Süddeutsche Zeitung

Art-Cologne-Nachlese:Der Flop

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Frankfurt, Brüssel, Düsseldorf, Wien - und dazwischen die Art Cologne: Eine Galeristin erzählt vom Kunstmessenalltag, bei dem es diesmal hieß: "Außer Spesen nichts gewesen."

Dagrun Hintze

Samstags nach Köln gefahren, ein Transporter zum Bersten voll mit Kunst und Anspannung, die nächsten Tage zum Bersten voll mit Arbeit und kleinen Katastrophen: unvollständigen Preislisten, falschen Nägeln und zermürbenden Diskussionen mit Künstlern, die alle die beste Wand und den meisten Raum auf dem Messestand für sich beanspruchen.

Zur Messeeröffnung am Dienstag schon so müde, als hätte man Beuys' 7000 Eichen eigenhändig gepflanzt, aber die Aussicht auf gute Verkäufe und neue Kontakte zu Kuratoren, Institutionen und Sammlern hält wach - und ist es nicht einfach großartig, die Einladung zu einem "New Contemporary"-Stand auf der Art Cologne überhaupt erhalten zu haben? Jede Skepsis, ob ein halbes Jahr nach der letzten Art Cologne schon wieder Platz sei für die nächste, die Gerüchte über schlechte Verkäufe in den letzten Jahren und den ohnehin sinkenden Stern der Mutter aller Kunstmessen, selbst die Terminkonkurrenz mit Düsseldorf und Brüssel - alles in dicker Luftpolsterfolie verpackt, mit Kantenschutz geknebelt und im Lagerraum eingeschlossen.

Als erstes kommt die dpa und fotografiert unseren Biennale-Teilnehmer. Dann kommt über mehrere Stunden fast niemand, obwohl die Professional Preview längst läuft. Kuratoren, Messedirektoren und Sammler sind offenbar festgetackert im Open-Space-Bereich, keiner von ihnen findet den Weg zu uns, den "New Contemporaries", am Ende der Halle. Wer war denn überhaupt da?

Von den 16000 Besuchern, die offiziell bei der Vernissage gezählt werden, müssen etwa 12000 an der Kölsch-Bar hängengeblieben sein, und so haben um 21 Uhr die wenigsten jungen Kollegen außerhalb des Open Space überhaupt Verkäufe zu verzeichnen. Die Skepsis bollert lautstark an die Lagertür; man verbietet sich den Gedanken, was eigentlich passiert, wenn man an die 10000 Euro für Messeauftritt, Transport, Hotel und so fort investiert hat und gar keinen Umsatz macht. Stattdessen spekuliert man lieber, wie die Kollegen wohl überleben - gibt es da einen gutverdienenden Lebensgefährten, dort womöglich ein Erbe im Hintergrund oder haben all die Galeristinnen und Galeristen noch lukrative Zweitjobs, von denen keiner wissen darf?

Wie überleben die Galeristen überhaupt?

Warum wollen junge Menschen überhaupt Galeristen sein? Wenn sie nicht einer Kunstdynastie angehören, eine alteingesessene Galerie übernehmen oder durch eine andere wundersame Fügung über einen Stamm von potenten Sammlern verfügen? Haut man wirklich die absurdesten Summen für Messeauftritte raus, um sich dann mit von der Klimaanlage geröteten Augen auf dem Stand zu langweilen und die tickende Gelduhr im Kopf zu haben, die so erbarmungslos läuft, als messe sie die deutsche Staatsverschuldung - einfach nur, weil man hofft, irgendwann in absehbarer Zukunft ein Stück vom Kuchen namens Hype abzubekommen? Das Rahmenprogramm lässt zu wünschen übrig, im Anschluss an die Vernissage ein Galadinner zu Gunsten der European Kunsthalle, Eintritt 150 Euro, erst die Party von Mitternacht an ist umsonst, aber da liegen wir schon im Bett und riechen nach Fußsalbe.

Am Mittwoch ist es dann so tot, dass man den eigenen Stand getrost allein lassen und sich selbst einen Überblick über die diesjährige Art Cologne verschaffen kann. Für Kunstmessen kommt nur eine Fortbewegungsart in Frage: das Flanieren. Wie Treibholz hin und zurück durch die gerasterten Gänge, bis der Blick irgendwo hängen bleibt. Oft tut er das nicht.

Die Kunsthandelsstände mit Klassischer Moderne sind ohnehin ein anderer Planet - wer Lust hat, sein Vermögen in Kokoschka-Gemälden anzulegen, wird keinen jungen Künstler entdecken wollen. Bei den etablierten zeitgenössischen Galerien würde man zwar am liebsten die roten Punkte von der Wand pulen, freut sich aber trotzdem über neue Arbeiten von Künstlern, die man schon kennt. Da wird der Blick gehalten - einfach, weil er auf Vertrautes trifft in diesem ganzen Wust von optischem Lärm; auf Erfolgreiches, das sich schon durchgesetzt hat im Spiel um den Platz in der Kunstgeschichtsschreibung.

Für das nächste Mal: eine 50-Quadratmeter-Installation aus Ikea-Waagen

Ansonsten ist es oft die simple Größe einzelner Werke, die die Aufmerksamkeit der Besucher bannt - deshalb findet man die meisten von ihnen auch im Skulpturenpark Open Space, wo in fremdartigen Maschinen Seifenlauge blubbert oder rostige Zobernig-Kugeln auf einem echten Rasenstück vor sich hindämmern. Beim nächsten Mal sollte man vielleicht doch eine 50-Quadratmeter-Installation aus Ikea-Waagen mitnehmen.

Warum hat eigentlich die Luft vibriert, als gestern am Stand gegenüber plötzlich Katharina Sieverding auftauchte? Sie ist unzweifelhaft ein Star, eine außergewöhnliche Künstlerin und Erscheinung sowieso - aber hat sie nicht das Glück, einer Generation anzugehören, die noch den Mythos des Künstlerseins pflegen kann, ohne sich lächerlich zu machen? Kauft nicht der, der ihre Werke sammelt, auch den Exzess mit ein, die Verweigerung eines bürgerlichen Lebensentwurfs, den Widerspruch zur herrschenden Realität, sprich: all das, was ein besseres, intensiveres Dasein verheißt?

Heutzutage lädt man junge Künstler zum Abendessen ein und bleibt auf vollen Weinkisten hocken, weil alle um Mitternacht zur Uhr schielen und die letzte U-Bahn nehmen. Bei Guido Westerwelle, der zehn Meter vor uns ein TV-Interview gibt, vibriert die Luft jedenfalls nicht, auch nicht bei Anke Engelke, die zwei Minuten lang Halt macht. Mehr Glamour ist nicht - wie es sich wohl anfühlt, Madonna auf dem Stand zu haben? Oder Sylvester Stallone? Aber dafür müsste man erst mal zu den Messen zugelassen werden, auf denen die sich rumtreiben. Die Skepsis macht sich jetzt auf dem grauen Teppich in den leeren Gängen breit. Sie sieht sich bestätigt: Heute kommt keiner mehr, es sind nämlich alle in Düsseldorf. Womöglich ist das die Messe, auf der man in diesem Jahr hätte sein müssen, die Gerüchte vermelden Prominenz, Champagner und Hot Dogs am laufenden Meter, eine cool in Trapezen gerasterte Standarchitektur mit Spiegelwand drumherum. Die Gäste, heißt es, seien viel eleganter als in Köln, dafür sähen sie aber auch alle gleich aus.

Um jetzt nicht plötzlich ganz schlechte Laune zu bekommen, trinkt man warmen Prosecco mit den reizenden Standnachbarn aus Warschau und wird so hysterisch und albern, dass man einen Fechtkampf mit Baguettestangen austrägt. Kaum sammelt man kichernd die Krümel aus dem Haar, da reserviert eine Dame noch schnell die große Fotografie und will am Wochenende wiederkommen. Vor Schreck vergisst man, Schuhe, Tasche und Schmuck zu überprüfen, die untrüglichen Indizien für Geld, das auch in Kunst verwandelt werden kann.

Am Donnerstag ist's dann noch toter als zuvor. Also wieder Flanieren. Die Show über den Galeristen Erhard Klein zeigt Beuys, Kippenberger, Polke. Und man könnte weinen, weil die Welt in den achtziger Jahren nicht einfach untergegangen ist. Damals, als das "Alleinstellungsmerkmal" von Kunst noch bedeutete, dass sie einen Platz "außerhalb" besetzt hielt, von dem aus sie den Hebel an die Wirklichkeit legen konnte. Damals, als Schamanen, Punks und ehrlich Besessene ihre Arbeit machten und es für Künstler eine Schande war, gut zu verkaufen. Irgendwann in den verdammten Neunzigern ist die Kunst immer weiter nach "drinnen" gerutscht und wurde eine kulturelle Praxis unter vielen.

Die digitale Bohème

Deshalb ist es auch nur konsequent, dass selbst die "Zentrale Intelligenz Agentur" aus Berlin auf der Art Cologne vertreten ist und sich vom Stand aus einen abbloggt. Die "digitale Bohème" will neue Einkommensmöglichkeiten erschließen und bietet ein aus bunten Post-Its zusammengesetztes Wandbild von Knut, dem Eisbären, an. Preis: nach Vereinbarung. Kunst ist bereit, jede Schnittstelle zuzulassen, jede offene Flanke. Eine Messe wird zum begehbaren Zeitgeistmagazin, bei dem man auch nicht mehr über die Gegenwart erfährt, als wenn man sich Modestrecken oder Plakatwerbung reinzieht. Warum sollte hier irgendeiner etwas kaufen, das keine sichere Wertanlage ist?

Die Kollegin vom Stand gegenüber ist von Haus aus Historikerin und findet Messen "super", gerade weil bei der jungen Gegenwartskunst noch keine Vorselektion stattgefunden hat und jeder Betrachter also Teil real stattfindender Geschichte ist - nicht nur Konsument einer fragwürdigen Geschichtsschreibung. Um den Preis eben, dass man viel Schrott anschauen muss.

Für einen Moment erkennt man dann, wie großartig dieser Beruf ist. Weil er immer wieder Begegnungen mit Menschen ermöglicht, die Bildung, Herz und Hirn besitzen. Weil jedes Mal von Neuem das Herzklopfen beginnt, wenn man ein Kunstwerk sieht, das Fragen stellt, die einen selbst umtreiben. Weil die ständige Auseinandersetzung mit Künstlern vor intellektueller und emotionaler Verwahrlosung schützt. Dann trinkt man müde und zufrieden noch ein letztes Bier mit der Utopie, bevor die Vernissage-Gäste kommen. Das Wochenende bringt mehr Besucher, aber weiterhin wenig Käufer. Stattdessen Damen auf der Suche nach einer Deko für ihre Tierhandlung - und in China hätten sie aber viel billigere Skulpturen gesehen. Die Skepsis führt jetzt Rumpelstilzchen-Tänze auf, sie hat es schließlich längst vorher gewusst.

10000 Euro in den Sand gesetzt, vielleicht geht ja noch was im Nachgeschäft, und wo bleibt eigentlich die Dame, die die große Fotografie reserviert hat? Will man wirklich weitermachen mit diesem Wahnsinn? Heute in den Flieger nach Wien, wo am Mittwoch die Vienna Art Fair eröffnet, auch dahin hat man schon Beträge überwiesen, von denen man monatelang leben könnte. Und danach?

See you in Basel, sagen alle zum Abschied.

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SZ vom 24.4.2007
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