Argentinischer Cartoonist Guillermo Mordillo:Zeter und Mordillo

In seiner Kunst ist das Komplizierte meistens einfach und das Einfache kompliziert: Eine Begegnung mit dem bald 80 Jahre alten argentinischen Zeichner, bei der er über Charlie Chaplin und Federico Fellini spricht, über große Nasen und kleine Schwächen - und richtig derbe deutsche Komik.

Martin Zips

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Mordillo

Quelle: Mordillo

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In seiner Kunst ist das Komplizierte meistens einfach und das Einfache kompliziert: Eine Begegnung mit dem bald 80 Jahre alten argentinischen Zeichner, bei der er über Charlie Chaplin und Federico Fellini spricht, über große Nasen und kleine Schwächen - und richtig derbe deutsche Komik

Eigentlich hat man mit der Nase gerechnet, aber nein, es sind die Augen, die Mordillo zuerst zeichnet. Die Nase mag das Markenzeichen seiner Figuren sein, die Augen sind die Seele. "Zeichnest du um die kleinen schwarzen Punkte einen Kreis, so wirkt deine Figur überrascht, neugierig oder entsetzt", erklärt der Zeichner, während er eine Giraffe aufs Papier bringt. Es ist eine ballonnasige Mordillo-Giraffe, die den Betrachter mit weit aufgerissenen Augen von einem leiterartigen Hals anstarrt. Hätte man diese Augen und diese Nase in der Schulzeit einem Mädchen auf das Mäppchen gemalt, man wäre ein Held gewesen. Aber so war es der Künstler Mordillo, dessen Figuren es in die Poesiealben, auf die Turnbeutel und in die Herzen aller Mitschülerinnen schafften.

Text: Martin Zips

Mordillo, 1955 in Peru

Quelle: Mordillo, 1955 in Peru

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Am 4. August ist es 80 Jahre her, da Guillermo Mordillo y Melendez in der Nähe von Buenos Aires, Argentinien, als Kind spanischer Einwanderer zur Welt kam. Bereits mit sechs Jahren beschloss er Zeichner zu werden, mit 14 verließ er die Schule, mit 15 verdiente er sein erstes Geld mit Bildergeschichten, mit 18 veröffentlichte er erste Kinderbücher, er wurde Artdirektor einer Werbeagentur in Lima und heuerte später in einem New Yorker Trickfilmstudio an. Er lebte und zeichnete in Paris, Mallorca und wohnt - seit 15 Jahren schon - mit seiner Frau in Monaco.

Monaco ist schon ein bisschen langweilig", sagt er. "Es ist ruhig und sicher. Aber es hat keine Seele." Dann reißt er die Augen weit auf. Das kann überrascht bedeuten. Neugierig. Oder entsetzt.

Mordillo

Quelle: Mordillo

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Der Cartoonist ist zu Gast in München. Lizenzverhandlungen. Seit 20 Minuten eilt man mit ihm durch diverse Räume eines engen Vertreter-Hotels, auf der Suche nach dem besten Licht für das Gespräch. Fündig wird der Künstler ganz oben, im fünften Stock. "Hier kann man weit über die Dächer blicken", erklärt er und nimmt auf einem bordeauxroten Bettsofa Platz. Zu welcher Berühmtheit es dieser Mann gebracht hat, zeigt eine Presseerklärung, die der bayerische Kommunalpolitiker Josef Schmid vor fünf Jahren herausgegeben hat. Dort ist von "Zeter und Mordillo" die Rede, obwohl der Christsoziale eigentlich Zeter und Mordio meinte. Mordio ist ein mittelalterlicher Hilfeschrei, aber das weiß niemand mehr. Der Name Mordillo hingegen ist immer noch weltbekannt.

Das große Ganze des Lebens, in dem der Mensch hie und da Gefahr läuft, sich zu verrennen, das ist Mordillos Spezialgebiet. Das Komplizierte wird bei ihm einfach, das Einfache kompliziert: Aus einer schlichten Trompete bastelt er ein Ungetüm aus Ventilen, Rohren und Windungen, das den Musiker zu erdrücken droht. Am Ende plumpst nur eine winzige Achtelnote aus dem Trichter. Mordio, was für eine Enttäuschung!

Mordillo, 1994

Quelle: Mordillo

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Das Dasein insgesamt kommentiert der Zeichner, indem er seine neugierigen, überraschten oder entsetzten Figuren auf Inseln oder Kugeln aussetzt, sie einsam Spiralen oder Labyrinthe durchlaufen lässt. "Mach's Beste draus, Du armes, farbloses Nasenwesen", so lautet seine simple Botschaft.

In seinen Zeichnungen ist so viel Zärtlichkeit und so viel Liebe verborgen", sagte einmal der französische Pantomime Marcel Marceau, "dass wir zu hoffen beginnen angesichts des unausweichlichen Schicksals, das über unseren Köpfen hängt". Und der deutsche Zeichner Helme Heine ("Der Hase mit der roten Nase", "Na warte, sagte Schwarte") beschrieb Mordillos Arbeiten einmal so: "Er schwadroniert nicht. Er kommt trotz zahlloser liebenswerter Details sofort auf den Punkt. Seine stillen Geschichten sind so beredt, dass sie auf der ganzen Welt verstanden werden."

Mordillo

Quelle: Mordillo

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Natürlich: Heute wirken die handkolorierten Cartoons für manche merkwürdig bieder, harmlos, unspektakulär. Der Humor ist in den vergangenen Jahren - wie vieles andere - rauer und schneller geworden, ein Gag allein reicht nicht, es braucht ein ganzes Feuerwerk. Wer hier noch auf Ruhe vertraut, auf Pausen und Reduktion, der gilt - wenn es dumm läuft - als Retro-Saurier. Wenn es gut läuft, gilt er als Genie.

Im Hotel wirkt Mordillo wie aus der Zeit gefallen: kariertes Hemd, große runde Brille, dunkle Fleece-Jacke, Lederarmband, blaue Jeans, Socken mit bunten Zickzackmuster, Lederschuhe mit Bommel drauf. Ein iPhone, immerhin. Aber würde man ihn vormittags in der S-Bahn treffen, so würde man ihn für einen gewöhnlichen deutschen Wanderrentner halten. Auf dem Weg ins Umland, wenn auch ausgestattet mit GPS.

Auch mit 79 Jahren setzt sich Mordillo fast täglich an den Zeichentisch. Ein Cartoon pro Woche, meist 24 x 32 Zentimeter Hochformat, das ist sein Ziel. Er zeichnet mit Wasserfarben und Tinte, Pastell und Acryl. Seine Technik mache es ihm möglich "zu verbergen, dass ich eigentlich nicht zeichnen kann", sagt der kleine drahtige Mann, der nach der Arbeit gerne Fußball im Fernsehen schaut, Rotwein trinkt oder Golf spielt. Dieser Lebensstil geht offenbar auch medizinisch voll in Ordnung.

Mordillo, 1961

Quelle: Mordillo, 1961

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Die Sache mit den Nasen hängt damit zusammen, dass meine Mutter, die einst auf einem deutschen Schiff namens Guttenberg über den Atlantik nach Argentinien reiste, mich schon als kleines Kind mit ins Kino nahm", erzählt Mordillo. In Disneys "Schneewittchen" habe er gesehen, wie sich die gewaltigen Riechorgane der sieben Zwerge über die Bettkante schoben, aus Verwunderung über die Riesin, die sich quer über ihre Matratzen gelegt hatte. Für Mordillos weiteres Leben war diese Szene wegweisend. Nicht nur was die Nasen seiner Geschöpfe angeht, ein bisschen auch, was die versteckte Erotik betrifft, die sich in seinen Zehntausenden Zeichnungen umfassenden Gesamtwerk immer wieder findet.

Noch bevor das Licht im Kinosaal wieder angeht, beschließt der damals erst sechsjährige Mordillo jedenfalls Zeichner zu werden. Am besten Trickfilmzeichner.

Mordillo, 2007

Quelle: Mordillo, 2007

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Mit 28 Jahren erhält er in New York einen Job als "Assistent für Animation" bei Paramount-Pictures. Dort beauftragt man ihn mit Sequenzen für die Trickfilmserie "Popeye", nicht gerade sein Wunschprojekt. Lieber möchte er etwas Eigenes schaffen, etwas Unverwechselbares.

Nach drei Jahren und zahlreichen Knollennasen-Prototypen in der Schublade bricht er nach Europa auf - und sucht nach seinen familiären Wurzeln. Auf der Durchreise stoppt er auch in Paris, wo er einem Postkartenverleger ein paar Arbeitsproben zeigt. Am nächsten Tag ist Mordillo bei ihm angestellt, verliebt sich in eine Französin, heiratet, wird Vater von zwei Kindern und verlässt die Stadt erst 17 Jahre später.

Paris Match und andere Magazine drucken seine Männchen, auch der deutsche Stern beginnt Ende der 1960er Mordillo zu publizieren. So werden seine Nasen weltbekannt. Anfang der 70er Jahre erscheint in den USA der erste Sammelband mit seinen Cartoons, in Deutschland bringt ihn der Verleger Friedrich W. Heye mit Büchern, Postern und Puzzles groß raus. Aus Mordillos Motiven ist Alltagskunst geworden, aus seinen Knollennasen Lizenzware, aus seinen Geschichten Kurzfilme fürs Fernsehen oder den U-Bahnhof.

Mordillo

Quelle: Mordillo

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Der brasilianische Fußballspieler Pelé sagte einmal, er empfinde beim Betrachten der Zeichnungen Mordillos "eine ähnliche Freude wie beim Toreschießen". Und die britische Schauspielerin Jane Birkin lobte, sie höre Mordillos Figuren "trunken von kindlicher Überzeugung" rufen: "Es ist leicht zu fliegen!" - bevor sie schließlich in den Abgrund stürzen.

Derzeit gebe es Bestrebungen, einen Kinofilm mit seinen Geschöpfen zu machen, erzählt der Künstler, der seit 43 Jahren mit seiner Frau Amparo Camarasa verheiratet ist. "Aber die Filmfirma möchte, dass meine Figuren sprechen. Ich will das eigentlich nicht. Meine Figuren brauchen keine Stimme." Und was hält der Held des Zeichentischs vom computeranimierten Kino? "Ratatouille, dieser Film mit der kochenden Ratte", sagt er, "der hat mich optisch schon beeindruckt. Aber nicht die Technik ist entscheidend, sondern die Geschichte, die sie erzählt." Insgesamt bevorzugt Mordillo Trickfilme, "in denen möglichst wenig gequatscht wird. Wenn ich gute Dialoge hören will, dann schaue ich Woody Allen."

Reduktion, erklärt er, das sei seine Sache. Einmal, in Rom, habe plötzlich Federico Fellini vor ihm gestanden und habe nach der Uhrzeit gefragt. Mordillo freut sich heute noch. "Am liebsten hätte ich ihn umarmt und ihm meine Lieblingsszenen aus seinen Filmen erzählt." Doch alles, was der Sohn eines Elektrikers und einer Analphabetin in diesem Moment herausbekam, war der Satz: "Es ist 8.30 Uhr, Signor Fellini". Sehr reduziert, sehr einfach, vielleicht ein bisschen ängstlich. Und schon war Fellini wieder verschwunden. Dann die Begegnung mit Charlie Chaplin, im Januar 1967. "Chaplin war in Paris auf dem Weg zu einer Filmpremiere und stieg genau vor mir aus seiner Limousine. Er hielt mich für das Begrüßungskomitee und schüttelte meine Hand." Der Tramp, das Vorbild eines jeden Cartoonisten! "Ich war völlig perplex. Und ich war ja nur zufällig vorbeigekommen. Aber dieser Händedruck hat mir Glück gebracht. Später habe ich zweimal sein Grab besucht."

Mordillo in München

Quelle: Martin Zips

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Und was denkt Mordillo über Loriot? Hat er nicht einmal bei ihm Kaffee getrunken? "Ja", sagt der Zeichner. "Netter Mann. Doch sein Humor - ausgesprochen deutsch. Für mich schwer verständlich." Dann erzählt Mordillo, warum er dennoch lachen muss, wenn er die Deutschen sprechen hört: "Immer dieses ,Bitte'. Im Französischen heißt ,bite' was ganz anderes." Der Künstler kugelt sich auf dem Bettsofa. Und was? "Schwanz!" Er schnappt nach Luft. Andere Länder, andere Lacher.

Gerade hat Mordillo in seinem Jubiläumsjahr eigene Ausstellungen in Neapel und Genua eröffnet, in Tel Aviv und Bratislava, kommende Woche ist München an der Reihe. In Buenos Aires wiederum soll ein Museum entstehen, welches vor allem der komischen Zeichenkunst Argentiniens vorbehalten ist. Für dieses Projekt setzt er sich seit Jahren ein. Seine Bilder verkaufen, das kommt für Mordillo nicht in Frage. Er lebt schon von den Lizenzen gut. "Meine Originale lagere ich in einer Bank. Meine Kunst gehört zunächst einmal meinen Kindern und meinen Enkeln."

Dann erhebt sich der kleine Zeichner und begleitet seinen Gesprächspartner hinaus. Merkwürdig: Seine Zeichnungen kennt jeder, doch ihn erkennt niemand. Niemand im Hotel, niemand auf der Straße. Das muss an seiner Nase liegen. Die ist, wie soll man sagen, schrecklich normal.

© SZ vom 19.07.2012/mahu/gba
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