Süddeutsche Zeitung

Arienabend:Fleiß einer Diva

Ihre Koloraturen rasen dahin, ihre Sprünge sind ein ganzkörperliches Naturereignis: Diana Damrau in München.

Von Michael Stallknecht

Allein beginnt Diana Damrau diesen Abend, zu vereinzelten Stützakkorden des Orchesters, mit der Romanze der Giulietta aus Vincenzo Bellinis "I Capuleti e i Montecchi". Es ist ein Ereignis, eine Setzung, weil man umstandslos mit der Klarheit dieser Stimme konfrontiert wird, hört, wie ihr makelloses Legato auch ohne alle Orchesterwogen trägt. Ein Symbol auch für den klassischen italienischen Belcanto der 1820er- und 1830er-Jahre, als dessen aktuelle Königin die Sopranistin gelten darf, und für die Rollen dieser Ära, für all die einsamen, verlassenen, dem Wahnsinn und dem Selbstmord nahen Frauen in den Opern Bellinis und Donizettis. Aus ihnen präsentiert Damrau im Münchner Herkulessaal Filetstücke wie die Amina aus Bellinis "La Sonnambula" ("Ah, non credea mirarti"), wie die Elvira aus seinen "I Puritani". Es sind die Kernstücke auch ihrer neuen CD "Fiamma del Belcanto".

Ihre Koloraturen rasen dahin, und ihre Sprünge sind ein ganzkörperliches Naturereignis

Die meisten Künstler nutzen diese auch zur Eigenwerbung gehörenden Konzerte, um mit wenig Aufwand sich und ihren Fans einen freundlichen Abenden zu machen. Dass Damrau genau das nicht tut, erzählt viel über die Intelligenz wie über den unbezwingbaren Ehrgeiz, mit dem diese Sängerin vom leichten Koloratursopran inzwischen fast zur Primadonna assoluta aufgestiegen ist. Knapp drei Stunden dauert das Programm, das sie sich mit dem französischen Bassbariton Nicolas Testé (im Privatleben ihr Ehemann) teilt. Drei Stunden, die dramaturgisch und wirkungstechnisch so perfekt durchdacht sind, dass der Jubel des Publikums sich fast von Nummer zu Nummer steigert. Drei Stunden aber auch, in denen sich Damrau nie mit der Demonstration ihrer Mittel begnügt, sondern sich auf die theatralen Situationen einlässt, ihre Figuren auch mit verhaltenen Bewegungen erzählt.

Dabei setzt sie nicht auf die naturalistischen Farben, die manchmal mit Ausdruck verwechselt werden und zu denen in schwächeren Momenten (wie in ihrer Aufnahme von Donizettis "Lucia di Lammermoor") auch Damrau gelegentlich greift. Belcanto, das ist die vokale Entsprechung zum Ballett, das meint zunächst knallharte Virtuosentechnik, mit deren geballter Ladung Damrau an diesem Abend immer wieder nacktes Staunen hinterlässt. Ihre Koloraturen rasen mit aberwitziger Präzision dahin, und ihre Sprünge in die höchste Höhe sind ein ganzkörperliches Naturereignis. Aber auch schlichte melodische Linien belebt sie beständig mit geschmackvollen Schwelltönen und pointierten rhythmischen Akzenten.

Damit gelingt Damrau die seltene Balance zwischen Ausdruck und Schönklang, zwischen Expressivität und Virtuosität. Bestechend, wie sie das "O rendetemi la speme" der Elvira auch vom Text her erschließt, mit der Färbung einzelner Wörter die Verzweiflung bloßlegt - um, wenn Elvira im Wahn den Liebhaber in den Armen zu halten meint, zum Teenager zu werden, der handfeste erotische Träume hat. Nur den Münchner Symphonikern hört man die mangelnde Vertrautheit mit dem Repertoire leider an, obwohl Dirigent David Giménez die Italianità mit allen Raffinessen des Kapellmeisterhandwerks herauszukitzeln versucht.

Dass Damrau in der zweiten Hälfte noch den Übergang zu Giuseppe Verdi wagt, ist dramaturgisch folgerichtig. Noch in Elenas "Mercè dilette amiche" aus der "Sizilianischen Vesper" (1854) hört man schließlich, wie Verdi an Bellini und Donizetti anknüpft. Stimmlich aber hinterlässt das Umschalten zunächst Spuren, ist vielleicht das geforderte Fundament in der Mittellage nur begrenzt Damraus Sache. Dafür kann bei den Duetten aus "I Masnadieri" und "Luisa Miller", auch in der solistischen Erzählung des Ferrando aus "Il Trovatore" nun endlich Nicolas Testé seine bronzen grundierte Stimme entfalten, die im klassischen Belcanto immer etwas zu rumpelig, zu schlampig geführt wirkte.

Doch natürlich hat auch Damrau noch ein Ass im Ärmel: die Szene der Violetta aus dem ersten Akt von Verdis "La Traviata". Eine ganze Biografie ist da mit einer einzigen Szene umrissen, wenn Damrau die vollständige Verwirrung der frisch verliebten Kurtisane zeichnet, ihre Sehnsucht, die der erste Schock tief aufgerissen hat, und danach eine Lebenssucht, von der man irgendwie weiß, dass sie nie zu stillen sein wird. Die Traviata: Das ist die Rolle, mit der Diana Damrau sich vor knapp eineinhalb Jahren an der Mailänder Scala endgültig den Thron des klassischen italienischen Gesangs eroberte. Dafür, man hört es noch immer, hat sie jedes Wort durchdacht, jede einzelne Note in den Fluss ihrer Stimme integriert. Der Rest sind Glückstaumel und Zugaben.

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SZ vom 20.04.2015
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