"Asche ist reines Weiß" im Kino:Im Reich der Flüsse und Seen

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Zhao Tao, die Frau des Regisseurs, spielt die Hauptrolle in „Asche ist reines Weiß“. (Foto: Neue Visionen)

Der chinesische Regisseur Jia Zhang-ke erzählt in seinem Drama "Asche ist reines Weiß" vom Ende einer Liebe und von einem Land im Wandel, dessen Wachstum nie das Herz der Gesellschaft erreicht.

Von Fritz Göttler

Qiao wartet lang, hinten in der Limousine sitzend, dann steigt sie aus und feuert, zwei Schüsse, in die Luft. Die Pistole steil nach oben gereckt, das wirkt bedrohlicher, als wenn sie auf ein Gegenüber direkt anlegen würde. Zwei Schreckschüsse, um ihren Geliebten Bin zu retten. Die bösartigen Punks, die gerade dabei sind, ihn auf der nächtlichen Straße mitten in der neonstrahlenden Stadt brutal zusammenzuschlagen, sind irritiert. Sie kamen aus dem Nichts, auf ihren Maschinen, mit ihren Motorradhelmen, und eine ungeahnte Aggressivität kommt mit ihnen in die provinzielle Gangsterwelt.

Nach den Schüssen ist nichts mehr wie es einmal war. Die Punks verschwinden, Bin ist gerettet. Qiao muss ins Gefängnis. Der Besitz von Schusswaffen ist in China verboten. Es ist das Jahr 2001, in der Stadt Datong.

Achtzehn Jahre verfolgt der Regisseur Jia Zhang-ke von da an die Geschichte von Qiao und Bin in seinem Film "Asche ist reines Weiß". Die Geschichte eines Paares, das immer weniger zusammen ist, äußerlich, und doch weiter Gefühle zueinander erhält, die nicht einfach zu klassifizieren sind; ein nicht nur kameradschaftliches Nebenher, eine Art inniger Gleichgültigkeit. Und die Geschichte eines Landes, das einen gewaltigen Wandel angeht, den Umbau einer Gesellschaft, der die Menschen und die Landschaften entscheidend verändern wird. Die alten Jobs verschwinden, die Bergwerke schließen, Qiaos Vater wird arbeitslos. Die gewaltigen neuen Massenbauten sind etwa fünfmal so groß wie die Neubauprojekte seinerzeit bei uns. Keiner wird in Zukunft sagen können, was man in Dutzenden amerikanischen Gangsterfilme immer wieder gehört hat: Diese Stadt gehört uns.

Bin war Mitglied einer lokalen Gangstertruppe, ein Mittelaltherrenverein, eine provinzielle Patronage, die Meinungsverschiedenheiten und Grundstücksfragen klären half. Liao Fan ist Bin, athletisch und gelassen, aber in seinem Blick über dem Schnauzer steckt von Anfang an eine Spur Resignation. Mahjong und Großsprecherei prägen sein Leben, Discogeflacker zum Song "YMCA", Treueschwüre im alten Kumpelstil. Die großen Vorbilder schimmern durch, aus unerreichbarer Ferne, aus den Triadenfilmen von John Woo oder Johnnie To. Einmal schütten sie diverse Flaschen Alkohol in einer Emailleschale zusammen, schöpfen mit ihren Gläsern daraus und stoßen an. Natürlich ist auch Qiao dabei.

Jianghu ist das Prinzip, nach dem sie leben, und "Jiang hu er nv" heißt der Film im Original, Söhne und Töchter des Jianghu. Es ist ein Begriff aus der Welt der alten Kampfkünste und ihrer Mythologie, er heißt wörtlich "Fluss und See", und man verbindet damit Vorstellungen von Brüderschaft und einem entsprechenden Verhaltenskodex. Er gibt das Thema vor für viele Filme von Jia Zhang-ke. "Für mich bedeutet das, eine Gruppe Menschen verlässt ihre Heimat und probiert, während ihres Herumwanderns, Möglichkeiten zu leben aus. Sie suchen nach einem neuen Heim, dem sie sich emotional verbunden fühlen." Der Kodex des Jianghu, erklärt er zudem, ist auch der eines Filmemachers.

Im neuen Werk scheint Jia Xhang-kes legendärer Film "Still Life" fortzuleben

Zhao Tao spielt Qiao, sie ist Jia Zhang-kes Frau und ist in den meisten seiner Filme dabei. Sie ist auf eine undurchdringliche Weise jung, Jugend als Maske, hat eine strenge, fast eisenherzige Frisur wie Uma Thurman in "Pulp Fiction". Bin nimmt Qiao mit vor die Stadt, sie stehen eng aneinandergeschmiegt und er bringt ihr das Schießen bei, führt ihre Hand mit der Waffe. Es ist eine Verführung, aber in ihren Bewegungen liegt schon eine befremdliche Distanz. Wenn Qiao dann nach ihren Schüssen ins Gefängnis muss - weil sie nicht verrät, dass es Bins Waffe ist, die sie benutzte -, wird Bin sie kein einziges Mal besuchen. Als sie dann die Strafe verbüßt hat und aus der Haft entlassen wird, nach fünf Jahren, steht er nicht am Ausgang, um sie abzuholen. Sie erfährt dann, dass er eine andere Freundin hat.

Es ist kein Drama, das sich daraus entwickelt, auch nicht bei den späteren Begegnungen der beiden, keine Exzesse von Undankbarkeit und Eifersucht, von verdienter Bestrafung oder Rache. Jia Zhang-ke hat Material aus früheren Zeiten in seinen Film integriert, gedreht auf diversen digitalen Formaten und auch auf 35-mm-Filmmaterial, subtil angeglichen durch die Kunst des französischen Kameramanns Éric Gautier. Qiaos Weg führt sie 2006 auf dem Jangtse nach Fengjie, der Stadt, die überflutet werden wird für das Drei-Schluchten-Projekt, den gigantischen Staudamm, der die Stromversorgung der Region garantieren soll. Jia Zhang-ke hat von diesem Projekt erzählt in seinem legendären Film "Still Life", wo man sieht, wie die alten Häuser abgerissen werden und die Menschen sich einfach nicht entschließen mögen, ihr heimatliches Tal aufzugeben.

China als das Land der unaufhörlichen Suche, die Menschen überwinden immer größere Entfernungen, um jene wiederzufinden, mit denen sie gelebt haben oder glücklich waren. Auf merkwürdige Weise scheint "Still Life" in dem neuen Film fortzuleben, in seinen Bildern zu pulsieren. Und Zhao Tao trägt, nachdem sie aus dem Gefängnis kam, die gleiche helle gelbe Jacke wie in "Still Life", hat den gleichen Pferdeschwanz, greift immer wieder zur Flasche mit Mineralwasser. Auch an die geheimnisvollen Flugobjekte, die in "Still Life" durchs Bild huschen, erinnert man sich, wenn Qiao im Zug einem Mann begegnet, der sie anheuern will, mit ihm auf die Suche nach Ufos zu gehen.

Die neue Politik der forcierten Großprojekte in China wird in diesem Film nie das Herz der Gesellschaft erreichen, es wird keine Vorstellung einer neuen Heimat in ihnen geben. Die neuen Städte deprimieren mit ihrer anonymen Gleichförmigkeit - wie viel aufregender und individueller sind dagegen die gespenstischen Skelette der halbniedergerissenen Häuser in "Still Life"!

Regisseur Jia Zhang-ke verzichtet in seinen Filmen auf jeden moralischen Unterton, schafft ein Kino der Übergänge. Verraten werden und verloren gehen, das meint kein endgültiges Schicksal. Vulkanasche ist sehr rein, lernt Qiao, und alles was unter hohen Temperaturen verbrennt, wird rein gemacht.

Jiang hu er nv, China / F 2018 - Regie, Buch: Jia Zhang-ke. Kamera: Éric Gautier. Schnitt: Matthieu Laclau, Lin Xudong. Musik: Lim Giong. Mit: Zhao Tao, Liao Fan, Xu Zheng, Casper Liang, Feng Xiaogang, Diao Yinan. Neue Visionen, 141 Minuten.

© SZ vom 28.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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