Süddeutsche Zeitung

Auf Recherche in Georgien:Erzählen in gemalter Sprache

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Auf dem Weg nach Deutschland - Eindrücke von einer Reise zur Kinderbuchszene in Georgien, dem Gastland der diesjährigen Buchmesse. Und der Situation der Autoren.

Von Roswitha Budeus-Budde

Der beste literarische Markt in Georgien ist der Kinderbuchmarkt", George Karchkhadze sprüht in seinem Verlagshaus in Tiflis vor Optimismus. Auf der Buchmesse in Frankfurt freilich, wo Georgien dieses Jahr Gastland ist, wird davon nichts zu spüren sein. 200 Titel wurden in den Sparten Belletristik, Poesie, Anthologie, Sachbuch, Kunstbuch, Kulinarik für deutsche Verlage übersetzt, im Kinderbuch nur acht.

Zwar sind weitere acht Übersetzungen noch angekündigt, doch Gvantsa Jobava, die Vorsitzende des Georgischen Verleger- und Buchhändlerverbandes und eine der Organisatoren des Messeauftritts, zeigt sich beim Pressegespräch frustriert. Sie bot verschiedenen Verlagen Kinder- und Jugendbücher an, aber ohne Erfolg, offensichtlich lebt diese Literatur noch zu sehr aus der osteuropäischen und alten georgischen Erzähltradition. Jobava ist schon glücklich darüber, dass der NordSüd Verlag die "Märchen aus Georgien" veröffentlichte, die von jungen Nachwuchskünstlern illustriert wurden. Übersetzt wurde auch das wichtigste historische Kinderbuch, "Die zauberhafte Kraft des Wiegenliedes", von Iakob Gogebashvili. Es erschien 1890, als erstes Kinderbuch in georgischer Sprache, die damals während der russischen Besatzung offiziell verboten war. Der Text dient heute noch als Grundlage für Erstlesefibeln, und der Geburtstag des Schriftstellers am 15. Oktober wird als georgischer Kinderbuchtag gefeiert.

Doch wo sind die Bücher mit aktuellen Themen? Nur zwei finden sich in der Auswahl für Frankfurt, die an das heutige Leben der Kinder anknüpfen. Das Bilderbuch "Land unter im Zoo" von Tea Topuria und Sonia Eliaschwili - es erzählt von der Überschwemmung des Zoos in Tiflis - und "Die Geschichte in gemalter Sprache", von Diana Anfimiadi, mit Illustrationen ihres kleines Sohnes.

Kaum ein Autor in Georgien kann von seinen Büchern leben, fast alle haben einen Zweitberuf

Findet die georgische Kinder- und Jugendliteratur so wenig Interessenten im europäischen Ausland, weil sie sich an erster Stelle auf die Besonderheiten und Bedingungen des heimischen Buchmarkts einstellen muss, auf dem sie weniger geschätzt wird als die Belletristen? "Noch ein Erbe aus sowjetischen Zeiten", meint George Karchkhadze. Obwohl der Staat sich nach dem Kaukasuskrieg 2008 in rasantem Tempo entwickelt, hat die Buchbranche zu kämpfen. Bei vier Millionen Einwohnern bringen Auflagen von 1000 Stück - die dann vielleicht noch Jahre brauchen, um verkauft zu werden - kaum Tantiemen, von denen ein Autor leben kann. Fast alle haben einen Zweitberuf, der ihnen wenig Zeit lässt zum Schreiben.

Darum gehen Kinderbuchautoren wie Mariam Tsiklauri keine Risiken ein, schreiben fast nur für Kleine, mehr oder weniger pädagogische Texte, die von den Eltern gekauft werden und auch in Schulbüchern erscheinen. In ihrem Buch "Lustige Rezepte", versammelt sie neben Erziehungsgeschichten aus dem kindlichen Alltag auch Umwelterzählungen, in denen sie mythologische Figuren als ökologische Vorbilder einsetzt. Wie die alten Waldgeister, das Geschwisterpaar Otschopintre und Otschodali, die früher für eine gute Jagd angerufen wurden und nun Hüter des Waldes sind. Mit 18 Büchern ist Mariam Tsiklauri bekannt und erfolgreich in Georgien, aber sie ist nicht in Frankfurt vertreten und meint im Gespräch, dass ihr die Kontakte in Deutschland fehlen, denn in den osteuropäischen Ländern wird sie gedruckt. Doch auch sie kann sich das Schreiben nur leisten, weil sie im Kultusministerium arbeitet und zu einem Team von Übersetzern gehört. Eine Tätigkeit, die lukrativ ist, denn 80 Prozent der Bücher, die in Georgien erscheinen, sind Übersetzungen.

Sogar in den Bibliotheken fragen die Leser gleich nach übersetzten Titeln. Nicht nur die Kinder, auch die Erwachsenen erwarten mehr von ausländischen als von georgischen Autoren. Die Bibliothekarin Irma Malatsidzek - sie schreibt selbst für Kinder und Erwachsene - will das ändern und engagiert sich in zwei Literaturprojekten. Einmal arbeitet sie mit an einer Serie kleiner Sachbücher, verfasst von georgischen Autoren für die Schulen, ein Projekt, das vom Kultusministerium unterstützt wird. Dann veröffentlicht sie, zusammen mit Diana Anfimiadi, die Zeitschrift Colada, "Schokolade", mit Texten einheimischer Schriftsteller, Rezensionen und Berichten über das literarische Leben. Anfangs wurde die Zeitschrift von einer Bank gesponsert, jetzt versucht Diana Anfimiadi mit viel Optimismus einen Neustart mit einer elektronischen Ausgabe, sie hofft auf Unterstützung des Kultusministeriums.

Die Kinder sollen nicht glauben, dass die Schreiber der Bücher schon alle tot sein müssen

Lehrer sind bei diesen Leseaktionen die wichtigsten Vermittler, aber Gvantsa Jobava kennt das Problem mit der älteren Generation. "Es ist manchmal schwierig, weil die Schulen oft noch sehr traditionell und nur mit Klassikern arbeiten. Aber allmählich wächst eine Generation von jungen Lehrern heran, die den Unterricht verändert." So werden Autorenlesungen am Tag des internationalen Kinderbuches im Februar von Lehrern mitorganisiert: "Denn die Kinder sollen nicht glauben, dass die Schreiber der Bücher, die sie in der Schule lesen, alle schon tot sein müssen." Diese Aufbruchsstimmung in der Szene macht es auch für die Autoren leichter, Neues zu wagen. Die Lehrerin und Autorin Tamuna Gegeshidze lässt in ihrem Debüt "Seelenvögel" ihren Helden Tagebuch schreiben. Über die Schule, die hier einmal nicht, wie in Georgien üblich, als Zwangsinstitution dargestellt ist, und über die Probleme in der Familie. Das Anschauungsmaterial findet sie bei ihren Schülern, die erleben, dass für sie im stressigen Berufsleben der Eltern keine Zeit mehr ist. In ihrem nächsten Buch soll ein Mädchen im Mittelpunkt stehen. "Es gibt viele gute Kinderbuchautoren, die aber meistens nur für kleine Kinder schreiben", meint sie, "aber kaum typisch georgische Literatur für Jugendliche ab zehn, zwölf Jahren", auch keine Mädchenbuchreihen, immer nur Übersetzungen."

Eines der wenigen realistischen Jugendbücher "Die Geschichte in gemalter Sprache", von Diana Anfimiadi, hat es in die Auswahl für Frankfurt geschafft, ebenso wie die belletristischen Titel der Autorin. Ihre Erzählungen aus dem Alltag mit ihrem autistischen Sohn sollen ein Tabu brechen, und behinderten Kindern auch in der georgischen Gesellschaft einen Platz geben. Sie rechnet nicht mit großen Verkaufserfolgen und arbeitet in der Werbebranche. Auch für ihr zweites Jugendbuch, mit dem aktuellen politischen Thema Migration - die es auch in Georgien gibt - und das von der Möglichkeit erzählt, Kriege zu verhindern, erwartet sie keine großen Auflagen. Aber sie sieht es als ihren Auftrag an, realistische Bücher zu schreiben: "Es ist wichtig, dass die Kinder über diese Probleme etwas lesen. Es muss erzählt werden."

Diese Leidenschaft, sich mit persönlichem Einsatz und ausgefallenen Ideen für die Literatur einzusetzen, förderte schon 1994 die Gründung des ersten georgischen Verlags Diogene. George Karchkhadze erzählt, wie er mit vier Freunden, unter ihnen Bakur Sulakauri, heute einer der größten Verleger Georgiens, nach Deutschland ging, um als Rockmusiker Diogene in Tiflis zu finanzieren. Er selbst suchte nach Möglichkeiten, die Bücher seines Vaters, eines bekannten georgischen Autors, in Deutschland zu veröffentlichen und lernte Hermann Schulz im Peter Hammer Verlag und Wolf Erlbruch kennen.

Karchkhadze liebte damals schon Kinderbücher, und stellte sich vor, mit den Millionen als berühmter Star einen eigenen Verlag zu gründen. Seit 2004 betreibt er ihn, (mit Startgeld der Mutter) und verdient sein Geld auch mit der Neubearbeitung von Klassikern der georgischen Literatur, zum Beispiel dem Nationalepos "Der Recke im Tigerfell", und dem "Kochbuch des Prinzen Bagrat von Georgien 1818". Beide Titel sind in der Ausstellung in Frankfurt zu sehen. Doch zwei Drittel seiner Einnahmen bezieht er aus Kinderbüchern, unter ihnen auch Fantasytitel. "Ich glaube an ein georgisches Jugendbuch als internationalen Bestseller. Es ist noch nicht geschrieben. Aber es wird geschrieben werden."

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Quelle:
SZ vom 12.10.2018
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