Artenvielfalt:Jeder Gemeinde ihr Biotop

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Peter Berthold: Unsere Vögel. Warum wir sie brauchen und wie wir sie schützen können. Ullstein Verlag, Berlin 2017. 336 S., 24 Euro. E-Book 19,99 Euro.

"Unsere gesamte Flora und Fauna ist herunter­gewirtschaftet", behauptet Peter Berthold in seinem Buch "Unsere Vögel". Er wirbt mit Leidenschaft für einen neuen Weg des Naturschutzes.

Von Josef H. Reichholf

Vor vierzig Jahren, 1977, führten frühe Forschungsergebnisse von Peter Berthold, dem langjährigen Direktor des Max-Planck-Instituts für Ornithologie, Vogelwarte Radolfzell, zur Aktion: "Rettet unsere Vögel - wir brauchen sie". Rachel Carsons "Stummer Frühling", als Buch ein Jahrzehnt früher erschienen, drohte damals auch bei uns Wirklichkeit zu werden. Der Naturschutz erlebte durch diese Anstöße einen noch nie da gewesenen Aufschwung. Die Europäische Vogelschutzrichtlinie entstand und versprach einen umfassenden Schutz der nicht jagdbaren Vogelarten. Und die Zahl der Vogelbeobachter nahm rapide zu, wenngleich nicht annähernd so stark wie in Großbritannien und den USA.

"Unsere gesamte Flora und Fauna ist heruntergewirtschaftet."

Doch was so heftig aufflammte, erwies sich als Strohfeuer. Bereits in den Neunzigerjahren zeichnete sich ab, dass es insgesamt weiter abwärts ging mit Vorkommen und Häufigkeit der Vögel in Deutschland. Noch schönte die Wiedervereinigung die Bilanzen. Ostdeutschland brachte nahezu alles mit an Arten, die im Vogelschutz Rang und Namen haben, von Seeadler und Kranich bis zur Nachtigall und raren Ammern, und diese auch in zumeist großen Beständen. Obgleich mehr als ein Vierteljahrhundert seit der Wiedervereinigung vergangen ist, trennt die alte Grenze immer noch den natur- und artenreichen Osten und den verarmten Westen Deutschlands, wo der Naturschutz seinen Anspruch nicht erfüllte.

Die Bestimmungen und Beschränkungen treffen im Wesentlichen die Naturfreunde mit Aussperrung und Verboten, ohne den gefährdeten Arten zu helfen. Der Naturschutz als Bündel staatlich-hoheitlicher Maßnahmen blieb tatsächlich so weit hinter den Notwendigkeiten zurück, dass der Niedergang der Vögel nicht gebremst, geschweige denn umgekehrt werden konnte. Verbesserungen wurden nur bei solchen Arten erzielt, die weitgehend bis ganz von der Jagd verschont wurden.

Ein neuer Ansatz war also notwendig. Der bisherige erwies sich als nicht geeignet, dem Artenschwund entgegenzuwirken. Peter Berthold: "Trotz Schutzstatus sind die meisten dieser Gebiete nach wie vor weit mehr land-, forst- und fischereiwirtschaftliche, touristische und sonstige Nutzgebiete als echte Schutzräume für wild lebende Tiere und Pflanzen. Daher können sie den Verfall der Artenvielfalt keineswegs aufhalten, obwohl das eigentlich beabsichtigt war." Sein Fazit: "Unsere gesamte Flora und Fauna ist heruntergewirtschaftet".

Dem vernichtenden Urteil über den behördlichen Naturschutz setzt er einen neuen Ansatz entgegen: "Jeder Gemeinde ihr Biotop". In diesem Mittelweg zwischen staatlich und privat sieht Peter Berthold die Lösung des Dilemmas, das die großen Naturschutzverbände gar nicht mehr anzugehen versuchen, weil sie inzwischen mit der Rettung der Welt vor dem drohenden Klimawandel beschäftigt und offenbar bereit sind, zu dessen Abwehr die bislang umfassendste Vernichtung von Biodiversität und von Biotopen hinzunehmen zugunsten der erneuerbaren Energien. Mais und Windräder sind wichtiger als Lerchen, Schmetterlinge und Blumen.

Natur im Privatgarten reicht aber nicht, die Verluste auf den Fluren auszugleichen. Größere Flächen werden benötigt. Die Kommunen haben solche oder können sie wiederherstellen. Dieser maßgeblich von Peter Berthold selbst entwickelte und von der Heinz-Sielmann-Stiftung konkret geförderte, alternative Naturschutz bildet das Kernstück des Buches. Die geschilderten Beispiele überzeugen. Die Vorgehensweise ist nachvollziehbar, auch was die Mittelbeschaffung betrifft.

Nicht nachvollziehbar ist hingegen, weshalb unsere Naturschutzverbände nicht sofort mit fliegenden Fahnen und dem politischen Gewicht ihrer großen Mitgliederzahlen darauf eingegangen sind und sich vom staatlichen Naturschutz verabschiedet haben. Diesem täte es gut, ein entsprechendes Gegengewicht zu bekommen, das zeigt, wie man Naturschutz erfolgreich macht. Doch bei der Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes zeigten sie kein Interesse, die grundlegenden Schwächen dieses Gesetzes anzugehen.

Also muss tatsächlich von der Basis aus neu aufgebaut werden. Peter Berthold hat völlig recht, wenn er klarstellt: "Wenn wir Artenvielfalt doch noch retten wollen, ... können wir dazu nicht auf ,Einsicht', ,Aufklärung' und entsprechende ,Maßnahmen' von Politik und Staat hoffen, denn das haben wir 150 Jahre lang vergeblich getan. Nein, wir müssen selber aktiv werden."

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