Auf der Suche nach Perfektion: Location Scouts:Die Utopisten

Kein Film kommt ohne sie aus: Location Scouts sind stets auf der Suche nach dem idealen Drehort. Die Arbeit läuft im Verborgenen - und wird zunehmend schwieriger.

Viola Schenz

Dieter Lotzmann hält mal wieder den Verkehr auf. Lotzmann fährt meistens langsam, sehr langsam. Er muss beim Fahren viel nach rechts und links gucken, weil er dauernd auf der Suche ist: mal nach einer Bank, mal nach einem Gemüseladen, mal nach einer Altbauwohnung im dritten Stock, mal nach einer Eckkneipe - manchmal einfach nur nach einer blühenden Wiese. Lotzmann arbeitet als Location Scout, sein Job ist es, für Film- und Fernsehproduktionsgesellschaften geeignete Drehorte zu finden. Seit gut 15 Jahren macht er das, 40 000 Kilometer fährt er im Jahr, an das ungeduldige Hupen hinter ihm hat er sich längst gewöhnt. Daran, dass sein Job immer schwieriger wird, noch nicht.

Dieter Lotzmann, 56, hager, dunkelblaues Hemd über der Hose, kariertes Sakko, kurze blond-graue Haare, blaue - und wie nicht anders zu erwarten - wache Augen. Von ihnen hängt ab, was die Zuschauer eines Münchner Tatorts oder von Kommissarin Lucas präsentiert bekommen. Für "Kirschblüten", den aktuellen Kinofilm von Doris Dörrie hat Lotzmann die Motive für die Szenen im Allgäu zusammengesucht. Wenn ein Filmteam mit Regisseur, Kameraleuten, Aufnahmeleiter, Kabelträgern, Beleuchtern und Schauspielern irgendwo anrückt, haben Menschen wie Lotzmann bereits wochenlange Vorarbeit geleistet.

Es ist ein Job, der im Verborgenen abläuft, für den es keine Ausbildung gibt. Lotzmann, der vorher alle möglichen Berufe hatte, vom Einzelhandelskaufmann bis zum Discjockey, sagt: "Irgendwann fängst du einfach an damit." Ein Job, der Geduld verlangt, vor allem aber Fingerspitzengefühl, weil man sich dauernd auf ganz unterschiedliche Menschen einstellen muss - mal auf Bauarbeiter, mal auf einen Firmenchef, auf eine Dame von Adel oder einen Schalterbeamten. "Ich bin der Erste, der einen Kontakt herstellt", sagt er, "und der muss passen." Lotzmann stößt mit seinem "Wir würden gerne bei Ihnen drehen" selten auf Begeisterung, zu viele Horrorgeschichten von Filmcrews kursieren, die demolierte Räume zurückgelassen haben sollen.

Totgedreht

Im Moment sucht Lotzmann in München zwei Objekte: eine Bankfiliale im Look der Achtziger und ein Geschäft älterer Bauart, das sich in einen Tattooladen verwandeln lässt. Seit einer Stunde kurvt er in seinem Volvo durch die Innenstadt. Da trifft es sich gut, dass die Aktenzeichen-XY-Redaktion auf seinem Handy anruft und ebenfalls eine Bank braucht - das lässt sich eventuell bündeln. Plötzlich rechts ein Hutladen: große Schaufenster, tiefer Innenraum, hinten Stufen. So wie es das Drehbuch will. Lotzmann parkt in zweiter Reihe, geht rein, sagt sein Sprüchlein auf, stößt bei der jungen Inhaberin auf Interesse, schießt mit seiner Digitalkamera innen und außen Fotos, tauscht Visitenkarten.

Es lohnt sich, seine Wohnung oder sein Geschäft zur Verfügung zu stellen, eine Monatsmiete pro Drehtag lautet etwa der Tarif bei Wohnraum. So was spricht sich rum, die Kurse steigen. Besonders Restaurants versuchen ordentlich hinzulangen, wenn sie eine Drehgenehmigung erteilen. Aber das Problem sind weniger die hohen Drehgebühren, die sind bei den Produktionskosten einkalkuliert. Das Problem ist, dass München und Oberbayern sehr beliebte Drehstätten und deshalb "totgedreht" sind.

Es gibt kaum noch unverbrauchte Motive, aber es sollen ständig welche her, und die wachsen leider nicht auf Bäumen, sagt Lotzmann. Die Zuschauer wollen im Grunde Klischees, die Produktionsleiter wollen diesen Wunsch gleichzeitig bedienen und umgehen. Alles soll so aussehen, wie man es aus dem Fernsehen kennt, aber es soll neu, anders sein - das ist das Paradox, das ist Lotzmanns Los.

Scheinwerfer im Schlafzimmer

Wenn Filme in Bayern gedreht werden, dann in Oberbayern, wenn einer in München gedreht wird, dann in den zentrumsnahen Vierteln Schwabing, Haidhausen, Au, Glockenbach. Dort stehen die meisten Altbauten mit ihren schnörkeligen Fassaden und den schicken Wohnungen und im Idealfall sogar mit einer Galerie. Altbauten sind aus zwei Gründen bei Regisseuren beliebt: Zum einen besitzen sie Flair. Die Decken haben Stuck, die Türen geschwungene Messingklinken, die Fenster ein Fensterkreuz und zwei Flügel - ganz so wie Kinder Fenster malen, wie sich die meisten Menschen ein Fenster vorstellen. Niemand denkt beim Stichwort Fenster an Thermopane mit Plastikrahmen und seitlichem Griff.

Zum anderen sind sie groß genug: "In den kleinen, niedrigen Zimmern eines Nachkriegsbaus kriegen Sie weder eine Filmausrüstung noch Scheinwerfer unter", erklärt Lotzmann. Vor allem braucht der Kameramann Bewegungsfreiheit, die Zeiten statischer Einstellungen sind lange vorbei, die Kamera muss um die Schauspieler rumwandern, ein Zimmer muss Bühne sein.

Auf der nächsten Seite: Warum der ideale Drehort Utopie bleiben muss und welche Voraussetzungen die gesuchten Schauplätze mitbringen müssen.

Die Utopisten

Weil in und um München so oft gedreht wird, sind Anwohner allerdings wenig scharf auf anrückende Filmteams. Die natürlichen Feinde eines Location Scouts sind Bürgerbüros und Kreisverwaltungsreferate, die nach Beschwerden durchgreifen. Grünwald zum Beispiel, Münchens Reichenvorort im Süden, habe ein totales Nachtdrehverbot erteilt, bedauert Lotzmann. Es ist durchaus üblich, dass in München ganze Straßen vorübergehend für Drehs gesperrt werden, bestätigt Claus Meding, Aufnahmeleiter bei der Produktionsgesellschaft Bavaria. Verständnis dafür hat Meding. Wer schätzt es schon, wenn die Parkplätze vor dem Haus tagelang mit Produktions-Lkw belegt sind oder wenn Scheinwerfer nachts das Schlafzimmer anstrahlen.

Eine Herrgottsschnitzerei

Ein Profi-Scout wie Lotzmann, der in München eigentlich jede Straße kennt und seinen PC daheim mit geschätzt 30 000 Außen- und Innenmotiven gefüttert hat, muss daher trotzdem immer weiter suchen. Geschäfte machen dicht, Restaurants machen auf, immer wieder kann sich ein Straßenbild ändern, Lotzmann darf das nicht verpassen. Es ist ein Allzeitjob. Auch wenn er gerade keinen Auftrag hat, ist Lotzmann im Einsatz. Location Scout ist man immer und überall.

Gabi Pohl hat ihren Auftrag für die Bavaria fast abgeschlossen, hat die zurückliegenden Wochen die Region um Bad Tölz und das Ammertal mehrmals abgefahren. Motivbesichtigung: Das Filmteam ist in Oberammergau unterwegs, checkt Pohls ausgewählte Drehorte für die Verfilmung eines Utta Danella-Romans für die ARD. In drei Wochen sollen die Dreharbeiten losgehen.

Das Drehbuch verlangt nach einer Brauerei mit Wohnhaus, einer Herrgottsschnitzerei, einer Festwiese, einer katholischen Kirche mit Beichtstuhl, einem Friedhof und nach "einem kleinen Bauernhaus mit wunderschönem Bauerngarten, daneben ein kleiner Anbau mit einem aus Holz geschnitzten Schild". Pohl ist Location Scout und Szenenbildnerin in einer Person, sie sucht die Drehorte und stattet sie auch aus - bastelt Beschriftungen, stellt Geranienkästen auf, hängt passende Bilder an die Wand.

"Schöner als je zuvor"

Im Fall des Bauernhauses hat sie am nördlichen Ortsrand Oberammergaus etwas gefunden, was auf die Beschreibung passt und wonach Danella-Fans verlangen: hinterm Haus idyllische Berge, vorm Haus die Bank zum Sonnen, oben der Holzbalkon, rundherum blühende Wiesen und das allerbeste: Die Familie, die hier wohnt, sähe es sehr gerne, wenn ihr alter Hof Fernsehkarriere machte. Auch die rustikale Wohnküche, in der sich Filmszenen abspielen sollen, gibt es.

Das Problem: In einer Szene brennt ein Topf auf dem Herd an, so richtig mit Flammen und Rauch. Aber welcher Hausbesitzer hört gerne, dass seine Küche halb abgefackelt werden soll. Der Moment der Diplomatie. Pohl redet sachte auf die Hausfrau in Kochschürze ein: lediglich ein kleines Malheur, die Pyrotechniker bereiten alles professionell vor, die Holzbalken an der Decke bleiben verschont, der Herd auch, nur die Wände werden schwarz vom Rauch, aber danach werde alles gestrichen und die Küche schöner sein als je zuvor. Gespannte Pause. Die Herrin des Hauses nickt. Pohl strahlt.

Der ideale Drehort?

Das Drehbuch will es aber auch, dass eine Kutsche am Haus vorfährt, und jetzt wird es schwierig: Die Zufahrt macht einen scharfen Winkel, der Weg ist steil. Zu scharf, zu steil für eine Kutsche. Pohl misst Wege und Winkel aus, macht sich Skizzen. Lässt sich die Szene an eine andere Hausseite verlegen? Kameramann und Aufnahmeleiter überlegen Alternativen, alle staksen durch die feuchten Wiesen ums Haus. Schließlich entscheidet der Regisseur: Drehort ungeeignet. Für Gabi Pohl beginnt die Suche von Neuem: nach einem idyllisch gelegenen Bauernhaus mit filmfreundlichen Bewohnern, das innen und außen zwei Dutzend Kriterien erfüllen soll, aber bitteschön möglichst noch nie irgendwo im Fernsehen gezeigt war. Die 45-Jährige verzagt nicht, sie ist so was gewohnt.

Der ideale Drehort? Fast eine Utopie. Es muss Anfahrtswege geben für die Lkw, die die technische Ausrüstung anschleppen. Der Lichteinfall muss stimmen. Das Drehteam muss sich einigermaßen bewegen können. Schilder oder Beschriftungen dürfen nicht im Bild sein. Es sollte ruhig sein, ohne Verkehrslärm. Der Fußboden muss das Gewicht von Filmteam plus Komparsen aushalten, eventuell muss man einen Statiker bemühen. Das Parkett sollte nicht knarzen, wenn sich der Kameramann bewegt.

"Ich zittere immer, dass kurz vor Drehbeginn noch irgendwas das Motiv versaut", sagt Lotzmann. Dann erzählt er von dem Wohnhaus, bei dem alles stimmte, alles vorbereitet war, die Drehgenehmigung der Eigentümergemeinschaft eingeholt, die Schauspieler einbestellt, die Komparsen auch - und am Vortag des Drehbeginns kam ein Bautrupp und riss direkt vor dem Haus die Straße auf. Das war's dann.

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