikaffinen Sänger haben einen schweren Stand gegen das stets dominierende Orchester. Das ist umso bedauerlicher, als Minkowski der fantasievollste, rasanteste und leidenschaftlichste aller Barockdirigenten ist. Wie nur noch Teodor Currentzis kann er die Musik tanzen lassen, kann sie als Klang gewordene Wunsch- und Liebesträume inszenieren. Das macht er auch in Salzburg, ohne allerdings damit zu enthusiasmieren.

Die Mozart-Fassung, die aus guten Gründen kaum gespielt wird, wirkt deshalb wie ein aus der Zeit gefallener Zwitter. Sie schert sich nichts um die historische Distanz, weder zu Händel noch zum Heute. Sie behandelt Händels Partitur wie ein 1789 zeitgenössisches Stück. Das führt zu Übergewicht, zu Arthrose und Versteifungen. In keinem Moment wird verständlich, warum diese Fassung jenseits der historischen Bedeutung heute gespielt wird.

Bob Wilson zeigt wie so häufig kein Interesse, das Stück erhellend zu deuten

Salzburg bietet eine musikologisches Propädeutikum. Dieser Eindruck wird verstärkt durch die sich zeitlos schön in einem wunderbaren Hellblau verlierende Inszenierung von Bob Wilson, der wie so häufig kein explizites Interesse zeigt, das Stück erhellend zu deuten. Es wird würdevoll geschritten, der Tänzer Alexis Fousekis huscht mal halbnackt wie ein magerer Sumo-Ringer, mal als animiertes Heumanderl, mal als Astronaut über die Bühne, Gletscher schmelzen, ein Traumschiff fährt ins Nirgendwo. Der Tenor Richard Croft scheint in seiner süffisanten Britishness einer Operette von Gilbert & Sullivan entsprungen, der Bass José Coca Loza dem Nô-Theater, und Elena Tsallagova wirkt sängerisch und szenisch wie eine Gestalt aus der nordischen Mythologie.

Wilsons strahlender Optimismus aber trifft sich haargenau mit dem Händels. Er ist für diesen Komponisten in solch einer Überdosis untypisch. Zudem wirkt er manchmal unpassend, so in der zentralen Klagearie "Er ward verschmähet". Das ist das längste und intensivste Stück des "Messias", das bei Wiebke Lehmkuhl unentschlossen zwischen Optimismus und Verzweiflung hängen bleibt. Was leider auch für den Philharmonia Chor Wien gilt. Der meistert zwar Händels irrwitzig rasante Tongirlanden, aber der Gesang klingt nie enthemmt, freudig oder souverän.

Dieser "Messias" wirkt also wie ein verstaubtes Möbelstück aus fernen Zeiten. Die Salzburger Veranstalter haben sich nicht daran verhoben, sie waren einfach in ihrer Konzeption zu wenig anspruchsvoll. Die Sommerfestspiele, die in diesem Jahr ihr hundertstes Jubiläum feiern, wollen diese Produktion im Juli übernehmen. Die Zeit bis dahin müsst reichen, diesem lahmenden Oratorium noch ein bisschen aufzuhelfen.

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Quelle:
SZ vom 27.01.2020
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