"Art and Press" und die "Bild"-Zeitung:Frisch ans Werk

Kann man Kunst in einer Minute erklären? Die "Bild" versucht das zurzeit im Rahmen einer Ausstellung, bei der sie Medienpartner ist, die sie als "wichtigste Ausstellung des Jahres" bezeichnet und für die sie sich selbst als "mutig" lobt. Ganz auf der Höhe ist das nicht.

Ruth Schneeberger

Kann man Kunst in einer Minute erklären? Die "Bild"-Zeitung versucht das zurzeit im Rahmen einer Ausstellung, bei der sie Medienpartner ist, die sie als "wichtigste Ausstellung des Jahres" bezeichnet und für die sie sich selbst als "mutig" lobt. Ganz auf der Höhe ist das nicht. Die Bilder. Zeitungen ragen wie überdimensionales Blattwerk in den Himmel, der Blätterwald rauscht tüchtig, und darunter ein kleiner Mensch, der nur darüber staunen kann, was da über ihm passiert - komplett erfassen kann er es nicht. Ist das ein zeitgemäßes Bild von Medien, das die Ausstellung "Art and Press" derzeit im Berliner Gropius-Bau zeigt, unter anderem mit der Installation von Künstler Olaf Metzel "Und dann noch das Wetter" (hier im Bild)? Wenn man "die Presse" als rein gedrucktes Medium versteht, in seiner Eigenschaft als tagesaktuelle Zeitung, dann vielleicht. Text: Ruth Schneeberger/Süddeutsche.de Alle Bilder stammen aus der besprochenen Ausstellung und von der Ausstellungseröffnung

Dass die aktuelle Ausstellung, die Ende März eröffnet wurde und noch bis Ende Juni läuft, sich mit den anderen und jüngeren Medien wie TV, Online oder gar Social Media, wo der User eben nicht zum reinen Konsum oder zum schlichten Glauben dessen, was geschrieben steht, sondern zum Mitmachen und Mitdenken aufgefordert ist, gar nicht beschäftigt, das wurde schon zu Recht in einzelnen Ausstellungsbesprechungen kritisiert. Es geht hier fast ausschließlich um die Zeitung - und um ihre Wechselwirkung mit der Kunst. Ob das nun daran liegt, dass, wie kritisiert, die Ausstellungsmacher einer älteren Generation angehören, deren Medien-Bild sich noch auf das gedruckte Print-Medium konzentriert, oder ob eine Ausweitung des Medien-Verständnisses den Rahmen nicht bereichert sondern gesprengt hätte: So ganz auf der Höhe der Zeit wirkt es jedenfalls nicht, wenn ein Künstler wie "Denmark" aus Belgien eine gesammelte Jahresausgabe von "Newsweek" im Kleinformat verschnürt und an die Wand hängt (im Bild), ...

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(Foto: Anselm Kiefer, Die Worte, 2012/Foto: Stefan Korte)

... oder Anselm Kiefer den Verfall des Zeitungswesens beklagt, indem er aus alten Setz- und Druckmaschinen bleierne Sonnenblumen welken lässt (hier im Bild). Da ist viel Nostalgie im Spiel ...

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(Foto: Courtesy of the Artist and Marian Goodman Gallery, Paris© William Kentridge - Foto: Marc Domage)

... aber auch viel Spaß am Spiel mit der guten alten Zeitung (im Bild: William Kentridge, Could Anyone Be More Like Me?, 2008) und ihrer Form der Darstellung von Realität. "Kunst.Wahrheit. Wirklichkeit" lautet der Untertitel der Ausstellung, und nicht nur Kentridge fragt in seinen Collagen und Installationen nach dem Verhältnis von Zeitungswahrheiten und historischen Ereignissen ...

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(Foto: Ai Weiwei, Privatbesitz des Künstlers, Ausstellungsansicht Martin-Gropius-Bau 2012/Foto Stefan Korte)

... sondern auch Ai Weiwei etwa kritisiert mit seiner Installation aus Relikten der Beichuan High School, die vor vier Jahren durch ein Erdbeben zerstört wurde, weil sie fehlerhaft konstruiert war, die Zensur und Unterdrückung der Meinungsäußerung in seinem Land. Der Künstler, der in China immer noch unter Hausarrest steht, weist mit seiner Arbeit ohne Titel, die auf den ersten Blick an Fußfesseln erinnert, auf subversive Art auf den Tod von rund 1000 Schülern durch die Erdbebenkatasrophe hin, die durch die Kontrolle der Presse in seinem Heimatland heruntergespielt wurde. Es sei wichtig, ...

... so Künstler und Regisseur Julian Schnabel zur Eröffnung (im Bild seine Arbeit "Crazy People", 2010), dass auch und gerade diejenigen, deren Wort und Meinung unterdrückt und blockiert werde, in dieser Ausstellung eine Stimme gegeben werde. Er verwies dabei neben Ai Weiwei ...

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(Foto: dapd)

... auf den iranischen Kollegen Farhad Moshiri. Dessen Objekt "Kiosk de Curiosite" aus dem Jahr 2011 ist nicht nur Fleißarbeit  (Cover internationaler Mode- und Lifestyle-Magazine wurden auf 50 iranische Teppiche gewebt), sondern vor allem Ausdruck eines Lebensgefühls, das die iranische Tradition mit dem Einfluss westlicher Lebenswelten im wahrsten Sinne des Wortes auf absurde Weise "verknüpft". Sowohl die Nah-, als auch die Gesamtansicht des Kunstwerks zeigen:

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(Foto: Farhad Moshiri, Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac Salzburg, Paris/Foto: Stefan Korte)

Dieser "Kiosk" hängt voller Versprechungen der westlichen Welt, die für die iranische Welt teils zensiert, weil herausgeschnitten, und teils nicht verständlich sind. Das große bunte Angebot wird zur Überforderung des Einzelnen. Der Künstler lebt in Iran und Paris. Dieser Arbeit gegenüber hängt übrigens eine ebenso spannende (nicht im Bild) von Adam McEwen, der im großen Rahmen Nachrufe auf noch lebende Personen verfasst. Ehe der Betrachter realisiert hat, dass sowohl Kate Moss als auch Bill Clinton sowie Jeff Coons aber noch leben, hat er die täuschend echten Zeitungsartikel schon für bare Münze genommen. Dem jetzigen Künstler und ehemaligen Nachrufe-Schreiber des Londoner Daily Telegraph, McEwen, gehe es genau um diesen einen Moment der Verunsicherung, in dem der Betrachter sich fragt, was denn nun wahr ist - und was nicht. Das erfährt der Besucher praktischerweise aus den Kurzerklärungen, die neben den Bildern der Ausstellung hängen, was die Darstellung der Schau interessant macht. Nicht, wie üblich, nur Titel, Material, Erschaffungsjahr und Künstler werden hier genannt, sondern eine kurze Gebrauchsanweisung wird gleich mitgeliefert. Das macht die Schau im Rahmen des Kunstbetriebs gleichzeitig eher zu einer Dokumentation als zu einer üblichen Kunst-Ausstellung. Aber sie wird ja auch von der Bild-Zeitung präsentiert. Das erklärt einiges. 

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(Foto: Anselm Kiefer, Rauminstallation/Foto: Stefan Korte)

Es erklärt zum Beispiel, warum zur Ausstellungseröffnung im repräsentativen Lichthof des Gropius-Baus (im Bild) neben Kulturstaatsminister Bernd Neumann, dem künstlerischen Leiter Walter Smerling von der Stiftung für Kunst und Kultur und Jürgen Großmann als Vorstandsvorsitzendem des Sponsors RWE (der nebenbei über die Vorzüge der Atomkraft sprach) und außerdem neben dem Philosophen Peter Sloterdijk (der über die Vorzüge der Schönheit sprach) auch Bild-Chefredakteur Kai Diekmann seinen großen Auftritt qua Begrüßungsrede vor großem und geladenem Publikum hatte. Auch er sprach über Vorzüge, und zwar unter anderem über solche, die die Bild-Zeitung ihren Lesern nun nach der Abschaffung des Seite-1-Mädchens mit der täglichen Vermittlung von zeitgenössischer Kunst biete, indem Bild als "Medienpartner" der Ausstellung täglich einen der 56 beteiligten Künstler vorstelle. Wobei sowohl er selbst als auch der RWE-Vertreter nicht vergaßen, zu betonen, wie "mutig" das von Bild sei, angesichts ihrer Leserschaft. Und für das Bild-Video-Interview auf der Bild-Homepage erklärte Diekmann später noch, dass Bild natürlich eigentlich deshalb "Bild" (und nicht etwa "Schlagzeile") heiße, weil es, wie zufällig auch in der Kunst, eben um Bilder und Wahrheiten gehe, dass man bei Bild "Avantgarde" sei und dass er nun zeigen wolle, dass die vorgeblich so schwere Kost Kunst für ein Massenpublikum eben doch geeignet sei. Er wolle "einfach zeigen, dass auch zeitgenössische Kunst einfach nur viel Freude machen kann".

Um Freude geht es weniger bei Jonathan Meese, deshalb ist es umso erstaunlicher und auch erfreulicher, dass ihm hier ein ganzer Raum gewidmet wurde, den er mit Manifesten, an Helge Schneider erinnernden Videoarbeiten, Großportraits von sich als Führer einer Zeitung der Zukunft und handschriftlichem Gekritzel über die "Erzpresse" und die "Geilkunst" füllt. Der Hamburger Künstler hat sich besonders kritisch und auf seine Weise mit einer bestimmten Art von Presse auseinandergesetzt, und zwar mit solcher, die Meinung gleichzeitig diktieren als auch versachlichen will, zugunsten einer vereinheitlichten Denke, vor der er warnt - sehr provokativ.

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(Foto: dpa)

Weniger hintersinnig, aber in eine ähnliche Kerbe schlägt Barbara Kruger mit ihrer aktuellen Arbeit aus dem Jahr 2012, die keinen Titel trägt, aber wohl auch ganz gut ohne auskommt. Denn eindeutiger als mit den berühmten Großbuchstaben einen ganzen Raum zu tapezieren und dabei die Besucher über Fragen der Glaubwürdigkeit stolpern zu lassen, geht es wohl kaum. Ob das wohl als Fingerzeig an den "Medienpartner" gerichtet sein soll? Was wird uns als Wahrheit präsentiert? Was sehen wir als wahr an? Wie glaubwürdig sind und waren Zeitungen? Und wie geht die Kunst damit um? Diesen Fragen gehen - mal mehr, mal weniger erhellend - insgesamt 56 Künstler in der Ausstellung nach, teils mit extra für die Schau erschaffenen Arbeiten, darunter internationale Größen ...

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(Foto: Sammlung Fröhlich, Stuttgart/2012 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. /ARS New York)

... wie Andy Warhol (im Bild: Five Deaths, 1963), Joseph Beuys, Damien Hirst, Thomas Ruff, Andreas Gursky, Gilbert and George, ...  

... oder Sigmar Polke (im Bild: Original und Fälschung 19 - Der Kapitän und das brennende Schiff, 1973), der in seinem Bildzyklus gefälschte Bilder, über die Zeitungen berichtet haben, nachgemalt und neu interpretiert hat. 

Für Markus Lüpertz' Gemälde "Dubrovnik" aus dem Jahr 1992 war ein Artikel aus der Süddeutschen Zeitung zum damaligen Kroatienkrieg der Anlass - die Zeitung hat er deshalb gleich in sein Bild mitaufgenommen.

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(Foto: dpa)

Und Gerhard Richter begann mit seinen "Acht Lernschwestern" (im Bild) aus dem Jahr 1966, deren Fotos er in einer Zeitung entdeckt hatte, weil sie von einem Serienkiller getötet worden waren, mit seinem Prinzip der Übermalung von real existierenden Fotos. Wie sich also Kunst und Zeitung gegenseitig bedingen, besprechen und befruchten, das macht die Ausstellung durchaus plausibel.

Auch wenn nicht alle Bildbeschreibungen in der Ausstellung unbedingt zur Aussage der Bilder passen. Das Objekt "Lénvoye special" der deutsch-französischen Künstlerin Gloria Friedmann etwa zeigt einen röhrenden Hirsch auf einem Stapel von Zeitungspapier. Der Begleittext dazu lautet: "Der Hirsch, Inbegriff der Tierwelt, trifft auf die gesammelten Überbleibsel einer Zivilisation, die täglich durch die Medien, in diesem Fall die Zeitungen, gefüttert wird." Nunja. Ein Hinweis darauf, dass der röhrende Hirsch als Inbegriff urdeutscher Spießigkeit, Kleinbürgerlichkeit und Stammtischgeschwätz bisweilen über einem Haufen Medien zu thronen und darauf herab zu röhren scheint, wäre vielleicht die passendere Deutung des Kunstwerks gewesen - aber natürlich auch die kritischere. Und wie sieht das nun bei "Bild" aus?

Müssen wir uns Sorgen machen, dass die Zeitung mit den großen Buchstaben und den meinungsbildenden Schlagzeilen von der vermeintlichen Stimme für das Volk nun zum hochseriösen Kunst-Blatt mutiert? Nicht wirklich. Tatsächlich versorgt Bild.de sein geneigtes Pubilkum seit der Ausstellungseröffnung fast täglich mit der Präsentation eines Künstlers aus der Schau. Zwischen Schlagzeilen wie "Die Spargelsaison ist endlich gestartet" und "Katze stürzt kleine Mieze in den Abgrund" oder "Affäre? Jetzt spricht Massimos Frau!" findet man jeweils den kurzen Einführungstext eines Kunstexperten - und ein rund einminütiges Video, das die Arbeit eines Künstlers erklärt. So weit, so gut, immerhin ein Anfang. Solange hier aber penetrant von "Werken" geschrieben und geprochen wird, wenn auch nicht das Lebenswerk, sondern nur einzelne Arbeiten eines Künstlers gemeint sind, und solange Bild meint, dass mit einem einminütigen Video dieses "Werk" eines Künstlers schon hinreichend erklärt wäre, und solange die Bild ihre eigene Ausstellung als "wichtigste des Jahres" bezeichnet, so lange braucht man sich um die Bild und ihren Ruf keine ernsthaften Sorgen zu machen. Und in diesem Zusammenhang auch nicht um die Konkurrenzzeitungen, von denen sich Künstler Erwin Wurm (auf dem Bild: Beilage, 2011) eine in den Hintern und eine zwischen die Ohren schiebt. Immerhin: Bild verriet vergangene Woche noch über den Künstler Jannis Kounellis, dass sich "Wahrheit und Wahrnehmung nicht nur verschieben, sondern auch übereinanderschichten lassen" - und damit kennt Bild sich ja durchaus ganz gut aus.

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(Foto: Courtesy of the artist and Brown´s Enterprise, LUMA, Schweiz/Foto: Ellen Page Wilson Studio)

Man könnte es auch mit dem thailändischen Künstler Rirkrit Tiravanija (im Bild: ohne Titel, 2010) formulieren: Die Tage dieser Gesellschaft sind gezählt - und sie werden weiter erzählt werden. Auf welche Weise, mit welchen Fehlern und über welche Kanäle auch immer. Und jedes Medium hat seine Vor- und Nachteile. Es bleibt trotzdem ein Medium. Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen (34 Euro). Die Schau öffnet täglich außer dienstags von 10 bis 19 Uhr, noch bis zum 24. Juni (Niederkirchnerstraße 7, 10963 Berlin, detaillierte Infos und Onlinetickets unter www.gropiusbau.de und www.artandpress.de) und zieht danach weiter ins Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) nach Kalsruhe (15. September 2012 bis 10. Februar 2013). 

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