Ausstellungen:Wie Künstler die Kernspaltung sehen

Tschernobyl

Andrew Kravchenkos Fotos dokumentieren das unbewohnbare Tschernobyl.

(Foto: Andrew Kravchenko)

Vom Menschheitstraum zum Trauma: Drei Ausstellungen in München beschäftigen sich mit der Geschichte und den Folgen des Atomzeitalters.

Von Jürgen Moises

In seinem Film "Our Friend the Atom" von 1957 hat Walt Disney die nukleare Kernspaltung als ein Wunder präsentiert, das gleich drei Menschheitswünsche erfüllen könnte. Den Wunsch nach einer endlosen Energiequelle. Den Wunsch nach einem Zaubermittel, das den Menschen Nahrung und Gesundheit bringt. Und den Wunsch nach Frieden. Dass die Atomkraft dieses Versprechen nicht wirklich gehalten hat, das wissen wir heute. Anfang letzter Woche wurden die ersten Brennstäbe aus dem Kernkraftwerk in Fukushima geborgen, in dem es 2011 nach einem Erdbeben und Tsunami zur Kernschmelze und Freisetzung radioaktiver Strahlung kam. Und ebenfalls letzte Woche ebbte die Diskussion wieder auf, welcher Ort in Deutschland sich als atomares Endlager eignet.

Dass sich jedenfalls mit der ersten kontrollierten Kernspaltungskettenreaktion am 2. Dezember 1942 kein Menschheitstraum erfüllt, sondern eher die Büchse der Pandora geöffnet hat, das machen aktuell drei Ausstellungen in München zum Thema. In der Galerie Daniel Blau wird unter dem Titel "Atom" eine Auswahl an Fotografien gezeigt, die ein Mitarbeiter der Atomic Energy Commission (AEC) in den 40er und 50er Jahren bei amerikanischen Atombombentests gemacht hat. Die Pasinger Fabrik präsentiert Fotografien von Andrew Kravchenko, die 2011 in Tschernobyl entstanden. Und in der Lothringer 13 macht sich unter dem Titel "Little Boys Luminous Legacies (new, clear, atomic narratives)" gleich eine ganze Gruppe von Künstlern seinen Reim auf das Atom.

Was einem bei den Fotografien bei Daniel Blau auffällt, ist, wie sehr man sich an den Atompilz als ikonischem Zeichen gewöhnt hat. Als Motiv aus Filmen, der Fotografie und Kunst ist er längst ein Teil der Pop-Kultur, den man vorwiegend ästhetisch, das heißt ohne den Schrecken dahinter wahrnimmt. Was dann aber doch schockiert, das sind die mitgelieferten Zahlen. Denn dass die USA zwischen 1945 und 1992 mehr als 1000 nukleare Explosionen ausgelöst haben, das ist sicher nicht jedem bewusst. Dass es weltweit seit 45 sogar mehr als 2000 Atombomben-Explosionen gab, bekommt man in der Ausstellung in der Lothringer 13 vermittelt, deren Titel sich auf den "Kosenamen" der Hiroshima-Bombe bezieht.

"Anecdotal" heißt dort eine Arbeit von David Fathi, für die er auf drei Transparenten vergessene oder kaum bekannte Fälle aufgezeichnet hat, bei denen Länder wie die USA, Australien, Spanien oder die UdSSR durch Atombombentests ihre eigene Bevölkerung in Gefahr brachten. Beispielhaft sei hierfür die Anekdote genannt, dass von den Menschen, die 1956 in Utah an den Dreharbeiten zu "The Conqueror" von Dick Powell mit John Wayne in der Hauptrolle beteiligt waren, später mehr als 220 an Krebs erkrankt sind. Etwa 130 Meilen davon entfernt befand sind damals ein Atom-Testgelände. Die "Ironie" bei dieser unschönen Geschichte: "The Conqueror" gilt heute als eines der schlechtesten Werke der Filmgeschichte.

Auch andere Arbeiten in der von Daniel Bürkner und Jörg Koopmann kuratierten, sehr sehenswerten Schau arbeiten sich an den Schattenseiten der Atom-Geschichte ab. So hat etwa Henrik Plenge Jakobsen historische Fotos gesammelt, die das berühmte Manhattan-Project dokumentieren, welches den Atombombenabwürfen im Jahr 1945 vorausging. Angeblich waren rund 130000 Menschen daran beteiligt, die oft gar nicht wussten, dass sie die schlimmste aller Waffen produzieren. Anne Zeitz und David Boureau haben Bilder und Texte aus den 50ern und 60ern zusammengetragen, in denen es um die Messung von Radioaktivität geht. Darunter als Kuriosität: "Miss Pickerell and the Geiger Counter" von 1953, ein Aufklärungsbuch für Kinder.

Cornelia Hesse-Honegger hat in einem Stil, der an klassische Naturkunde-Bücher erinnert, Pflanzen und Insekten gemalt, die aufgrund von radioaktiver Strahlung mutiert sind. Wie etwa Roter Klee, der 1987 in den Fallout-Gebieten der Tschernobyl-Wolke in Schweden gewachsen ist und gelbe statt rosa Blüten trägt. Oder eine Zikade, die 2017 im Umfeld von Fukushima entdeckt wurde und ihre Körperfarben verloren hat. Die Folgen des Super-GAUs in Fukushima sind auch auf den Fotos aus Robert Voits Langzeit-Doku "Fukushima Prefecture" und in der Videoarbeit "Spirits Closing Their Eyes" von Nina Fischer und Maroan El Sani Thema. Darin erzählt unter anderem ein Japaner, wie Fukushima den Glauben an die Politik und an den Mythos vom ewigen Wachstum erschüttert hat.

Wie sich die Gegend um Chornobyl (so der ukrainische Name der Stadt) 25 Jahre nach dem Super-GAU am 26. April 1986 verändert hat, zeigt die in der Pasinger Fabrik präsentierte Fotoserie von Andrew Kravchenko. Man sieht einen heruntergekommenen Häuserblock von oben, ein ausrangiertes Riesenrad oder kaputte Kinderbetten, umgeben von Schutt. Motive, die sehr eindringlich das Bild einer weitgehend von Menschen verlassenen, unbewohnbaren, apokalyptischen Landschaft heraufbeschwören. Als ein Mahnmal für zukünftige Generationen.

Das Problem dabei: Fast identische Bilder sind längst im Internet auf Instagram zu finden. Denn Tschernobyl ist seit Jahren ein Tourismusort, den jährlich rund 10 000 Menschen besuchen. Man kann dort "private" oder Gruppentouren buchen, einen "atemberaubenden Einblick" in das Kernkraftwerk bekommen und die besondere "Atmosphäre" und "Verlassenheit" in den Straßen spüren. Der Geigerzähler ist im Preis mit inbegriffen. Ein katastrophentouristisches Phänomen, das die Leistung von Kravchenko nicht schmälert. Aber wer den Schrecken der Atomkraft schildert, sollte die Faszination des Schreckens dabei nicht vergessen.

Atom, bis 6. Mai, Galerie Daniel Blau, Maximilianstraße 26; Little Boys Luminous Legacies, bis 9. Juni, Lothringer 13, Lothringer Straße 13; "Chornobyl / Tschornobyl", bis 19. Mai, Pasinger Fabrik, August-Exter-Straße 1

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