Süddeutsche Zeitung

ARD-Wettbewerb:Gfrett mit dem Interfret

Das Semifinale Gitarre und die Tücken der Komposition

Von Oliver Hochkeppel

Als aufstrebender klassischer Gitarrist durfte man den Anmeldeschluss des ARD-Wettbewerbs nicht verpassen, denn die Chance auf eine Teilnahme kriegt man wohl nur einmal im Leben. Erst vier Mal seit 1952 war die Gitarre vertreten, zuletzt 1993. Was einiges über die Exotenstellung des Instruments im Klassikbetrieb aussagt. Obwohl die Gitarre seit einigen Jahren das Klavier als meistgespieltes Instrument überholt hat, führt sie bei Repertoire, Konzerten und Festivals ein Eigenleben. Zu Unrecht, wie man hier angesichts der Vielfalt und Ausdruckskraft des Gebotenen erleben konnte.

Stichwort Ungerechtigkeit: Kaum eine Rezension, in der nicht die Jury-Urteile angefochten werden. Was in der Natur der Sache liegt: Wettbewerb ist in der Musik eigentlich kein zielführendes Konzept. Anders als im Sport gibt es hier kein eindeutiges höher, schneller oder weiter, sondern ein divergierendes Bündel möglicher, mitunter ganz subjektiver Kriterien. Aber irgendwie muss man eben versuchen, die größten Talente zu finden und zu fördern. Schon deswegen gebührt der vom Uruguayer Eduardo Fernández geleiteten, siebenköpfigen Stargitarristen-Jury Respekt, sich diesen Hör-Marathon mit 35 Bewerbern anzutun.

Ihre Entscheidungen durfte man natürlich trotzdem hinterfragen, schon beim ersten Durchgang, wo bereits ein etwas unglücklich ausgewähltes Programm das Aus bedeuten konnte, wie bei der Deutschen Jessica Kaiser. Es ist (hoffentlich) nicht repräsentativ für die heimische Szene, dass es keiner der sechs deutschen Teilnehmer in die zweite Runde schaffte. Im Trend, nicht nur bei der Gitarre, liegt dagegen, dass China, Japan und Südkorea inzwischen dominieren. Im Semifinale stellte dann auch Asien mit der Japanerin Kanahi Yamashita, der Chinesin Yang Hao und ihrem Landsmann Junhong Kuang die eine Hälfte des Tableaus, neben dem Italiener Gian Marco Ciampa, dem Schweiz-Italiener Davide Giovanni Tomasi und dem Australier Andrey Lebedev.

Gleich fünf von ihnen hatten sich Mario Castelnuovo-Tedescos Quintetto für Gitarre und Streichquartett op. 143 für ihren vom ausgezeichneten koreanischen (sic!) Novus String Quartet begleiteten Vortrag ausgesucht. Und es war wieder einmal sehr interessant, wie unterschiedlich man ein und dasselbe Stück angehen kann, in diesem Fall ein sehr gefälliges, farbenreiches und bildhaftes Standardwerk der Gitarrenliteratur. Yamashita etwa betonte die lyrische Seite, war dabei freilich mitunter etwas zu leise und verhalten. Hao entschied sich für die Betonung der rhythmischen Facetten, stand aber nicht so sehr im Einklang mit ihren Begleitern. Tomasi wiederum hielt sich an die Dynamik und wirkte am akzentuiertesten, während Kuang den virtuosesten Part ablieferte.

Als einziger hatte sich Lebedev für das deutlich modernere, musikalisch interessantere Concertino da camera des Franzosen Eugène Bozza entschieden - vielleicht schon die halbe Miete, um schließlich ins Finale zu kommen. Sicher dahin gelangte er aber mit der einfallsreichsten Interpretation der für alle verpflichtenden, hier uraufgeführten Auftragskomposition von Vito Žuraj. Der hatte vorab verkündet, er habe die Musiker nicht quälen wollen. Was glatt gelogen war: Sein "Interfret für Gitarre solo" war eine Zumutung für Musiker, Instrumente und Publikum. Nicht ein klassischer Gitarrengriff fand sich darin, dafür ein melodiefreies und strukturloses Sammelsurium von Tappings, Flageoletts, Golpes, Bendings und Bottleneck-Glissandi, das höchstens demonstrierte, wie hässlich eine Gitarre klingen kann. Der hochdekorierte junge Slowene mag ein Fex für moderne Orchesterkomposition sein, für Gitarre hat er offensichtlich noch nichts geschrieben. Hätte man da doch nur zum Beispiel einen Leo Brower beauftragt.

Dessen Sonate für Gitarre solo von 1990 hatte übrigens Gian Marco Ciampi im 2. Durchgang so hinreißend gespielt, wie es besser nicht geht. Und auch beim Quintetto war er derjenige, der den italienisch-jüdisch-amerikanischen Musical-Untergrund des ja als Hollywood-Filmmusiker erfolgreichen Castelnuovo-Tedesco interpretatorisch am tiefsten erfasst hatte. Ciampi war der einzige, der das Stück in seinem ganz eigenen Sinne gestaltete und ganz generell einen eigenen Stil erkennen ließ. Leider verspielte er sich mehrfach und konnte auch mit dem Interfret wenig anfangen. Ein Jammer.

So stehen nun der junge Wilde Andrey Lebedev, der Ästhet Davide Giovanni Tomasi und der Techniker Junhong Kuang im Finale. Mal sehen, ob einer der drei einen 1. Preis ergattern kann. Der wurde bisher nur ein einziges Mal vergeben, 1989 an Luis Orlandini.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3656731
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 08.09.2017
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.