Atheismus und Politik:Mit Gott debattiert man nicht

Wer respektiert eigentlich die Gefühle von Atheisten? Niemand. Denn der Atheismus hat seine Rolle nicht in theologischen Debatten, sondern in der Politik - und da ist kein Platz für Emotionen. Er ist keine Weltanschauung, auch wenn rechtspopulistische Islamkritiker ihn gern dazu erklären würden.

Andrian Kreye

Und wer respektiert eigentlich die Gefühle von Atheisten? Sind sie denn auch durch den Paragraph 166 des deutschen Strafgesetzbuches geschützt, der die "Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen" mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren belegt? Wer als dezidiert Ungläubiger im katholischen Bayern lebt, könnte die alles übertönenden Kirchenglocken an einem Feiertagswochenende ja durchaus als Angriff auf seine Identität empfinden. Es soll hier aber nicht um spirituelle Ruhestörung gehen, sondern um Debattenkultur.

´Gottlose" Busse - Streit um Werbung

Eine atheistische Buskampagne in einigen deutschen Städten im Jahr 2009 verkündete: "Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott." Kann man den Atheismus aber in einer Glaubensdebatte verteidigen?

(Foto: dpa)

Liest man in der jüngsten Frankfurter Sonntagszeitung das Gespräch zwischen den beiden Journalisten Matthias Matussek, der sich mit seinem neuen Buch "Das katholische Abenteuer" als leidenschaftlicher Rebell des Glaubens positioniert, und Claudius Seidl, dessen Leidenschaft eher die katholische Kultur als der katholische Glauben entfacht, so scheint es weniger die Frage nach dem Glauben an sich als die Frage nach dem richtigen Glauben zu sein, die den Diskurs bestimmt. Wenn aber lediglich die Ökumene zur Diskussion steht, ist der Weg von der Glaubensdebatte zur Glaubensfrage noch weit.

Glaubensdebatten haben in weltlichen Gesellschaften oft eine beruhigende Funktion, weil sie den Eindruck vermitteln, dass das eigentlich Endgültige offen verhandelt werden und so seinen Platz im demokratischen Diskurs finden kann. Dabei unterscheidet sich die Diskussion theologischer Wahrheiten von den Debatten um Politik und Wissenschaft doch in zwei Punkten ganz fundamental. Zum einen schließt der Diskurs die Grundsatzfrage aus, ob es einen Gott gibt oder nicht, er geht also von einer unbeweisbaren endgültigen Wahrheit aus. Zum anderen setzt er ein in sich geschlossenes Menschenbild voraus, wie es ja zuletzt die Kanzlerin selbst beschworen hat. Das schafft Sicherheiten in einer unsicheren Welt.

Doch kann man den Atheismus in einer Glaubensdebatte überhaupt verteidigen? Man könnte die Glaubensarbeit mit dem hohen Preis vergleichen, den das Nichtglauben fordert. Die schwere Krankheit, der Tod und der Schicksalsschlag sind beispielhafte Momente, in denen der Atheismus mit seinem Eingeständnis, auf vieles keine Antwort zu haben, eine Bürde ist. Es reicht auch schon, naseweise Dreijährige um sich zu haben, deren Fragen man mit der Unerschütterlichkeit des Glaubens leicht ins Metaphysische abdrängen könnte. So aber wird dem Ungläubigen mit einem vorwurfsvollen "wieso denn?" viel zu früh die Fehlbarkeit attestiert.

Doch mit jeder Verteidigung sieht es so aus, als wolle sich der Atheismus direkt mit dem Glauben vergleichen. Das aber ist ein Irrweg, der weniger in der theologischen, als in der politischen Debatte in die Sackgasse führt. Denn erlaubt man die Rückkehr des Glaubens in den politische Diskurs, lässt man sich letztlich auf eine Debatte mit Gott ein. Und da sind sich alle Religionen einig: Mit Gott debattiert man nicht.

Der 11. September, inszeniert als Religionskonflikt

Nun hat die Rückkehr der Religiosität in den politischen Diskurs eine Relevanz bekommen, die weit über theologische Debatten hinausgeht. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der Bildersturm des 11. Septembers 2001 von den Terroristen der al Qaida ganz gezielt als Religionskonflikt inszeniert war. Ein Köder, den die westlichen Gesellschaften dankbarer angenommen haben, als ihnen bewusst ist. Der 11. September zwang die Agnostiker der laizistischen Welt in die Rolle der Atheisten. Glaube, so schien es, konnte nicht mehr von außen betrachtet werden. Mit einem Male waren so grundverschiedene Themen wie Geopolitik, Einwanderungsprobleme und nationale Identitätsfragen mit Glauben belastet. Da muss jedes säkulare Argument an seine Grenzen stoßen.

Sicher, es gab Versuche, den säkularen Humanismus zu einer absoluten Weltanschauung zu erklären. Die "Brights" des angelsächsischen Neo-Atheismus um die "four horsemen" Richard Dawkins, Daniel Dennet, Sam Harris und Christopher Hitchens versuchten sich darin. Auf dem europäischen Festland probierte die rechtspopulistische Islamkritik eine Fundamentalisierung des Humanismus.

Bisher griff das immer zu kurz. Weil Menschenrechte zwar ethisch begründet, jedoch juristisch ausformuliert werden und somit im Gegensatz zum Wort Gottes verhandelbar sind. Weil die Trennung von Ethik und Glauben nur in der Theorie funktioniert. Weil sich der Atheismus weltanschaulich, wie schon erwähnt, nicht mit dem Glauben vergleichen kann.

Die kurze Antwort auf die selbstgestellte Frage, wer denn nun die Gefühle von Atheisten respektiert, muss also lauten: niemand. Die Rolle des Atheisten in der Gesellschaften muss eine politische sein. In der Politik darf kein Platz sein für Gefühle. Die theologische Debatte wird sich immer um das Allerinnerste eines in sich geschlossenen Weltbildes und seiner Anhänger drehen. Da aber ist der Atheismus kein Antipode, sondern ein Fremdkörper. Er vertritt Unsicherheiten, lässt Zweifel und Widersprüche bestehen. Vernunft ist da nur ein schwacher Trost.

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