ARD: Talkabschied mit Präsident:"Ach, die Frau Christiansen!"

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Nach fast zehn Jahren endete die TV-Talkshow von Sabine Christiansen so banal wie präsidial: Ihr Gast Horst Köhler applaudierte und forderte Allerlei - zum Beispiel die Direktwahl des Bundespräsidenten.

Hans-Jürgen Jakobs

Wenn Präsidenten gehen, werden sie von anderen Präsidenten verabschiedet. Das ist nun einmal so. Darunter machen sie es nicht. Am Sonntagabend hörte die Frau, die fast ein Jahrzehnt lang die "Sabine Christiansen" des Fernsehens war, tatsächlich auf - und damit auch "die unangefochtene Präsidentin im Berliner Ersatzparlament" ( Frankfurter Rundschau). Natürlich musste da ein leibhaftiger Bundespräsident in ihrem Talkstudio sitzen: Horst Köhler, 64, langjähriges CDU-Mitglied.

Das Gespräch zum Abschied bleibt nicht weiter in Erinnerung. Höchstens fiel auf, dass Köhler fast lafontainisch die ungerechte Einkommensverteilung, die hohen Managergehälter und den "schrecklichen" Hartz-IV-Begriff geißelte - ohne dabei oskar-reif zu sein -, oder dass er altväterlich einer jungen Türkin bescheinigte, sie sei "ein Schatz". Nebenbei brachte Köhler auch ins Spiel, dass der Bundespräsident für sieben bis acht Jahre direkt vom Volk gewählt werden könnte (auch wenn er bei weitem nicht die Macht wie zum Beispiel das französische Staatsoberhaupt hat).

Kurzum: Herr Präsident wirkt auch nach drei Amtsjahren noch so, als freuten ihn die rollende Kamera und die vielen roten Lichter im Fernsehstudio so wie den kleinen Jungen die muntere Signalfolge der zu Weihnachten geschenkten Modelleisenbahn.

Schlag nach bei Kleist

Zum Schluss des Geplänkels wurde es dann so richtig präsidial, als Köhler seiner Gastgeberin beschied, sie habe "Fernseh-Geschichte geschrieben". In ein paar Jahren würden die Leute sagen: "Ach, die Frau Christiansen!" Ja, "Ach, der Herr Köhler!", möchte man ausrufen, warum musste es Kleist zum Abschied sein, wenn ein Symbol für Sprachlosigkeit gesucht wird? Allein sechzehnmal bringt beim deutschen Dichter seine Penthesilea ein "Ach" über die Lippen, und noch berühmter ist das geseufzte "Ach" der Alkmene nach der Liebesnacht mit Jupiter, der ihr in Gestalt des Gatten Amphitryon beigekommen war.

Kurz bevor schließlich der Abspann in der ARD lief, sah der Zuschauer noch, wie Christiansens Mitgesellschafter der Dame des Abends in ihrem schneeweißen Hosenanzug weiße Rosen überreichte, und wie Horst Köhler freudig erregt applaudierte. Das Staatsoberhaupt hatte an diesem Abend offenbar auch eine andere Gestalt angenommen: die des Claquers.

Noch einmal, ein letztes Mal, hatte Sabine Christiansen der Berliner Republik eine Bühne bereitet. Noch einmal war sie die Spinne im Netz der Hauptstadt, bot sie ein Gewebe für die Schlagwortführer des Gewerbes. Zuvor schon hatte die Bundeskanzlerin höchstselbst zum Finale kondoliert und befunden: "Auch wenn mancher es nicht so gern zugegeben möchte, aber wer mitreden und informiert sein wollte, der musste am Sonntagabend ganz einfach mal bei Christiansen reinschalten". Wahrscheinlich hatte Horst Köhler das zweimal gelesen.

Zwei Freidemokraten vorn

Zugegeben werden muss, dass Merkels goldener Satz am Sonntag in einer Zeitung von Friede Springer erschien, die sich mit Sabine Christiansen seinerzeit im Herbst 2005 auf der Bühne des Bundestags sehr gefreut hatte, als Angela Merkel zur Kanzlerin vereidigt wurde. Zugegeben werden muss auch, dass Frau Merkel in der seit Januar 1998 laufenden Christiansen-Show 23-mal aufgetreten ist - nur die politischen Freischwinger Wolfgang Gerhardt (24-mal) sowie Guido Westerwelle (31-mal) durften sich öfter in ihrem Kameralicht sonnen.

Dass Merkel und Westerwelle einst in einem Wohnzimmer-Pakt erst den umstrittenen Kandidaten Köhler zum Bundespräsidenten ersonnen hatten, passt ins Bild einer schwarz-gelben Koalition, die hier im Fernsehen subtil hochgehalten wurde.

Manche Talkgäste haben sich über die konfuse Fragerei geärgert, doch bei der Aftershow-Party waren sie alle glücklich, als Bier und Wein floss, Häppchen gereicht wurden und Christiansens Hund Futter bekam. Der Kulissenzauber nährte die Illusion, ganz nah am Herz der Macht zu sein.

Dabei war es mit der Blondgranaten-Wirkung der Gastgeberin schon seit einigen Jahren vorbei - spätestens als der WDR-Autor Walter von Rossum 2004 in seinem Buch "Meine Sonntage mit Sabine Christiansen" das substanzlose Debattieren als "Orgie des Geschwätz" dokumentierte und den "Geier der Apokalpyse im Flug" sah. Tatsächlich ging es mehr oder weniger oft darum, ob Deutschland noch zu retten sei und ob sich der "Reformstau" auflöse. Das konnte so verwirren, dass Edmund Stoiber die Moderatorin einmal mit "Frau Merkel" ansprach.

Geiers Sturzflug: Sabine Christiansen war ein letzter Gruß der New Economy, einer Zeit, in der ein Holzkopf mit dem richtigen Aktien-Insidertipp Millionär werden konnte und Internet-Buden richtig viel wert waren, wenn sie nur genug Geld verbrannten. In diese Welt des Talmi war Gerhard Schröder geplatzt, der Kanzler, der von ganz unten kam. Er trug Brioni, rauchte Cohiba und ließ jede Woche ein anderes Thema kreisen. Solch ein Thema drehte dann seine Schleifen am Sonntagabend in der ARD.

Schröder hat seine beste Themenbegleiterin eher gering geschätzt. Er sah in der "Plauderprimadonna" ( Spiegel) stets eine aus dem Merkel-Westerwelle-Lager gelenkte Geheimwaffe und genoss es, sie bei Soloauftritten rhetorisch vorzuführen. Das ging Joschka Fischer ("Immer hören Sie Stimmen, Frau Christiansen!") genauso.

Mit der Zeit bröckelten auch die Quoten bei dieser Nachtrunde der Republik. Der geneigte Zuschauer mochte einfach nicht mehr nach dem "Tatort" beim selben Programm bleiben und der Kunst der Wiederholung, der Reproduktion des Banalen weitere Chancen geben. Da hatten auch die größten der großen Intendanten der ARD ein Einsehen mit dem Laienspiel - zumal sie glaubten, in Günther Jauch den perfekten Nachfolger zu haben. Weil der Mann vom Privatfernsehen dann doch absagte, wird jetzt Anne Will am 16. September die Talkshow übernehmen. Am Sonntag übrigens sagte die Noch-"Tagesthemen"-Moderatorin direkt im Anschluss an "Christiansen" den Rücktritt des britischen Premiers Blair an.

Eppendorfer Grill-Station

Das war in etwa so komisch wie die Schlussnummer, die sich die Redaktion von "Sabine Christiansen" hat einfallen lassen. Es handelte sich um eine Kurzversion der preisgekrönten Kiosk-Comedy "Dittsche", nur dass Olli Dittrich diesmal in einer "Eppendorfer Grill-Station" darüber redete, wie er mit ein paar anderen aus der Hausgemeinschaft einmal "Sabine Christiansen" nachgespielt habe.

Leider habe die Hauptakteurin keine schlanken Beine gehabt, die sie hübsch übereinander legen konnte, hieß es da. Es habe sich um so was "Stämmiges" wie bei Frau Merkel gehandelt. Und Kurt Beck habe man aus Sitzkissen nachgebaut! Als dann noch Günther Jauch himself bei diesem "Dittsche" für Arme an die Fensterscheibe klopfte und mit klaren Aussagen - "Spinner", "der hat hier Hausverbot" - ignoriert wurde, da war vollends klar, dass bei "Sabine Christiansen" auch der Versuch einer selbstreferentiellen Satire zum Klamauk werden muss.

Vielleicht wird sie einigen wirklich fehlen - aber irgendwie ist es auch gut, dass die Legislatur von (nicht gewählten) Fernsehpräsidentinnen genauso abläuft wie die von gewählten Präsidenten. Das hat Sabine Christiansens Endspiel klar gemacht. Die bald 50-Jährige selbst will jetzt mehr kochen, vor allem Fisch ("Ich bin kein Paul Bocuse"), und sie hat noch eine Sendung beim Weltsender CNBC, den in Deutschland kaum einer schaut.

Nach all den Jahren mit ihr, nach all der Sonntagssoap, kann man ihr nicht oft genug sagen: "Ach, Frau Christiansen!"

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