Arte: neue Serie:Sarkozys stramme Waden

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Ganz Frankreich pfeift Carla Brunis Lied über ihren Ex-Geliebten Raphaël Enthoven. Nun hat der Philosoph ein bemerkenswertes TV-Format erfunden: Improvisations-Philosophieren mit attraktiven Gästen.

Evelyn Roll

Schon komisch. Da sitzt man im großen Vorführsaal der französischen Botschaft zu Berlin, soll eine neue Arte-Sendung begutachten, die schlicht und anspruchsvoll Philosophie heißt, und muss, sobald Raphaël Enthoven, der sehr gutaussehende Erfinder und Moderator der Sendung das erste Mal ins Bild kommt, an ein paar überhaupt nicht philosophische Zeilen aus einem kleinen Chanson von Carla Bruni denken: "Raphaël sieht aus wie ein Engel - aber er ist ein Teufel der Liebe - Mit den Hüften - Und mit seinem sanften Blick."

Spannte der Legende nach seinem Vater die Geliebte aus: der Philosoph Raphaël Enthoven. (Foto: Screenshot: www.arte.tv)

Die folgende Geschichte ist trotzdem nicht das Drehbuch für eine schmalzige Soap oder die neueste Telenovela von Pro Sieben, sondern nichts als die Wahrheit und Wirklichkeit des real-existierenden Frankreichs in Zeiten der großen Sarko-Show. Weswegen sie hier auch erzählt werden muss, obwohl es eigentlich um Philosophie geht, um die großen Menschheitsthemen Macht, Verantwortung, Hässlichkeit und Melancholie und um dieses neue Sendeformat bei Arte, das durchaus auch bemerkenswert ist.

Bitteschön: Vor acht Jahren verbrachte der bekannte französische Verleger und Philosoph Jean-Paul Enthoven mit seiner schönen Geliebten ein paar heiße Tage in Marrakesch, in einem Palast, der seinem Freund und TV-Partner, dem Star-Denker Bernard-Henri Lévy, gehört. Enthoven traf dort seinen Sohn Raphaël, diesen jungen, sehr gut aussehenden Philosophieprofessor, der mit Justine, der Tochter des Palastbesitzers verheiratet war, es aber nicht blieb, weil er es nach einigen Tagen erotischer Verwicklungen vorzog, mit der Geliebten seines Vaters nach Paris zurück zu kehren und einen Sohn zu zeugen.

Carla, der Männer-Terminator

Weil nun die verlassene Ehefrau Justine Lévy Schriftstellerin ist, hat sie die ganze Sache in einem Schlüsselroman aufgeschrieben, in dem die Rivalin als heimtückischer und von plastischen Chirurgen komplett rekonstruierter Männer-Terminator beschrieben wird. Und weil dieser Terminator mit Klarnamen Carla Bruni heißt und inzwischen eine spektakuläre Blitzehe mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy eingegangen ist, hat ganz Frankreich den Roman gelesen.

Und ganz Frankreich kennt eben auch das kleine Lied, mit dem La Bruni die Liebhaberqualitäten ihres Raphaëls auf ihrem Album Quelqu'un m'a dit besungen hat: "Raphaël sieht aus wie ein Engel - aber er ist ein Teufel der Liebe - Mit den Hüften - Und mit seinem sanften Blick." Stimmt offenbar alles. Und außerdem, um endlich auf die Philosophie und das Fernsehen zurückzukommen, hat Raphaël Enthoven jetzt dieses geniale Format für Arte entwickelt als freches Gegenstück möglicherweise zu vier alten Männern, die müde und grau im Sessel sitzen und philosophisches Quartett spielen.

Jeweils eine halbe Stunde schlendert Raphaël Enthoven mit jeweils einem Gesprächspartner, das sind dann meist jungen Philosophen der Eliteschule ENS, durch ein so beiläufig wie bohèmehaft dekoriertes Pariser Loft und diskutiert entlang einiger großformatiger Bilder jeweils eines der großen philosophischen Themen. Sie nehmen die Bücher der großen Philosophen aus den Regalen in die Hand, zitieren daraus, diskutieren und gehen weiter. Das funktioniert dreißig Minuten in einem Zug, die Kamera folgt den beiden ohne jeden Schnitt, was der Angelegenheit eine hohe Dichte, Konzentration, Spannung und Authentizität gibt.

Profane Macht

Als Zuschauer denkt man erst, so geht das doch nicht, das ist viel zu schnell, viel zu viel und viel zu gewagt. Dann aber entfaltet die Sache ihren eigenen Magnetismus und Reiz. "Man ist niemals so gut, wie wenn man improvisiert. Man kann besonders gut denken ohne Netz und doppelten Boden", hat Enthoven in Berlin erklärt.

In der ersten Sendung, die am Sonntag den 19. Oktober um 13 Uhr ausgestrahlt wird, geht es um Macht. Zu Gast ist die junge politische Philosophin Céline Spector, rothaarig, klug und sehr fernsehtauglich. Die Profanisierung von Macht wird, wie könnte es auch anders sein, gleich zu Anfang anhand eines außerordentlich unvorteilhaften Fotos diskutiert, auf dem Carla Brunis derzeitiger Ehemann Nicolas Sarkozy die Treppe zum Elysée-Palast hinaufhastet in Trainingsjacke, Joggingschuhen, kurzen Hosen und etwas huckebundiger Körperhaltung. Enthoven weist wie beiläufig auf "strammen Waden von Sarkozy" hin.

Leider geht eine Menge Charme, Witz und Tempo verloren, wenn man Philosophie in der deutschen Übersetzung anschauen muss. Aber vielleicht sind wir hier im regentrüben, nüchternen Deutschland ja auch nur neidisch, dass die Bunte viel zu selten was über Peter Sloterdijk zu schreiben hat, der ja auch nicht wirklich aussieht wie ein Engel.

© SZ vom 01.10.2008/sst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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