Arktis-Fotografien von Rax:Im schmelzenden Eis

Dinge vor dem Verschwinden zu bewahren, das hat sich die Fotografie seit jeher zur Aufgabe gemacht. Der isländische Fotograf Rax dokumentiert in spektakulären Bildern die Landschaften der Arktis - und wie dort der Klimawandel sichtbar wird.

Von Franziska Dürmeier

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(Foto: RAX)

Im Mittelpunkt der Arbeiten von Ragnar Axelsson, der sich selbst Rax nennt, steht die Auswirkung der Klimaerwärmung auf die Arktis. Dabei ist er eher zufällig auf die Thematik gestoßen. Bei seiner ersten Reise nach Grönland im Jahr 1987 machte er sich noch keine Gedanken - damals "fror er nur die ganze Zeit", wie er scherzhaft anmerkt. Nun plant er ein Buch über die schmelzenden Gletscher. Denn nach sieben Jahren des Fotografierens arktischer Landschaften bemerkte er, dass das Eis immer dünner wird - dass es krank ist, wie es seine grönländischen Freunde ausdrücken. Und genau dieses Phänomen will er aufzeichnen. Die Fotografie der zwei Grönländer vor dem Eisberg wirkt fast künstlich. Doch laut Rax sah die Szenerie auch in Wirklichkeit so intensiv aus, er habe an der Schwarz-Weiß-Fotografie kaum etwas verändert. Um Mitternacht im Scoresbysund (der Fjord heißt auf Grönländisch Kangertittivaq, die Siedlung Ittoqqortoormiit), sei das Licht sehr intensiv. Kein künstliches Licht störe die unzähligen Sterne und die Nordlichter am Himmel. Die Männer fanden Eisbärenspuren, Rax rief, sie sollten verharren. Rax stand mit seiner digitalen Schwarz-Weiß-Kamera in einer Eisspalte, als er das Foto aufnahm. Der Riss im Eis war binnen weniger Tage durch die Bewegung des Ozeans unterhalb der Eisdecke entstanden - ein ganz natürlicher Prozess.

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(Foto: RAX)

Eine Gletscherhöhle des isländischen Vatnajökull. Ein isländischer Tourguide steht am Eingang der Höhle, die man nur betreten sollte, wenn es nicht regnet, da sonst Brocken herabfallen könnten. Obwohl das Blau an den Wänden der Eishöhle in den unterschiedlichsten Nuancen reflektiert wird, bevorzugt Rax die Schwarz-Weiß-Variante. Er sei da ein bisschen wie Keith Richards: Der Rolling-Stones-Gitarrist schreibe auch Songs und kümmere sich nicht darum, ob es jemandem gefalle. Auch Rax fotografiert nach seinem Geschmack - und das meist farblos. Die Stones und die Beatles hört Rax gerne abends im Zelt. Und manchmal kommen so ganz neue Songs zum Vorschein: Eines Abends in Grönland hörte er den Song "And I Love Her" von den Beatles. Der Walkman war so kalt, dass er nur sehr langsam lief und Rax eine völlig neue Version des Songs vorspielte.

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(Foto: RAX)

Dieses unheimlich wirkende Foto stammt nicht etwa aus einem Hitchcock-Film, es entstand im Februar 2013 im Westen Islands, im Kolgrafafjörður, einem kleinen Fjord der Halbinsel Snæfellsnes. Vermutlich trieben Schwertwale die Heringschwärme in den Fjord, wo diese verendeten. Da der Fjord durch eine Brücke mit nur einem kleinen Durchfluss vom offenen Meer getrennt ist, kann kaum Wasseraustausch stattfinden, der Sauerstoff im Wasser ist knapp. Zehntausende Tonnen Hering erstickten im Fjord - ein Teil davon wurde aus dem Meer gefischt und von den Stränden eingesammelt, den Rest vergrub man in der Erde. Zwei Wochen dauerte es, den Fjord zu reinigen. Rax erinnert sich noch an den grauenvollen Geruch.

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(Foto: RAX)

Extreme Kälte, spröder Untergrund, Eisbären und sich ständig wandelnde und bewegende Eislandschaften - das Fotografieren in der Arktis ist mühsam und die Expeditionen sind nicht ungefährlich. An manchen Stellen ist das Eis bereits so dünn, dass die Reisenden nicht mehr von ihren Hundeschlitten springen können, da sie sonst einbrechen würden. Die massiven Eisberge können im Sommer ins Rollen kommen. Dadurch kann die Eisdecke in einem Radius von bis zu 500 Metern brechen. Es besteht die Gefahr, zwischen den Eisplatten eingeklemmt zu werden. Meistens sind davon Fischer betroffen. Auch Rax fiel in eine Eisspalte, als er im Sprung den gegenüberliegenden Rand verfehlte. Bis zum Bauch hing er im Eiswasser, doch er konnte die Hundeschlittenleinen greifen und sich daran hochziehen.

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(Foto: RAX)

Vier Stunden dauerte es, bis Rax, sein grönländischer Freund Hjelmer und dessen Bruder mit dem Hundeschlitten die Eisplatten überwunden hatten. Hjelmer ist wohl der beste Eisbärenjäger weltweit, mit seinen 56 Jahren hat er etwa 240 Eisbären gefangen. Ein Sturm zog auf, sie mussten sich in Sicherheit bringen und eine Hütte erreichen. Doch der Sturm traf die Reisenden, eine Stunde lang waren sie eingeschneit. Kurz darauf schien die Sonne, doch das Eis hatte sich komplett verändert; durch den Sturm waren zahlreiche Risse entstanden. Diese zu überwinden, ist eine komplizierte Angelegenheit. Die Schlittenhunde fürchten sich davor, in das eisige Wasser zu fallen. Die Tiere können zutraulich sein wie Haustiere, doch manchmal auch unberechenbar und aggressiv. Taucht ein Eisbär auf, attackieren sie ihn. Bei einem solchen Angriff werden oft zwei bis drei Hunde getötet.

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(Foto: RAX)

Die Eisskulpturen, die von Wind und Wasser geformt werden, verändern sich nur langsam, aber man kann das Knacken hören, das durch die Bewegung des Ozeans entsteht. Der Boden in der Nähe dieses Eisberges ist spiegelglatt. Die Pose des Jägers gleicht der eines Soldaten. Doch der Grönländer ist lediglich in Wachstellung. In der Nähe haben er und Rax frische Bärenspuren entdeckt. Zu diesem Zeitpunkt ist noch fraglich, ob sich ein Bär hinter der Eisformation versteckt und sie attackieren wird. Einen Tag später fanden sie ihn, er hatte ein Bärenjunges dabei. Und Bären oder Moschusochsen, die Jungtiere bei sich haben, werden nicht gejagt.

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(Foto: RAX)

Dieser Moschusochse war in einer Herde ausgewachsener Tiere unterwegs und wurde von einem Inuit-Jäger erlegt. Vor einigen Jahren gab es Auseinandersetzungen zwischen den Jägern und Umweltschützern. Die Grönländer verstanden die geforderten Jagdbeschränkungen nicht, da sie lediglich für den Eigenbedarf jagen. Inzwischen ist auf Druck der Organisationen nur noch ein begrenztes Kontingent durch die grönländische Regierung zur Jagd freigegeben. Im Gebiet um Scoresbysund dürfen im Jahr 35 Eisbären erlegt werden, die Jagd auf Moschusochsen ist in einem größeren Ausmaß erlaubt. Die Jagd wird streng überwacht, jedes Tier, das getötet wird, muss gemeldet werden. Die Tiere werden durch einen Schuss getötet. Von den Tieren wird alles verwendet, auch die Haut. Doch möglicherweise wird die Jagd auf Eisbären bald ganz verboten. Er selbst könne keine Fliege töten, meint Rax, ihn mache es traurig, diese toten Tiere zu sehen. Dennoch respektiere er die Tradition der Inuit, da sie sich von den Tieren ernähren müssten.

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(Foto: RAX)

Die Klimaerwärmung sei Realität, meint Rax, das könne niemand mehr leugnen. Grönlands Eisschild schmilzt, auf der Oberfläche der Gletscher bilden sich gigantische Seen und Flüsse, die sich mit ihrem intensiven Blau vom Weiß des Eises abheben. Das Schmelzwasser kann sich auch subglazial sammeln. So entstehen oft Wassertaschen, riesige Hohlräume im Inneren der Gletscher. Die US-Raumfahrtorganisation Nasa füllte mehr als tausend gelbe Gummienten in die Flüsse, die sich auf den Gletschern gebildet haben - seit drei Jahren warten die Forscher darauf, dass diese wieder auftauchen, erzählt der Fotograf. Rax hat sich die Dokumentation der Eisschmelze zur Aufgabe gemacht. Sein aktuelles Projekt umfasst einen Gletscher-Bildband mit Texten namhafter Personen sowie ein illustriertes Kinderbuch über Gletscher, das von einem respektvollen Umgang mit dem Planeten handelt. Man könne sich nicht so verhalten als gebe es keine Zukunft, meint Rax. Es sei "die Profitgier der Wenigen", die unseren Planeten zerstöre. Rax vermisst Initiative und Entscheidungen.

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(Foto: RAX)

Neben den optischen Aspekten interessiert sich Rax auch für die wissenschaftliche Seite der Erderwärmung. Wissenschaftler aus der ganzen Welt machen auf der Gletscheroberfläche Messungen. Rax ist manchmal mit dem isländischen Geologen Haraldur Sigurðsson unterwegs und nimmt an Klimakonferenzen teil. Man müsse den Wissenschaftlern mehr Gehör schenken und ihnen eine Plattform bieten, meint Rax, denn sie hätten keine Stimme in den Medien - nur einmal im Jahr, wenn die Gletscher auf Rekordniveau schmelzen. Da Rax selbst als Pressefotograf tätig ist, möchte er die Ergebnisse auf seine Art und Weise publik machen. Für seine Fotografien wurde Rax oft angegriffen. Doch keiner könne ihm vorwerfen, dass er das Thema wegen des Geldes aufgreife, denn er bekomme nichts dafür. Wenn Rax mit Klimaskeptikern konfrontiert wird, respektiert er zwar ihren Standpunkt, aber kritisiert ihre Starrköpfigkeit, denn viele unter ihnen wollten nicht zuhören und sähen weg, sagt er. Selbstverständlich hoffe auch er, dass es sich statt um menschlich verschuldeten Klimawandel um einen natürlichen Prozess handle, aber niemand könne das Gegenteil zeigen. "Wie viele Beweise brauchen sie, damit sie es glauben?"

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(Foto: RAX)

Dieser Teil des Gletschers im Ilulissat-Eisfjord im Westen Grönlands geht rapide zurück. 20 Milliarden Tonnen Wasser fließen laut Rax jährlich ins Meer. Der Rückzug des Gletschers um etwa 40 Kilometer sei außergewöhnlich. Über Satellitenbilder könne man den Rückgang genau beobachten. Doch gibt es nicht auch positive Aspekte? Birgt die Klimaerwärmung nicht auch Chancen? Wenn das Eis schmilzt, könnten Bodenschätze gewonnen, neue Seewege erschlossen und Nutzpflanzen kultiviert werden. Außerdem eröffnet der Tourismus neue finanzielle Möglichkeiten. Aus den Augen des Fotografen stellen sich die Grönländer den neuen Herausforderungen, beispielsweise der Tatsache, dass die Jagdsaison kürzer und gefährlicher wird. Sie sehen in den Bodenschätzen auch das Potenzial, Grönland reich zu machen. Dennoch fürchten sie die Verschmutzung der Umwelt. Wenn in Grönland Rohstoffe abgebaut werden, wäre die Arktis unmittelbar betroffen. Und bereits schon jetzt zeigen sich Umweltgifte wie PCB im Eisbärenfett.

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(Foto: Franziska Dürmeier)

Die Fotografien des Isländers Rax sind intensiv, atmosphärisch, meistens schwarz-weiß und schwermütig - doch Rax ist alles andere als melancholisch. Der Isländer ist ein aufgeschlossener, humorvoller Mensch, der gerne Geschichten erzählt. Er trinkt seinen Kaffee schwarz und fotografiert werden möchte er vor dem digitalen Aquarium im Hotel. Rax arbeitet bei der isländischen Tageszeitung Morgunblaðið und war schon so oft in Grönland, dass er nicht mehr mitzählt. Das Gletscherbuch wird in ein bis zwei Jahren erscheinen.

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