"Auf der Couch in Tunis" im Kino:Psycho-Frühling

Filmstills

Über den Dächern von Tunis: Golshifteh Farahani als Selma in den Film "Auf der Couch in Tunis".

(Foto: Verleih)

Freuds Erbin in Tunesien: "Auf der Couch in Tunis" ist der erste Film von Manele Labidi Labbé.

Von Susan Vahabzadeh

Mit ihrem Beruf könnte Selma hingehen, wo sie will, sie würde überall gebraucht. Selma ist Psychoanalytikerin, und Menschen, die Hilfe benötigen auf der Suche nach ihrem Seelenheil, gibt es ja genug. Es ist die Zeit kurz nach dem Arabischen Frühling, und Selma beschließt, nach zehn Jahren in Paris zurück nach Tunis zu ziehen. Dort herrscht weniger Konkurrenz, denkt sie, und in Tunis ist jetzt, nach dem Ende der Diktatur, alles anders - nur weiß noch keiner, was das heißt.

"Auf der Couch in Tunis" ist der erste Film von Manele Labidi Labbé. Anders als ihre Heldin ist sie in Paris geboren, aber sie ist tunesischer Abstammung. Tunis ist laut und fröhlich und frei, als Selma dort ankommt, aber es herrscht vor allem Chaos. Erst einmal besorgt Selma sich ein Auto, damit sie mobil ist, ohne sich die Familienquerelen auf den Vordersitzen anhören zu müssen, dann macht sie sich auf in den Frisiersalon.

Man würde ihr dort gern einen anderen Look verpassen, die burschikosen Klamotten und die wüsten Haare findet die Chefin des Salons furchtbar unweiblich. Selma lässt sich die Haare glatt ziehen, nicht weil sie es schön findet, sondern weil sie hier auf eine Verbündete hofft. Die Friseurin soll Werbung machen für die neue Praxis. Das Gespräch verläuft anders als erwartet: Wozu soll eine Fachfrau fürs Reden gut sein, wenn man auch im Schönheitssalon vor sich hin reden kann und anschließend noch eine neue Frisur hat? Andererseits ist die Friseurin jederzeit bereit, mit Selma halbe-halbe zu machen, wenn sie ihr die Kundschaft auf die Couch schickt. Sie ist dann bald selbst Selmas Patientin, eine, die gar nicht mehr ohne sie kann und eifersüchtig die lange Schlange vor der Tür vertreiben möchte. Denn Selmas Praxis ist ein voller Erfolg - die unterschiedlichsten Menschen schütten ihr das Herz aus. Gern auch gegen Geld.

Nach der Revolution ist in Tunesien ein "ungeheueres Redebedürfnis" entstanden

Es sei, sagt Manele Labidi, in Tunesien nach der Jasmin-Revolution ein ungeheures Redebedürfnis entstanden - nach dem Ende der Diktatur durfte das Unaussprechliche plötzlich diskutiert werden, aber wie soll das gehen, wenn man in der Diktatur nicht gelernt hat, über seine Probleme zu reden, über Erinnerungen an Unterdrückung, über Sexualität oder Selbstzweifel? So kam Manele Labidi auf ihre Heldin: Eine moderne Großstadtfrau, die beschließt, eine Praxis in der Vorstadt aufzumachen, dort, wo sie selbst aufgewachsen ist und viele Leute kennt. Sie trifft auf lauter Menschen, die von religiöser und politischer Restriktion geprägt sind. Selma sitzt nun also mit großen Augen da, während ein Panoptikum der auf niedlichste Art gestörten Patienten an ihr vorüberzieht - der eine hat verstörende erotische Träume, ein anderer Paranoia, er wähnt den Mossad an jeder Ecke.

Golshifteh Farahani spielt Selma, und die Fremdheit der Rückkehrerin, die sie darstellen soll, kann sie ausspielen, weil sie keine Araberin ist, sondern Iranerin mit Wohnsitz in Paris. Sie schafft es tatsächlich, ein wenig deplatziert zu wirken zwischen den Frauen, die sich entweder herausputzen oder verschleiern, mit ihren Kleidern, die einerseits schön weit sind und andererseits doch nicht sehr züchtig. Den Zwiespalt, den sie selbst empfindet, wollte sie zeigen, sagt die Regisseurin Manele Labidi: In Frankreich sei sie sich ihrer tunesischen Abstammung immer bewusst, in Tunesien aber gehöre sie dann wiederum auch nicht so richtig dazu.

Für Selma bedeutet das, dass sie erst einmal begreifen muss, wie die Menschen ticken und die Dinge funktionieren. Sie trifft auf eine fremde Welt mit fremden Regeln. Bald sitzt ein junger Mann auf der Couch, der sich als Polizist erweist und Selmas Genehmigung für die Praxis sehen will, die sie natürlich nicht hat. Sie muss also aufs Amt - und da geht es nicht zu wie in Paris. Immer wieder wird sie vertröstet, ominöse Zusatzdokumente soll sie beibringen. Sie kann also nicht ohne Genehmigung arbeiten und auch keine bekommen, sie sitzt in der Zwickmühle. Der Polizist will ihr aber gar nicht an den Karren fahren, er will flirten - auch das in einem fremden Code, den Selma nur mit Mühe zu verstehen beginnt. Es treibt sie zur Verzweiflung, dass sie eigentlich selbst hilfsbedürftig ist, so sehr, dass sie sich irgendwann Freud auf den Beifahrersitz fantasiert.

Die Ausgangssituation auf Selmas Couch erinnert ein wenig an eine sehr komische russische Satiresammlung aus Zeiten der Perestroika, die "Müssen wir jetzt immer machen, was wir wollen?" hieß. Ganz so beißend ist "Auf der Couch in Tunis" aber nicht - wenn Labidi über Tunesien witzelt, ist sie vorsichtig, denn letztlich ist sie selbst aus Paris; das Element der Selbstironie fehlt. Labidi nähert sich dem Land mit Wohlwollen, fast ein bisschen, als wäre sie selbst eine Therapeutin, die versucht, ihren Patienten zu verstehen. Ihre Heldin lässt sie jedenfalls herausfinden, dass alles ganz anders ist als vermutet: Sie dachte, sie käme, um etwas zu verändern und zu reparieren - aber es ist die Stadt Tunis, die sie verändert. Geheilt wird sie dann vielleicht auch nicht sein, aber im Reinen mit sich selbst.

Un Divan à Tunis, 2019 - Regie und Buch: Manele Labidi Labbé. Kamera: Laurent Brunet. Schnitt: Yorgos Lamprinos. Mit: Golshifteh Farahani, Majd Mastoura, Aicha Ben Milded, Feriel Chammari. Prokino, 88 Minuten.

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