London brennt. Nicht ganz so, wie es im August gebrannt hat - in diesem Fall wird es entzündet durch herabstürzende Aliens. Aber man kann doch behaupten, dass der Film "Attack the Block", 2010 gedreht, die Situation kennt, aus der 2011 die "England Riots" hervorgingen.
Junge Menschen, sozial benachteiligt, Migrationshintergrund, keine Perspektive - das sind die Hauptfiguren des Films. Ihr Umfeld ist trostlos genug, um radikale Haltungen zu fördern. Nicht, dass "Attack the Block" ein besonders politischer Film wäre. Es handelt sich um Genrekino, um allerschönstes, aber das ist schließlich eine der Qualitäten des Genrefilms: dass er der Realität nahekommt, weil er sich ihre schlimmsten Seiten ansieht. Die setzt er neu zusammen, probiert ein paar riskante Varianten, gibt einen Zünder dazu, und was dann passiert, kann manchmal als Zukunftsvision durchgehen.
Wut und Langeweile, Gier und Respektlosigkeit, Dummheit und Übermut - das ist die Energie, die einen Trupp Teenager nachts durch die Straßen treibt, im miesen Südlondon, rund um die hässlichen Türme des sozialen Wohnungsbaus. Die Stimmung ist düster, die Farbe der Kapuzenjacken auch, es kommt zum Überfall auf eine Krankenschwester, die von den Jungs aufgehalten wird. Sie muss den Inhalt ihrer Handtasche abliefern, Gewalt liegt in der Luft, aber dann explodiert nebenan ein parkendes Auto. Ein Außerirdischer ist daraufgefallen. Das lenkt die Jugendlichen ab.
Die Krankenschwester kommt davon, jetzt jagen die Jungs den Gast aus dem Weltall. Ihre furchtlose Aggression sorgt für gewisse Heiterkeit, aber der Film meint es ernst. "Attack the Block" ist eine Mischung aus Thriller, Bandenkrimi und Science-Fiction, heute wird so etwas meist ironisch inszeniert, deshalb ist es um so überraschender, dass dieser Erstlingsfilm in Atmosphäre, Selbstbewusstsein und Stilwillen an John Carpenter oder Walter Hill erinnert, an "Assault" oder "The Warriors", Heldengeschichten einer anderen Zeit.
Denn eins ist klar: Sobald die Jungs das erste Alien erlegt haben, müssen sie mit den Konsequenzen leben. Weitere Aliens werden kommen, sehr viele, sehr wilde Aliens, sie werden die Teenager-Bande ins Visier nehmen, und es erfordert doch ziemliches Heldentum, sich ihrer zu erwehren. Dabei geht es weniger um elaborierte Waffen, auch die Spezialeffekte sind unauffällig. Kampf- und Rückzugsfläche ist der "Block", ein riesiges Mietshaus, in dem die Aufzüge Stahltüren haben und die lokalen Drogendealer im obersten Stockwerk residieren.
Im Block konkurrieren diverse Banden um die Macht, aber auf den langen Fluren leben auch ein paar andere Mieter - Rentner, Mütter, die Freundinnen der Bandenjungs - und jede dieser Parteien hat eigene Interessen. Die Hierarchie des Hauses wird durch die Attacke von außen verändert, mit dem Herumlungern ist es vorbei. Die Zeit wird gestrafft durch eine neue Aufgabe, die endlich all das fordert, was sonst nur Probleme macht: Kühnheit, Aggression, Irrsinn. Die Jungs müssen aber auch die diversen Welten des Wohnblocks in ihren Kampf einbeziehen und lernen dabei, auch an die Rettung anderer zu denken.
Momente von Größe
Joe Cornish, der Regisseur, schenkt seinen jungen Protagonisten keine Liebesgeschichte. Dafür dürfen sie etwas zeigen, was die Engländer grace under pressure nennen: jeder Einzelne hat gleich mehrere Momente von Größe, auch wenn diese sich manchmal im Innern einer Mülltonne abspielen. Wie die Jugendlichen ihre Loyalität aufrecht halten, wie sie allmählich den Rhythmus von Flucht und Kampf bestimmen, wie sie gelegentlich durch eine Slapsticknummer rutschen, das ist sowieso besser als aufgesetztes Liebesglück.
Für das Glück sorgt schließlich die Bandenzugehörigkeit, deren Kraft Cornish sehr genau verstanden hat. Verhaltene Gesten der Zärtlichkeit werden da manchmal sichtbar, die in Erinnerung rufen, wie cool und berauschend es sein kann, Teil einer Clique zu sein, einer Art Miniatur-Jugendbewegung, die eins genau weiß: Die Monster kriegen uns nicht.
Die Monster wiederum sehen zum ersten Mal so aus, wie man noch kein Alien kennt. Endlich wird Abstand von E.T. genommen und die Nähe zum Kuscheltier gesucht, was die Wesen nicht weniger bedrohlich macht, vor allem, wenn sie zu Hunderten an der Hauswand hochklettern. Aber Cornish hat auch für ihr Ende eine Idee. Er findet, und das ist niemals selbstverständlich, einen Schluss, der allen gerecht wird - den Helden, den Monstern, dem Publikum. So einen hätte man gern in der Clique gehabt.