"Thank You, Next" von Ariana Grande:"Mach endlich mit deiner Freundin Schluss, mir ist langweilig"

Ariana Grande

Ariana Grande bei einem Auftritt in Los Angeles im Juni 2018.

(Foto: Chris Pizzello/dpa)

Ariana Grande will mit dem Mist abschließen, der sich in den vergangenen zwei Jahren in ihrem Leben ereignet hat - und beglückt die Welt mit ein paar fantastischen Songs.

Von Jan Kedves

Ich bin Champagner", erklärte Ariana Grande kürzlich im Interview mit dem amerikanischen Branchenmagazin Billboard, und ihre Erklärung für den interessanten Satz lautete: "Es heißt, der Mensch bestehe zu 60 Prozent aus Wasser. Ich bin zu 60 Prozent pinkfarbener Veuve Cliquot." Das muss ganz schön teuer gewesen sein, wobei es eigentlich ein hübscher Gedanke ist: dass man, wenn man gerade eine harte Zeit durchmacht, so lange mit Rosé-Champagner anstößt, bis innerlich jede einzelne Zelle angenehm kribbelt und blubbert und sich das Leben insgesamt gleich wieder etwas leichter anfühlt.

Im Grunde klingt das gesamte Album "Thank You, Next" (Universal), das die Pop-Sängerin aus Boca-Raton, Florida, am Freitag veröffentlich hat, so, als hätte sie im Studio einen unterhaltsamen Trauma-Bewältigungs-Luxus-Pegel gehalten. Einen Pegel, der nicht zu Alkoholismus führen muss, sondern eben nur temporär der Lebensbewältigung dient - und sicher mit dem Therapeuten längst durchgesprochen wurde, keine Sorge. Die hohen "Hiieehs!" und "Huuhs!", mit denen Grande manche Zeile zur Akzentuierung ihres Gesangs enden lässt, klingen besonders beschwipst. Sie erinnern an die "Skkrt-skkrts!" und "Whoop-whoops!", wie sie im Trap-Rap aus den Südstaaten beliebt sind. Das ist die momentan prägende Ästhetik. Nicht nur im Rap, im gesamten Pop.

Schlummerliedchen zum Tanzen

Sind diese "Hiieehs!" und "Huuhs!" vielleicht auch heimliche kleine Ariana-Grande-Schampus-Rülpserchen? Ein besonders schönes Exemplar gibt es jedenfalls, nach drei Minuten und neun Sekunden, in "Thank You, Next" zu hören. Das ist die Single, die ihrem fünften Studioalbum nun den Titel gibt und die in den USA kürzlich der erste Nummer-eins-Hit der 25-jährigen Sängerin war. Musikalisch klingt der Song, als hätten Jam & Lewis, die Synthesizer-Funk-Pioniere und Produzenten von Janet Jackson, gemeinsam mit dem Filmmusik-Maestro Ryuichi Sakamoto aus Japan ein Schlummerliedchen zum Tanzen komponiert. Grande bedankt sich darin bei all ihren Ex-Freunden für das, was sie von ihnen jeweils gelernt hat. Die Liste wäre hier zu lang, und Grande ist diskret genug, die Lektionen im Refrain nicht namentlich zuzuordnen.

Das heißt, man kann nur mutmaßen, dass derjenige, dem sie für "the pain", also den Schmerz, dankt, Mac Miller ist - jener mit vielen seelischen Problemen beladene Rapper, mit dem sie knapp zwei Jahre zusammen war und der im September 2018 an einer Überdosis starb. Oder ist es Pete Davidson, der Comedian aus "Saturday Night Live", mit dem sie, nach Mac Miller, kurz verlobt war? Grande scheint einiges an "baggage", an emotionalem Ballast, in diesen Song gesteckt zu haben. Das brachte sie selbst in ihrem Billboard-Interview zu der Mutmaßung, es könne eben doch entscheidend sein, wie viel real erlittene Emotion in einem Song stecke. "Es ist ja so einfach, Songs zu schreiben, die einfach nur sexy und lustig sind und in denen es eigentlich um gar nichts geht." Womit sie meint: Songs, die dann eben keine Nummer-eins-Hits werden.

Will Grande mit diesem Statement das durchaus umstrittene Narrativ nähren, dass Künstler oder Künstlerinnen erst mal alles mögliche Schmerzhafte durchmachen müssen, um wirklich große Kunst erschaffen zu können? Vermutlich nicht. Vor allem in Bezug auf Pop wäre das ja fragwürdig. Denn das Tolle an Pop ist ja, dass es in ihm um gar nichts gehen muss - und dass er dennoch, oder: sogar gerade deswegen sehr toll sein kann. So oder so: Ariana Grande will mit dem Schmerz abschließen, der sich in den vergangenen zwei Jahren in ihrem Leben ereignet hat, und die Welt soll sich daran musikalisch erfreuen können. Wer würde etwas dagegen sagen.

Da war ja auch der islamistische Attentäter, der sich am 22. Mai 2017 im Foyer der Manchester Arena, kurz nachdem sie dort vor 20 000 Fans ein Konzert gespielt hatte, in die Luft sprengte und 22 Menschen, darunter viele Kinder und Teenager, mit sich in den Tod riss. Das hätte, völlig unfreiwillig, der wesentliche Moment ihrer Karriere werden und aus Ariana Grande eine tragische Figur machen können. Erstaunlicherweise ist das Gegenteil geschehen.

Pop-Sängerinnen schminken sich und bewerben ihre Konkurrentin? Schlau!

Sie hat es geschafft, zugleich gestärkt und verletzlicher aus dem Drama herauszukommen. Bereits ihr viertes Album "Sweetener" machte dies im vergangenen Jahr - unter anderem mit dem Hit "Breathin'" - deutlich. Wie jetzt auf dem Cover von "Thank You, Next" war Grandes Porträtfoto auch auf diesem Album verkehrtherum platziert, als wolle sie sagen: Meine Welt steht kopf seit Manchester. Nichts ist mehr, wie es war.

Auf dem neuen Album lernt man nun - neben dem Tausch der eigenen Körperflüssigkeit mit Rosé-Champagner - die sogenannte "retail therapy" kennen: Shopping als Therapie. "Siehst du meine Haare, meine Tattoos, meine Wimpern? Hab' ich mir alles gekauft! Ich hab' mir sogar eine komplette Villa nur für meine Klamotten gekauft! Kein Ankleidezimmer mehr, sondern eine ganze Ankleidehütte!", singt Grande in dem grandiosen Song "7 Rings", dem zweiten und aktuellen Nummer-eins-Hit ihres Albums in den USA.

Das Stück bedient sich - mit zwirbelnden Hi-Hats, sehr düsteren Bässen und verschwommenen tiefen Echolot-Sounds - noch stärker als andere Songs des Albums der Ästhetik des eingangs bereits erwähnten Trap-Rap - was keineswegs abwegig ist: Trap ist im Grunde nichts anderes ist die modernste, zeitgenössische Form von Blues. Ariana Grande kennt den Blues. Und gleichzeitig ist Trap hochkapitalistische, konsumistische Musik.

Ähnlich gelungen ist "Make up". Der Song entfaltet seine Wirkung aus dem einfachen Wortspiel, das "to make up with somebody" im Englischen heißt, dass man sich mit jemandem wieder verträgt. "Vielleicht werd' ich sogar mit dir Schluss machen, nur damit wir uns nachher wieder vertragen können", singt sie in einer Strophe, und im Refrain heißt es dann: "Ja, mach weiter, ruinier' mir mein Make-up!"

Welches Make-up Ariana Grande am liebsten benutzt, bleibt auch kein Geheimnis: Sie bevorzugt, wie sie in "Make up" singt, die Produkte der "Fenty Beauty"-Linie von Rihanna. Ist das Schleichwerbung? Floss dafür Geld? Höchste Zeit, dass auch im Pop - wie auf Instagram - eine Kennzeichnungspflicht für bezahlte Werbung eingeführt wird. In entsprechenden Songs könnten an gekauften Stellen Piepsklänge ertönen, oder die Geräusche klingelnder Kassen, oder "Hiieehs!" und "Huuhs!". Einfach, damit man als Hörer mal Bescheid weiß.

Mit ausgestrecktem Mittelfinger und viel karibischem Selbstbehauptungswillen

Wobei es auch sein kann, dass Ariana Grande die "Fenty-Beauty"-Produkte tatsächlich liebt. Vielleicht wäre der Song dann eher eine Einladung zum Duett? Ariana Grande und Rihanna, "Arihanna", das wäre auf jeden Fall wieder ein Nummer-eins-Hit. Und es wäre ein Gegenprogramm zu all den Rappern, gemeint sind hier: Männer, die sich ständig beschimpfen und bei ihren sogenannten Beefs, diesen durchinszenierten Rap-Hahnenkämpfen für die Charts, so tun, als wollten sie sich immerzu die Gesichter einschlagen. Was sie manchmal dann sogar tatsächlich tun. Anstrengend! Pop-Sängerinnen schminken sich und bewerben ihre Konkurrentin? Schlau!

Oder: Rihanna könnte auch einen Remix des letzten Songs des "Thank You, Next"-Albums vorschlagen und auf ihm für ein paar Gastzeilen vorbeischauen. Der Song klingt nämlich so, als sei er mit ausgestrecktem Mittelfinger und viel karibischem Selbstbehauptungswillen gesungen. Mit anderen Worten: Er klingt ziemlich genau so wie die jüngeren Hits von Rihanna. Ihrem Mantra, dass das Leben jetzt endlich einmal mit ein bisschen Spaß weitergehen könnte, setzt Ariana Grande darin die Krone auf, indem sie im Refrain fordert: "Mach endlich mit deiner Freundin Schluss, mir ist langweilig." Der Song ist, wie viele andere Songs auf diesem Album, fantastisch und heißt tatsächlich so: "Break Up With Your Girlfriend, I'm Bored". Prost!

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