Art Spiegelman in Köln:Sehen oder gesehen werden

Für seinen Comic "Maus" über den Genozid an Juden bekam er den Pulitzer Preis. Nun erinnert eine gelungene Restrospektive im Museum Ludwig daran, dass der Künstler Art Spiegelmann noch sehr viel mehr zu bieten hat. Unter anderem als glänzender Satiriker.

Christoph Haas

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Für seinen Comic "Maus" über den Genozid an Juden bekam er den Pulitzer Preis. Nun erinnert eine gelungene Restrospektive im Museum Ludwig daran, dass der Künstler Art Spiegelmann noch sehr viel mehr zu bieten hat. Unter anderem als glänzender Satiriker. Wie kann man sich darüber beklagen, einen modernen Klassiker geschaffen zu haben?", seufzt Art Spiegelman, "das kriegt nur ein völliger kwetsch wie ich hin!" Spiegelman sitzt auf der Terrasse vor dem Museum Ludwig und raucht, wie üblich, Kette. Er ist müde. Aber kaum ist die erste Frage gestellt, redet er schnell und druckreif. Ein kwetsch, erklärt er den jiddischen Ausdruck, ist ein nerviger Mensch, der sich immer beschwert: Wenn es ihm schlecht geht, wenn es ihm gut geht - irgendetwas passt nie so recht. So steht Spiegelman auch seinem Ruhm eher skeptisch gegenüber: "John Updike hat einmal gesagt, man könne entweder sehen oder gesehen werden. Ich sehne mich manchmal schon nach der Zeit zurück, als ich für die anderen ein Unsichtbarer war." Bild: "Comics as a Medium for Self Expression?". Titelseite für PRINT Magazine. Tuschezeichnung mit Wasserfarben. Mai-Juni 1981 Alle Bilder: © Art Spiegelman

Art Spiegelman in Köln

Art Spiegelman Maus

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Das Buch, das dafür gesorgt hat, dass Spiegelman heute so bekannt ist wie nur wenige seiner Kollegen, ist "Maus". 13 Jahre lang hat der Künstler an dieser Graphic Novel gezeichnet, die das Schicksal seiner Eltern im Polen des Zweiten Weltkrieges und in Auschwitz erzählt. Ein Verleger wollte sich lange nicht finden. Ein Comic über den Genozid an den Juden, in dem anthropomorphe Tiere auftreten, erschien undenkbar, eine Frivolität. Im Jahr 1991 lag "Maus" komplett vor, bereits 1992 erhielt die "Geschichte eines Überlebenden", so der Untertitel, als erster Comic den Pulitzer Preis. Inzwischen ist klar, dass "Maus" nicht nur ein außergewöhnliches Werk der Neunten Kunst ist, sondern eine der wichtigsten künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Holocaust überhaupt. Bild: Selbstporträt mit Maus Maske, 1989

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"Maus" dürfte auch ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass Spiegelman am Sonntag, ebenfalls als erster Comic-Künstler, den Siegfried-Unseld-Preis bekam. Aber Spiegelman ist eben nicht nur der Autor von "Maus". Das große Verdienst der Ausstellung im Museum Ludwig, die in ähnlicher Form bereits beim Comic-Festival in Angoulême zu sehen war, besteht darin, Spiegelmans übriges Werk aus dem langen Schatten, den sein Opus Magnum wirft, herauszuholen. So ist ein ganz neuer Blick auf diesen Künstler möglich, der weit umtriebiger und vielseitiger ist, als es sich, kennt man nur "Maus", erahnen lässt. Bild: Entwurf für die Titelseite der ersten amerikanischen Ausgabe von MAUS 2. Und hier begann mein Unglück. Um 1991.

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Seinen ersten Job fand der 1948 geborene Spiegelman 1966 bei der Firma Topps, die ihr Geschäft vor allem mit Bubble-Gum-Karten machte. Bis 1989 verdiente er hier das Geld, das ihm seine ambitionierten Comics nicht einbrachten. "Sie waren meine Medicis", erinnert sich Spiegelman. "Ich habe nicht mit Herablassung auf das geschaut, was ich für Topps gemacht habe." Das ist, wie die Ausstellung zeigt, keine Schönrednerei. Spiegelman schuf etwa die "Garbage Pail Kids", Sammelkarten mit Zeichnungen monstermäßig hässlicher, rotzender und kotzender Kinder, die in den Achtzigern ein großer Erfolg - und in Deutschland ein kleiner Skandal - waren. In verschärfter Weise setzte Spiegelman hier, auch und gerade unter hoch kommerziellen Vorzeichen, die ätzende Kritik der amerikanischen Massenkultur fort, die der von ihm als wichtigstes Vorbild verehrte Zeichner und Szenarist Harvey Kurtzman in den Fünfzigern mit den ersten Ausgaben der Satirezeitschrift Mad betrieb. Bild: Entwurf für die Titelseite von RAW no. 7, The Torn-Again Graphic Mag. Mixed media. Um 1985

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Die Underground-Comics, die Spiegelman in den späten Sechzigern, vor allem nach seinem zeitweiligen Umzug von New York nach San Francisco, anfertigte, zeigen ihn als Tabubrecher auf den Spuren von Robert Crumb, aber noch auf der Suche nach einem eigenen Stil. Auffällig ist, dass in ihnen mitunter schon eine Faszination an den Comic-Strips durchscheint, die in den großen amerikanischen Zeitungen um 1900 erschienen. Die Hauptfigur in "Skeeter Grant" erinnert an den "Happy Hooligan", einen lange populären, lustigen Tramp, und die traumhaft-surrealen "Grain of Sand Comix" sind eine Hommage an Winsor McCays "Little Nemo". In "Im Schatten keiner Türme" (2002-2003), seiner Auseinandersetzung mit dem Terror von 9/11, dessen Augenzeuge er war, lässt Spiegelman alle wichtigen frühen Comic-Figuren auftreten, auch den "Yellow Kid" und die "Katzenjammer Kids". Bild: "The Bastard Offspring..." aus LEAD PIPE SUNDAY # 2. Lithografie. 1997

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Die Beschäftigung mit den ersten Comics sei für ihn aus mehreren Gründen eine Obsession, sagt Spiegelman: "Jedes Medium ist am aufregendsten, wenn es frisch geboren ist. Niemand sagt dir, was möglich ist und was nicht, worin die Regeln und die Ziele bestehen. Außerdem gibt es in diesen Comics ein großes Interesse am Handwerklichen, das in der bildenden Kunst bald darauf weitgehend verloren gegangen ist. Und schließlich: Die Zeichner damals haben für den Tag gearbeitet. Sie haben nicht erwartet, dass ihre Werke überleben würden. Daher waren sie für mich nach 9/11 so wichtig, als ich in Manhattan jeden Tag darauf wartete, dass wieder etwas Schreckliches passiert." Die Blätter aus "Im Schatten keiner Türme", die in Köln zu sehen sind, zeigen, dass in diesem so kurzen wie bedeutenden Werk die zwei Tendenzen, die Spiegelmans Schaffen bestimmen, in eine perfekte Balance gebracht sind. Bild: Illustration für das Zentrum der Bildtafel Nr. 6 von Im Schatten keiner Türme. Tuschezeichnung. 2002

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Spiegelman reizt das Formale und Experimentelle; davon zeugen vor allem seine ersten reifen, in "Breakdowns" (1977) gesammelten Arbeiten. Zugleich hat er den Comic immer mehr als ein narratives Medium begriffen, als Möglichkeit, sich autobiografisch zu äußern. In "Im Schatten keiner Türme" findet beides zusammen: In mit architektonischer Präzision komponierten Seiten überlagern sich collageartig bissige Karikaturen, aktualisierend verfremdete Comic-Klassiker und Spiegelmans sehr persönlichen Erfahrungen. Bild: Titelseite der ersten deutschen Ausgabe von "Breakdowns: Comic strips von Art Spiegelman". Verlag Roter Stern, Frankfurt am Main 1980.

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Der mittlere der drei Ausstellungsräume ist "Maus" gewidmet. Deutlich wird, warum Spiegelman so lange für die Arbeit an dieser Graphic Novel brauchte. Die Aufteilung jeder Seite legte er im Voraus minutiös fest. Er fertigte sehr sorgfältige Vorzeichnungen an und zeichnete außerdem jedes Panel, anders als in Comics üblich, in genau dem kleinen, oft nicht mehr als zwei, drei Briefmarken großen Format, in dem es sich gedruckt wiederfindet. "Ich wollte, dass die Bilder nicht ausgearbeitet wirken", erklärt Spiegelman. "Sie sollten an Skizzen in einem Tagebuch erinnern. Daher war es wichtig für mich, in einem 1:1-Format zu arbeiten." Im direkten Vergleich mit den detailreichen, extrem sorgfältigen Zeichnungen in "Breakdowns" fällt auf, wie reduziert "Maus" angelegt ist. Dies gilt vor allem für die Gesichter der Figuren - erstaunlich, wie es Spiegelman gelingt, durch die Gestaltung und Platzierung von Augen, die nicht mehr als Punkte, und von Augenbrauen, die nicht mehr als Striche sind, sehr verschiedene Emotionen zu vermitteln. Bild: Short Order Comix no. 1. Titelseite. 1973

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Immer wieder hat Spiegelman auch als Illustrator gearbeitet. Schon in den Achtzigern konzipierte er für den 2001-Verlag die Umschläge einer Boris-Vian-Ausgabe. Nach dem Abschluss von "Maus" hat er sich dieser Arbeit verstärkt gewidmet, wohl auch als Gegengewicht zu dem vorangegangenen, in jeder Hinsicht belastenden Großprojekt. So zeichnete er zwischen 1993 und 2002 insgesamt 37 Cover für den New Yorker, von denen ungefähr ein Dutzend in Köln zu sehen ist. Einerseits zeigt sich in ihnen Spiegelman durchaus als Nostalgiker: Seine farbenfrohen Bilder von großstädtischen Szenen, von Liebespaaren und Kindern orientieren sich an der Gebrauchsgrafik der Dreißiger bis Fünfziger und am Stil der Cartoons, für die der New Yorker berühmt ist. Andererseits geht es inhaltlich heftig zur Sache. Schon das erste, für einen Valentinstag gefertigte Cover Spiegelmans war ein Skandal: Als Reaktion auf Rassenunruhen zwischen Juden und Afroamerikanern in Brooklyn zeichnete er einen Chassiden, der eine schwarze Frau innig auf den Mund küsst. Andere Cover zeigen niedliche Kinder, die, mit schweren Feuerwaffen behangen, zur Schule gehen oder sich aus Zeitungen mit Schlagzeilen wie "Serial Killers", "Aids" oder "Rape" lustige Papierhüte basteln. So schließt sich hier ein Kreis, der mit den Bildern für Topps begonnen hat. Die Kölner Ausstellung macht nicht nur klar, dass es für Art Spiegelman ein Leben vor und nach "Maus" gegeben hat. Sie offenbart auch, dass dieser Künstler ein glänzender Humorist und Satiriker ist, einer der besten, über die der Comic verfügt. CO-MIX: Art Spiegelman. Museum Ludwig, Köln. Bis 6. Januar. Als Katalog dient das Buch "Art Spiegelman: Co-Mix. A Retrospective of Comics, Graphics, and Scraps" (Flammarion). Beim S. Fischer Verlag erschienen ist "MetaMaus", in dem Spiegelman ausführlich über die Entstehung und die Hintergründe von "Maus" spricht. Bild: "Valentine's Day". Gouache. Entwurf für die Titelseite von The New Yorker. 15. Februar 1993.

© SZ vom 25.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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