Favoriten der Woche:Stadt aus dem Drucker

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In der Zoohandlung "Living Dead" werden Zombies als Haustiere verkauft: Ausschnitt aus "Street Cop" von Robert Coover und Art Spiegelman. (Foto: Art Spiegelman / S. Fischer 2023)

Fast wie bei uns: Art Spiegelmans neuer Comic spielt in einem chaotischen Paralleluniversum. Diese und weitere Empfehlungen der Woche aus dem SZ-Feuilleton.

Von SZ-Autorinnen und -Autoren

"Street Cop" von Robert Coover und Art Spiegelman

Eine irre neue Welt ist das, technisch hochgerüstet, dabei herrscht völliges Chaos. Die Stadt kommt aus dem 3D-Drucker und ändert ihre Topografie täglich, weshalb kaum noch Busse fahren, Stadtpläne täglich neu heruntergeladen werden müssen. Alles wird überwacht, aber kein "großer Bruder" nützt dieses Wissen. Robotercops verhaften Schwarze, die schon im Streifenwagen exekutiert werden. Am Himmel Drohnen, die Waren ausliefern, und selbstfliegende Autos. Und inmitten von Chaos und Irrsinn ein altmodischer Streifenpolizist auf der Suche nach einer Leiche.

Art Spiegelman, der vielleicht bekannteste lebende Comiczeichner und Autor von "Maus", ist an diesem Mittwoch 75 Jahre alt geworden, zeitgleich zu seinem Geburtstag ist ein von ihm illustriertes Büchlein auf Deutsch erschienen. Der Science-Fiction-Krimi "Street Cop" des US-Schriftstellers Robert Coover (S. Fischer Verlag) ist völlig abgefahren, nicht mal die Zeit verläuft darin linear. Nur der Titelheld ist ein Cop wie aus einem Roman von Raymond Chandler, vertrottelt, dabei aber nett. Und wer wollte es diesem street cop auch übelnehmen, dass er sich in dieser wahnwitzigen Dystopie nicht mehr auskennt? Man muss sich nur die Chandler-Figuren in Gestalt etwa von Humphrey Bogart vor Augen führen, um seine Unzeitgemäßheit zu spüren. Bei seinen Ermittlungen (das Wort gehörte eigentlich in Anführungszeichen) stolpert der street cop durch die Schmuddelecken der Stadt, in die "Nudie-Night" einer abgeranzten Bar, eine Zoohandlung, die Untote als Haustiere anbietet.

Und er spürt so etwas wie Liebe oder Verliebtheit, wenn er die KI aus seinem phone hört, die ihm Anweisungen gibt und den Namen Elektra trägt - wie das Sonderangebot aus dem Untoten-Shop. Das alles ist sehr lustig und böse - Parallelen zur Gegenwart sind natürlich rein zufällig. Art Spiegelman hat zur komischen Dystopie die passenden giftigbunten Illustrationen beigesteuert, in denen jede Menge Verbeugungen vor Ikonen der Comic-Geschichte stecken: Es gibt Häuser auf Beinen wie von Winsor McCay, Ignatz Maus aus "Krazy Kat" ist bei der Nudie-Party, ein nackter Security-Man sieht Robert Crumbs Mr. Natural ähnlich. Es sind nostalgische Referenzen, die sehr gut zu diesem Cop und seiner Sehnsucht nach der "alten" Welt passen, dabei etwas Tröstliches haben: Inmitten des Irrsinns (das Buch entstand während des Lockdowns, weshalb auch ein paar grüne Coronaviren einen Kurzauftritt haben) bieten sie immer noch Vertrautes. In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch! Martina Knoben

Podcast: The Syria Trials

Nachhilfe in jüngerer Geschichte: Der Podcast "The Syria Trials". (Foto: 2023 / Stichting 75 Podcasts)

Die Bilder, die aus den Erdbebengebieten Syriens kommen, sind herzzerreißend - und deshalb wird mit ihnen Politik gemacht: Das Assad-Regime benutzt sie, um auf ein Ende der Sanktionen zu dringen. Dass diese aus Gründen eingeführt wurden, gerät langsam in Vergessenheit, der Krieg in Syrien wird kaum mehr wahrgenommen. Der englischsprachige Podcast " The Syria Trials" gibt hier bedrückende Nachhilfe in der jüngeren Geschichte: Er zeichnet die Bemühungen von Folter-Überlebenden, Aktivisten, Journalisten und vor allem auch Juristen nach, das Assad-Regime für seine Verbrechen gegen die eigene Bevölkerung zur Rechenschaft zu ziehen und erzählt dabei sehr viel über dessen perfide Herrschaftstechniken. Die zeigen sich auch nun wieder: Während die USA Sanktionen ausgesetzt haben, um Hilfe für Erdbebenopfer zu ermöglichen, blockiert das Regime Berichten zufolge Lieferungen in Gebiete, die nicht unter seiner Kontrolle stehen. Moritz Baumstieger

CD: Paul Dessaus Oper "Lanzelot"

Drachenliebe: Paul Dessaus Oper "Lanzelot" auf CD. (Foto: AUDITE)

Man glaubt ja kaum, dass diese Oper in der DDR überhaupt je aufgeführt werden konnte: Ein Drache herrscht totalitär über das Volk, doch dieses liebt ihn, weil es zu fressen hat. Da kommt der ambitionierte Freiheitsheld Lanzelot daher, stößt allerdings auf wenig Gegenliebe, womit am Ende die Frage bleibt, wie viel Revolution die Menschen aushalten. Paul Dessaus Oper "Lanzelot" kam 1969 in Ostberlin heraus, die Vorlage stammte vom sowjetischen Dichter Jewgenij Schwarz, wurde einst von Stalin verboten, aber die Oper erlebte drei Aufführungen. Dann war sie weg bis Ende 2019, als das Nationaltheater Weimar, der Dirigent Dominik Beykirch und der Regisseur Peter Konwitschny sie wiederentdeckten. 1000 Klangzitate, Agitprop, Jazz, Barock, Unsinn und herrliches Geschepper. Fabelhaftes Zeug, verrückter Stoff, jetzt erstmals überhaupt auf CD (audite). Egbert Tholl

Fritz Langs Leben als Comic

Fritz Langs Leben als Graphic Novel? Eine tolle Idee von Arnaud Delalande und Éric Liberge. (Foto: Knesebeck Verlag)

Ein nacktes Paar beim Sex, überrascht von einer Frau, kurz darauf fällt ein Schuss. Es geht dramatisch los in "Fritz Lang - Die Comic-Biografie" von Arnaud Delalande und Éric Liberge (Knesebeck Verlag, 25 Euro). Die Liebenden, das sind Fritz Lang und seine Drehbuchautorin Thea von Harbou, mit dem Stummfilm "Metropolis" werden sie berühmt werden. Zunächst aber sind sie ertappt von Langs betrogener Ehefrau, und diese stirbt kurz darauf. War es Suizid? Wir schreiben das Jahr 1920, Pickelhauben tauchen auf, Kommissare ermitteln, im französischen Original heißt diese tolle Graphic Novel denn auch "Fritz Lang Le Maudit", der Verfluchte. Von Tragik ausgehend wird das ganze Leben des großen Regisseurs erzählt, in tollen, unglaublich detailreichen, kaum kolorierten Zeichnungen - die immer wieder in Kinobilder, nicht nur Langs eigene, abtauchen. Tobias Kniebe

Biennale der Berliner Philharmoniker

Die Berliner Philharmoniker auf der Suche nach der Moderne - eine Klassik-Biennale findet in der Philharmonie und anderswo noch bis 26. Februar statt. (Foto: Andreas Gora/imago images)

Das ist Berlin: Politik im Durcheinander und Kultur im Überfluss. Es gibt jetzt, zeitgleich mit der 73. Film-Berlinale, sogar eine Klassikmusik-Biennale der Berliner Philharmoniker, zwei Wochen lang. Man sucht die "Suche nach einer neuen Moderne" der Tonkunst der 50er- und 60er-Jahre: Adenauerzeit, gesellschaftspolitische Restauration, "bleierne Zeit". Aber künstlerisch, gleich nach dem Weltkrieg, Hochzeit der Innovationen. Ein Komponist im Biennale-Fokus, den Stanley Kubrick im Film "2001: A Space Odyssey" zum Klangmagier seines Weltraums gemacht hatte - György Ligeti mit "Atmosphères", der 1961 zum Glühen gebrachten orchestralen Mikropolyphonie.

"Exaltiert, hyperdramatisch und zügellos" nannte Ligeti, Erfinder der Klangflächen, sein "Requiem" von 1965 für Sopran, Mezzosopran, gemischten Chor und Orchester. Ligetis extrem verdichtete Clusterflächen klingen wie elektronische Musik, so tüftelig strukturiert wie sinnlich präsent. Berlins Philharmoniker und Rundfunkchor mit dem Komponisten Matthias Pintscher am Pult (Simon Rattle hatte abgesagt) musizierten mit ekstatischer Hingabe. Nur vier Teile der lateinischen Totenmesse hat Ligeti komponiert, umso schroffer, gewaltiger die "Dies irae"-Sequenz, Schreckensvision der Apokalypse mit Gewaltausbrüchen der Schlagwerker, Steigerungstumulten im Vokalkollektiv, dem Flüstern, Schreien der Solistinnen. Das Vorspiel: Auf die rotzfreche Percussion-Bläserexaltation "Musique pour les soupers du Roi Ubu" Bernd Alois Zimmermanns gibt Bohuslav Martinus "Rhapsody-Concerto" mit dem Bratschisten Amihai Grosz die Antwort virtuoser Besänftigung. Ohne doch das komplette Fehlen der Experimentierfreudigsten im Biennale-Programm wettzumachen: Karlheinz Stockhausen, Pierre Boulez, Luigi Nono.

Das Festival mit rund zwanzig Moderne-Veranstaltungen (noch bis 26. Februar) bleibt, trotz zweier Stücke John Cages und Luciano Berios, klassisch-retrospektiv - immerhin mit dem gemischten Doppel im Konzert des Deutschen Symphonie-Orchesters unter Robin Ticciati: Zwei große Avantgardisten weit entfernter Epochen werden wechselweise mit ihren Funden des Neuen aufgeführt, kämpfen um unsere Aufmerksamkeit: György Ligeti und Joseph Haydn. Wolfgang Schreiber

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